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  • Day 19

    Epilog: #11 Milky Way Mission Protokoll

    July 10, 2021 in Germany ⋅ ⛅ 18 °C

    🪐 #11 Milky Way Mission 🪐

    Als sich Commander Bastian diesen Morgen anschickt, auf der Milchstraße nach dem Rechten zu sehen, ahnt er noch nicht, dass sein Gefährt schon bald selbst in Gefahr geraten wird, manövrierunfähig im unendlichen Nichts zu treiben…

    Rückblende.

    Was tut ein altgedienter Orbiter, der seinen Shuttle nicht mehr für offizielle Missionen in eine neue Umlaufbahn schicken darf? Er ruht sich natürlich nicht auf seinem Ruhm aus: Er bekleidet ein Ehrenamt, um sein universales Wissen in den Dienst der All-Gemeinheit zu stellen!

    So wie sich Pamela in ihren roten Badeanzug pellt und als alte Baywatch-Häsin am Rande des tückischen Ozeans darauf wartet, unvorsichtige Schwimmer zu retten, genau so stopft Commander Bastian frühmorgens seinen etwas aus der Form geratenen Körper in seine atmosphärenblaue Orbit360-Uniform. Sorgsam streicht er das in vielen Galaxien ehrfürchtig respektierte Orbiter-Emblem glatt: Ein Planet mit einer ruppig eruptierenden Atmosphären-Halo, umkreist von einem Mond - und einem furchtlosen 360-Grad-Orbiter.

    Commander Bastian hat sich derzeit in den Dienst der „Milky Way Mission Squad“ gestellt, eine ehrenamtliche Nothelfer-Organisation, welche als intergalaktische „Seenotretter“ am Rande der Hamburger-Galaxie ausharren, um havarierte Cycler zu retten, die sich zu weit ins Nichts hinausgewagt haben. Wer nun nicht mehr aus eigener Kraft zurückfindet in den Schutz der galaktischen Sternenscheibe der Hamburger-Galaxis, der wird ans rettende Ufer der galaktischen Scheibe zurückgeschleppt - genau so wie eben Pamela Anderson, nur halt in galaktisch.

    🪐 Die Milchstraße🪐

    Über den „Milky Way“ halten sich hartnäckig viele Mythen.
    Viele glauben gar, die so genannte „Milchstraße“ sei eine Galaxie! Ich glaube, wir müssen mit diesem Fehlurteil gründlich aufräumen - indem wir uns in diesem Teil des Universums einmal kurz orientieren.

    Wir befinden uns im Einzugsgebiet der Hamburger-Galaxie: Sie sieht ein wenig aus wie ein aufgeschnittenes Sesambrötchen mit einer Scheibe Hackfleisch in der Mitte. Deshalb heißt sie auch so.
    Etwa zwei Millionen Sterne entwickeln zusammen eine weithin sichtbare Strahlkraft. Nicht alle davon sind große Leuchten, aber gemeinsam schicken sie ein weithin sichtbares Strahlen in die lichtlosen Tiefen des Universums. Um die Galaxie herum haben sich, wie um die Hüften eines leicht verwahrlosten Mittfünfzigers die Fettzellen, weitere Sternencluster angelagert: Sternenhaufen, - mit so klangvollen Namen wie Quickborn, Pinneberg, Schenefeld und Norderstedt -, bilden den deshalb so genannten „Speckgürtel“.

    Wenn man sich darüber hinausbewegt, beginnt schon bald das große Nichts. Nur vereinzelte Sterne glimmen einsam vor sich hin. Hierhin führen keine großen Hyperraumtrassen mehr. Wer hier von Stern zu Stern reisen möchte, muss Geduld haben!
    Nur der Starlightexpress AKN skatet ab und zu an einzelnen Sternen vorbei.
    Wenn ein Verkehrsmittel den Namen „Express“ trägt weiß man, dass warten angesagt ist. Findige Bewohner haben deshalb dort aus der Not heraus die „Wartebank“ erfunden: Man schickt ein Signal in den weiten Raum wohin man möchte, um mit Glück von einem vorbeieilenden Raumer per Traktorstrahl aufgelesen zu werden.

    Der große Entdecker und Raketenballistiker Christian Dietrich hat nun dereinst eine Route errechnet, wie sich diese einsamen Sterne in einem einzelnen Orbit mit akzeptablen Energieeinsatz umrunden und kreuzen lassen.
    Diese Route streift auch der Starlightexpress. Er hält notgedrungen an jedem noch so kleinen Sternensystem, quasi an jeder einzelnen Milchkanne.

    Voila: Willkommen auf der berühmten Milchstraße!

    🪐 Die Startsequenz 🪐

    Hamburger-Galaxie, Sternzeit 4:00.

    Der beste Einstiegspunkt in den Milky-Way-Orbit ist nur einen kurzen, samtigen Subraumsprung vom Zentrum der Galaxis entfernt - er lässt sich mit dem im Fachterminus als „Katzensprung“ bezeichneten Manöver flux erreichen. Der Lagrange-Punkt am Rande einer HVV-Expressroute ist eine Stelle, von der aus der Orbit gelingen sollte, der Stellingen-Punkt.

