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  • Day 22

    Danke fürs tragen

    July 24, 2020 in Sweden ⋅ ☁️ 13 °C

    465 km durch Lapplands Wildnis

    Nach dem abrupten Ende meiner großen Reise um die Welt fühlte ich, dass ich einen gescheiten Abschluss brauche. Genug Freiraum, um die Gedanken zu Ende zu denken, Emotionen zu ordnen und all das erlebte richtig einzuordnen. Im täglichen Gewohnheitstrott ist das schwer und alles in mir schrie nach einer ausgedehnten Zeit in der Natur. Am besten hoch oben in den Bergen.

    Corona schränkt auch hier die Alternativen stark ein, aber das ist nicht weiter schlimm, wenn einer der schönsten Fernwanderwege durch das wilde Nordschweden geht. Der Kungsleden - Königspfad sollte es also sein.

    Also werden die Stiefel geschnürt, Proviant und Zelt eingepackt und auf geht's, soweit mich meine Füße tragen.

    Einsame Weiten
    Bewusst habe ich mir den Weg entgegen der populären Richtung, nämlich von Süd nach Nord, Hemavan nach Abisko ausgesucht. Sonne im Rücken und weniger Kolonne laufen.
    Tatsächlich war ich auf den meisten Strecken recht allein unterwegs. Kurze pläuschen mit Wanderern, die in die Gegenrichtung gingen oft als einzige Möglichkeit ein Gespräch (nicht nur mit mir selber) zu führen. Aber auch die Gelegenheit jeden Morgen laut singend zu verbringen und von meiner Songtextsicherheit Gebrauch zu machen. Und es ist erstaunlich welche Lieder es nach und nach vom Unterbewusstsein auf die Stimmbänder schaffen - "Zitrone, Banane, so stehts auf ihrer Fahne. Ein kunterbunte Obstsalat, zwei Freunde auf Entdeckungsfahrt..."

    Den zweiten Teil des Tages dachte ich einfach nach. Bunte Bilder und Erkenntnisse wechseln sich mit "Pass auf! Ein Stein....Eins, zwei, eins, zwei, ein glitschiges Scheefeld..." ab und ja, vor allem sehne ich mich nach Gesellschaft. Möchte einladen, für Freunde kochen, Spieleabende veranstalten und würde die Pandemie doch schon zu Ende sein auch meinen Geburtstag mal wieder groß feiern.

    Als Randnotiz sei noch erwähnt, dass Schweden zwar nett sind, aber doch meist recht unterkühlt bzw. gerade als Gruppen lieber unter sich bleiben. So blieb auch ich, selbst in den Hütten, meist allein. Aber das hat die Vorfreude, am nächsten Tag wieder laufen zu können, nur befeuert.

    Raue Gezeiten
    Die erste Woche war ein Traum aus Sonnenschein Tag und ja, in den derzeitigen weißen Nächten, auch Nachts. Nach Adam Riese kann das natürlich nicht so bleiben und so ging ich, gerade auf der Endetappe, oft mit nassen Füßen in den Schlafsack, nur um am nächsten morgen in die immer noch nassen Socken und Schuhe zu schlüpfen und zu hoffen, dass ich mich schon warmlaufen werde. Schokolade ist hier das erprobtermaßen beste Motivationsmittel.

    Fiese Begleiter
    Mücken gehören wohl zu Schweden, wie Pizza zu Italien. Leider ist dieses Pärchen weitaus weniger gut genießbar. Gerade zwischen Kvikkjokk und Aske befindet man sich in "Mosquito-Kingdom". Wolken von laut summenden Insekten begrüßen einen und sind willig bereit ein Stück mitzuwandern. Was hilft? Nichts weiter als schnelle Schritte, viel Mückenspray und noch mehr gelassene Akzeptanz.
    Meine gerne gestochenen Waden haben sich übrigens blau verfärbt, obwohl ich nicht gekratzt habe.

    Weiter und weiter
    Superwoman, Hero, unbelievable! Dies sind einige Superlative die ich mir gerne als Komplimente habe geben lassen. Trotz der vielen Wanderer habe ich nur selten Menschen getroffen, die den ganzen Kungsleden laufen. Ein älterer Schwede läuft einmal durch ganz Schweden "Dies war mein Traum seid den 90ern und nun, da ich Rentner bin kann ich ihn endlich wahr machen." Alter Schwede!
    Ein deutsches Pärchen läuft die nächsten 1 1/2 Jahre nur zu Fuß "Mal sehen wo wir am Schluss ankommen."

    Aber als alleinlaufende Frau, mit leichtem Gepäck, scheine ich wohl eine bewundernswerte Ausnahme zu sein. Macht mich natürlich auch ein bisschen stolz. Vor allem auf meine Füße, die mich ohne groß zu klagen km um km getragen haben.

    Jetzt freue ich mich auf eine lange, warme Dusche (ich rieche nach den kurzen Katzenwäschen in eiskalten Gebirgsbächen mittlerweile nach Meerschweinschenkäfig) und einem kuscheligen Bett. Und natürlich Gesellschaft, viieell Gesellschaft :)
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