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  • Day 382

    Fuego y Agua - Der Lauf

    February 22, 2020 in Nicaragua ⋅ ⛅ 31 °C

    Es ist soweit. 4:00 der Wecker klingelt. Eigentlich brauche ich ihn gar nicht. Stündlich wache ich auf aus Angst, dass ich den Start versäume. Gut, dass Fraser ein zweites Handy dabeihat, dass ich für Notfälle mitnehme. Luis Escobar (wer Born to Run gelesen hat weiß, wen ich meine 😉) versorgt mich am Tag zuvor mit Wasserflaschen und Energy-Gels. Fraser besteht außerdem darauf, dass ich ein Snickers und alle meine Elektrolyte mitnehme.

    Ich träume, dass ich auf die Zugspitze wandern will, es aber stürmt und ich in Windeseile wieder hinunterrase (ist ja schon mal passiert, was Zugspitz-Mädels?!).

    Ich hopse aufgeregt aus dem Bett. Hoffentlich hab ich nichts von den Utensilien vergessen, ohne die man nicht starten darf. Am Abend zuvor hatte ich die Liste nicht gefunden. 2L Wasser und eine Stirnlampe – war noch was? Egal. 4:30 ist check in. Ich laufe nach unten. Sydney, mit der ich tags zuvor den Check-in gemacht habe prüft, ob jeder Anwesende vollständig ausgerüstet ist. „Rettungsdecke“? fragt sie. Scheiße, die hab ich nicht eingepackt. Ich flitze nach oben ins Zimmer und packe meine Rettungsdecke aus meinem DAV-First-Aid-Kit. Dann erst fällt mir auf, dass mein Fuego y Agua Shirt, das ich trage aus Baumwolle ist. Nicht unbedingt vorteilhaft, wenn man viel schwitzt. Ich sause nochmal hoch und wechsel mein Shirt. Um 5 Uhr fällt dann der Startschuss. Die Truppe der 50km-Läufer saust los. Naja. Sausen wäre was anderes. Fraser und die anderen haben mir eingebläut, ich solle nicht zu schnell loslaufen. Aber so langsam wie die sich alle bewegen kann ich gar nicht laufen, da fällt man ja um. Das ist höchstens ein Drittel der Geschwindigkeit, die ich normalerweise laufen würde. Ich entscheide mich für die Hälfte meiner normalen Geschwindigkeit und ziehe an den meisten Läufern vorbei. Es geht etwa 5km den Strand entlang. Es ist noch dunkel und kühl. Warum nicht jetzt ein paar Kilometer hinter sich bringen, und dann lieber in der Mittagshitze langsam gehen? Nun ja, es ist mein erster Lauf, ich muss wohl erst mal testen, was für mich das Beste ist. Nach etwa 5 km verlassen wir den Strand und folgen der Teerstraße Richtung Balgue, von wo aus es rauf über die Finca Magdalena auf den Vulkan geht. Allison und Gabe sind dort bei der ersten Aid Station. Ich quatsche ein wenig mit ihnen, als ich mir Wasser für meine Elektrolyte hole. Ein Mädel zieht an der Gruppe der umstehenden vorbei. Das scheint wohl die Nummer 1 zu sein. Ich laufe weiter. Gut, dass ich den Weg schon kenne. Es dämmert mittlerweile aber auch, so dass ich meine Stirnlampe nicht brauche (ich hatte sie eh kaum an, ich lauf ja lieber im dunkeln). Bis zum Aussichtspunkt laufe ich hinter einem Typen her. Ich will dort Pause machen und die Aussicht genießen, die es aber leider nicht gibt. Mädel 2 zieht an mir vorbei. Ich schließe mich hinten an. Bis zum Check-Point auf dem Vulkan habe ich sie aus den Augen verloren. Auch wenn ich gerne wander, der Vulkan ist schon echt steil. Und kein Bier wartet oben am Gipfel. Nur Nebel und Kälte und Matsch. Mehr als einmal frage ich mich, ob ich mir das wirklich ein zweites Mal antun möchte, oder einfach unten aufhöre. Oder vielleicht doch die 12 km versuchen? Danach kann ich es mir immer noch überlegen.