    „Hey Siri! Starte den Missionslog.“ „Missionslog gestartet.“

    Wade links und Wade rechts schalten auf Schub, die Beine werden vom Druck der Beschleunigung fest in die Pedale gedrückt. Um den Zugkräften der Beschleunigungssequenz standhalten zu können, hat sich Commander Bastian fest in den Pedalen verankert. Nur mit einer Notbewegung ließe sich diese Verbindung während des Fluges lösen….

    Die Mission steht scheinbar unter einem guten Stern: Während vor kurzem noch dichte stellare Wasserstoffwolken die Milchstraße unnavigierbar machten, sind heute nur feine Materiewolken detektierbar.

    🪐 Havarie in der Unendichkeit 🪐

    Doch schon im Volkspark-Sektor ist bei einem
    Swing-By-Manöver ein plötzlicher Schubwechsel vonnöten: Hinten Fluxkranz hochregeln, vorne auf Niederschub umschalten. Der Ionenkondensator heult und britzelt, die Ionenkette knirscht - STILLE.

    „Leutnant Uhura, Statusbericht!“
    „Es gab eine Interferenz zwischen vorderen und hinterem Fluxkranz. Wir haben einen gordischen Mondknoten in der Ionenkette - Wir können keinen Schub mehr auf den Ionenantrieb geben. Die Kette hat sich in eine Möbiusschleife gelegt.“
    „Wie kann sich eine Ionenkette in eine Möbiusschleife verwinden? Das ist physikalisch unmöglich!“
    „Wie Sie das genau hinbekommen haben, weiß ich jetzt auch nicht. Aber Sie HABEN es hinbekommen, Commander Bastian.“

    Commander Bastian überhört den arroganten Unterton in Uhuras Stimme. Techniker strahlen gerne eine leichte Arroganz aus, wenn sie Unwissenheit des Gegenübers wittern. Sie halten das für einen Ausweis von fachlicher Autorität. Leutnant Uhura hat ihr Diplom in Raketentechnik einst auf dem zweiten Bildungsweg erlangt; in fünf Abendkursen hob sie ihr Wissen raketengleich in ungeahnte Höhen. Seitdem kann sie Unwissenheit kaum ohne spitze Bemerkung ertragen.

    „Wie lösen wir das Problem?“
    „Möbiusband auftrennen, Ionenkette ausfädeln, neu einfädeln und wieder vernieten.“
    „VerNIETEN? Einfach nur VerNIETEN?“
    „Ja, ist halt keine Raketentechnik.“
    „Ach… nicht?“
    „Also, auch Raketentechnik ist halt … keine ääh, … Raketentechnik. Hier. Probier mal zu nieten.“

    Commander Bastian versucht sich im Halbdunkel am Ionenkettennieter. Irgendwo kullert ein Kettenröllchen in die Unendlichkeit. Also Kette einkürzen um ein Glied.
    „Geht doch!“

    Erneut Schub auf den Vortrieb…
    Der Orbiter bewegt sich mit neuer Geschwindigkeit in Richtung Elbe-Wasserstoffteilchenstrom.

    RRRRRRRRITSCH!!!

    „Was war das denn?“
    Die Ionenkette hat einen Teilchenströhmungsabriß erlitten und sich in einem unentwirrbaren Teilchenstrudeln um den Vortriebskranz gewickelt. Der Orbiter dümpelt manövrierunfähig im Nichts.
    „Nicht jede Niete kann nieten“ quittiert Uhura den erneuten Ausfall lapidar und hält Commander Bastian in einer betont teilnahmslosen Bewegung den Nieter unter die Nase.

    Commander Bastian möchte die Brocken schon hinwerfen und die Mission abbrechen und sich auf einer HVV-Expressroute zurück zum Heimatstern zurückbringen lassen, doch der Stolz ist größer.
    Nur keine Blöße geben!

    Es gelingt, nach einer mühevollen Kalibrierung des gesamten Schaltsystems, den Orbiter wieder auf Kurs zu bringen.

    🪐 Im Intergalaktischen Raum 🪐

    Der weitere Verlauf gestaltet sich relativ ereignislos, durchaus im positiven Sinne. Bis auf ein einzelnes Energiefeld, welches wie Treibsand im Getriebe das Fortkommen verlangsamt, ist der Milky Way ein hervorragend gescouteter Expressweg. So schwingt sich der Orbit von Milchkanne zu Milchkanne, die Gleichförmigkeit wird nur kurz unterbrochen von einem kurzen Stop im Bad-Bramstedt-System, um
    Proviant aufzunehmen.

    🪐 Das Schwarze Loch 🪐

    Die Monotonie des intergalaktischen Raumes schlägt irgendwann selbst dem erfahrensten Orbiter aufs Gemüt. Parsec für Parsec beginnt Commander Bastian die Restentfernung zum Startpunkt zu berechnen. Wie hinter dem Ereignishorizont eines schwarzen Lochs verschwindet die Motivation unseres erfahrenen alten Hasen im Nichts - wie von einem Staubsauger weggesaugt. Der Schub des Orbiters vermindert sich unmerklich und erreicht langsam die Reisegeschwindigkeit eines Kreuzfahrtschiffes in der Lagune Venedigs.

    „Sind wir bald da?“ ist ein Gedanke, der sich zunehmend unignorierbar in Commander Bastians Kopf penetrant um Aufmerksamkeit buhlend mit gespreizten Beine im Sessel lümmelt!

    🪐 Der Ritt auf der Quantenschleppe 🪐

    Plötzlich schält sich aus dem toten Winkel der Detektoren ein weiterer Orbiter aus der Dunkelheit des Alls.

    Mit atemberaubender Geschwindigkeit zieht er an Commander Bastians Raumkreuzer „Jenny Elbers“ vorbei, mit einem kurzen, knackigen „Hey, Hallo auch!“ auf der Grußfrequenz im Vorbeiflug gesendet.

    Mit einer plötzlichen scharfen Beschleunigung hängt sich Jenny Elbers hinter den Orbiter und nimmt Geschwindigkeit auf, bis sich der Kreuzer mit geringeren Energieaufwand im Schatten der Quantenschleppe in der Flugbahn des vorauseilenden Orbiters mitziehen lassen kann.

    Commander Bastian startet eine informelle Kontaktaufnahme über die Grußfrequenz.
    „Milky Way Mission?“
    „Jawoll.“
    Mehr Kommunikation ist nicht vonnöten. Zwei Mitglieder des Orbit360-Ordens erkennen sich anhand subtiler Zeichen und Codes - und an der ihnen eigenen verbissenen Eile.
    Die Kapitänin des Orbiters macht derweil keine Anstalten, ihre Geschwindigkeit zu drosseln oder gar eine weitere Konversation zu starten. Offensichtlich ist sie nicht bereit, ihren knappen Missionsplan einem Smalltalk mit einem abgehalfterten Orbiter AD zu opfern.

    Commander Bastians Ego ist plötzlich zu neuem Leben erwacht. Kann doch nicht sein, dass so ein Jungspund, noch dazu eine Frau (!!) ihm da den Schneid abkauft!

    Die Jenny Elbers gleitet in synchroner Geschwindigkeit hinter dem rasenden Orbiter hinterher. Die Kapitänin manövriert waghalsig wie ein Henker auf dem Weg zu einer Massenexekution - ungebremst jagt sie den Milky Way entlang!
    Unzählige kleine Shuttle, deren Freizeitkapitäne entspannt und ahnungslos zwischen den Sternen kreuzen, wissen nicht, dass sie das ungewollte Verkehrshindernis auf einer Expressroute darstellen. Die Kapitänin schickt Warnmitteilungen auf allen öffentlichen Frequenzen, sogar auf klingonisch, um ihrer Eile Nachdruck zu verleihen. „Hey! Hallooo! Platzda! KLINGELING!“

    Eilig manövrieren die kleinen Sternenkreuzer in letzter Sekunde beiseite.

    In einem irren Ritt durch die Unendlichkeit rasen die beiden Orbiter dem Ziel entgegen.

    Geschafft!

    Beide Orbiter zollen sich Respekt mit der Ghettofaust - dem Orbitersymbol höchsten Respekts.
    „Marion.“ „Jan.“ „Angenehm.“ „Ebenso.“

    „Wow, danke für Deine Quantenschleppe! Ohne Dich wäre ich auf der Strecke versackt!“
    „Nunja, eigentlich muss ich Dich vor dem Hohen Rat melden.“
    „Wieso?“
    „Du weißt schon, dass der Orbiterkodex untersagt, in der Quantenschleppe eines anderen Orbiters windschattenzufahren?“
    „Je nun. Ich wusste ja nicht, dass Du ein Orbiter bist.“
    „Spätestens als Du gefragt hast, wusstest Du es.“
    „Nun… ähm… greift hier nicht der Passus des so genannten ‚Trail Magic‘?“
    „Wir meinen?“
    „Nunja, Hilfe, dir einen durch Zufall auf der Strecke widerfährt, darf einem Orbiter zuteil werden.
    Magie der Strecke.“

    Der Kodex von Orbit360 war eigentlich ziemlich streng und eindeutig. Der Ruf der Orbiter rührte von ihrer Unerschrockenheit, ihrer Unbestechlichkeit und der Tatsache, dass sie alle Probleme aus eigener Kraft meisterten.
    Aber Commander Bastian war durchaus kreativ in der Auslegung von Regeln.
    Wie gut, dass er längst in Pension war!

    So konnte er nun gönnerhaft lächeln, hob sein Getränk um Gruß und ging von dannen in den Feierabend.

    Diese Marion würde ihm den Platz in den Büchern des Leaderboard streitig machen, das wusste er.
    Aber sein Alter gab ihm ein gewisses Maß an Gelassenheit.

    Sagte er sich.
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