    Im Krater des Vulkans treffe ich auf Mark, einem der Voluntäre, der uns tags zuvor beim Check-in geholfen hatte. Bei jeder Station werden unseren Nummern vermerkt, für den Fall, dass jemand verloren geht. Er und Gerhard – einer der Organisatoren – haben hier oben in der Kälte gezeltet, um vor den ersten Läufern hier zu sein. Es ist toll ein bekanntes Gesicht zu sehen und eine Umarmung zu bekommen.

    Es geht weiter an der kleinen Lagune im Krater vorbei – mann ist das matschig – und nach einem kurzen Aufstieg auf der anderen Seite des Vulkans hinab. Als ich durch den Matsch laufe, hole ich das Mädel Nummer 2 ein. „Ich hasse Matsch. Ich mag lieber die Hitze.“ „Dann sehen wir uns, wenn du mich auf den 12km entlang des Vulkans in der Mittagshitze überholst“ sage ich mit einem Zwinkern, als ich an ihr vorbeilaufe und meinen Beinen freien Lauf lasse. Es ist wie beim wildesten Spartanrace: Matsch bis zum Knie. Meine Schuhe bleiben aber an den Füßen. Als es dann endlich wieder trocken wird, geht’s noch schneller den Berg hinunter. Wie von der Wespe gestochen flitze ich den Abhang hinunter. Das ist genau mein Ding hier, technisches Bergablaufen, zwischen Steinen und Wurzeln. Ich überhole ein paar Männer, die mit Stöcken den Berg hinuntertraben und freue mich über die nächste Aid-Station. Ich trinke Cola, esse Bananen, Kartoffeln, Melone und Ananas, bevor ich mich an die 12 km wage. Es ist 9:20, d.h. ich bin etwas über eine halbe Stunde früher dran, als geplant. Gut gelaunt mache ich mich nach etwa 10 Minuten Pause auf dem Weg. Es ist jetzt schon unglaublich heiß und staubtrocken. Ich versuche zu laufen, meine Füße wollen aber gar nicht so recht. Gott sei Dank sind überall fröhliche Kinder, die winken und sich freuen, ich grüße und winke in alle Richtungen. Einen weiteren Läufer kann ich in der Ferne erkennen. Bergauf gehe ich, bergab laufe ich und auf der Geraden laufe ich in der Sonne und gehe im Schatten. Nach einer halben Stunde flitzt plötzlich Nummer 2 an mir vorbei: „Das ist genau meine Temperatur“ sagt sie und kann mich sogar motivieren, ein bißchen mitzuhalten, bis ich bei der nächsten Steigung aufgebe und sie langsam aber stetig mit einem anderen Läufer in der Ferne verschwindet. Nach einer Stunde bin ich so geschafft und ausgelaugt, dass ich an einer kleinen Tienda Halt mache. Eine kühle Cola aus der Glasflasche. Toll! In einem Zug trinke ich die Flasche leer, bedanke mich und mache mich wieder auf den Weg. Der andere Läufer, den ich in der Zwischenzeit überholt hatte, hat fast wieder aufgeholt. Als ich kurz darauf noch ein paar Affen beobachte ist er fast wieder gleichauf. Die Straße scheint kein Ende nehmen zu wollen. Ich überlege, ob ich hier einfach aufgebe. Wie weit kann es wohl noch sein? Wieso ist nirgendwo ein Schild, wie weit es noch bis zur Finka Mistika, der nächsten Aid-Station ist? Bin ich noch richtig? Wann war die letzte Markierung? Wie weit ist wohl Nummer 2 mittlerweile? Oh, da hinten ist der See. Ich glaub, ich spring einfach rein und trink ihn aus. Nein, ich schaff es noch bis zur Finca. Und plötzlich, nach einer Ewigkeit sehe ich sie: Carlos und Yuriel vor einem Tisch mit Essen und Getränken. Dort macht sich auch Nummer 2 gerade an den Aufstieg. Mir Wurst, ich mach Pause. Yuriel nimmt mir meine Laufweste ab und füllt meine Wasserflaschen, während ich in voller Montur in den See renne. Meine Schuhe sind noch voll Schlamm, ganz zu schweigen von mir. Ich wasche mich so gut es geht, quatsche mit Robin, dem schwedischen Guide, der leider wg. Rückenproblemen hier aufhört und den anderen Nica Guides. Etwas über die Hälfte sollte ich jetzt hinter mir haben. Nach etwa 15-20 Minuten mache ich mich um 11:25 wieder auf den Weg. Vielleicht schaffe ich es sogar etwas früher ins Ziel? Hm. Erst mal abwarten. Energiegetankt schlage ich den Weg Richtung Finca ein. Es geht leicht bergauf. Lange halte ich das Lauftempo nicht durch und wandere stattdessen zügig, bis es auch dafür zu steil wird. Gefühlt senkrecht geht es nach oben. Meine Beine wollen nicht mehr. Ich bleibe häufig stehen, um meine Waden zu dehnen, die sehr unter dem Aufstieg leiden und versuche, aus den Oberschenkeln zu arbeiten. Als mir etwas schwindlig wird, packe ich mein Snickers aus. Das ist genau das richtige und gibt mir neue Energie. Nach einer gefühlten Ewigkeit, 1,5 l Wasser mit Elektrolyten, dem Snickers und einem Powergel später komme ich an eine Passage, die nur mit Hilfe der Arme zu meistern ist. Ich glaube, ich bin falsch abgebogen und mache grad den Survival Run und nicht den Ultratrailrun. Zu gerne würde ich aufgeben, aber wo soll ich hin? Nach unten ist es jetzt sicher weiter als nach oben. Weit kann es jetzt ja nun nicht mehr sein.

    Doch, es kann. Als ich schon gar nicht mehr daran glaube, dass der Berg irgendwann ein Ende nimmt, stehe ich plötzlich oben am Krater. Einsam sitzt ein Nica Guide im T-Shirt da und begrüßt mich. Ein eisiger Wind braust mir um die Ohren. „Ist alles Ok? Der Wind ist ja wahnsinnig!“ sage ich. „Ja, alles klar“ meint er nur und fügt hinzu „Den weißen Markierungen folgen, nicht den blauen“. Ich bedanke mich und freue mich auf den Abstieg. Hoffentlich wars das jetzt mit Höhenmetern. Mein Körper will nicht mehr nach oben. Als erstes muss ich nun durch das Schlammgebiet, an dem ich vor zwei Wochen umgedreht bin. Knöcheltief sinke ich in den schwarzen Schlamm. Ein Engländer watet langsam durch den Matsch. Er ist einer der 25km-Läufer und sieht nicht fröhlich aus. „Bald gibt’s ein kaltes Bier“ sage ich als ich ihn überhole. Vorsichtig balanciere ich über Äste und Steine, um nicht zu tief im Dreck einzusinken, auch wenn es ohnehin egal ist, da ich eh schon wieder komplett verschlammt bin. Ziemlich lange bleibt es sehr schlammig, so dass ich nicht rennen kann, wie ich es üblicherweise bergab tu. Das ist sehr frustrierend und zehrt an den Kräften. Ich mag nicht mehr. Vielleicht hör ich bei der nächsten Aid Station auf? Ich frag einfach, wie lange es dann noch ist. Als ich so in meine Gedanken vertieft bin, höre ich plötzlich jemanden von hinten. Ein Mädel begrüßt mich, ich lass sie vorbei. Äh, halt mal. Wieso hat die denn noch so viel Energie? Und wo kommt die überhaupt her so plötzlich? Ja, ich bin schon ziemlich lahm den Berg rauf, es ist mittlerweile ungefähr 3 Uhr. Ich laufe etwas schneller. So langsam kommen wir aus der kalten nassen Zone in die trockene. Robin hatte mir schon gesagt, dass der Weg ziemlich gut ist, wenn man technisches Bergablaufen mag. Kurz darauf hole ich die kleine Lateinamerikanerin wieder ein. Sie ist nicht gut im Bergablaufen sagt sie und lässt mich vorbei. Und nun lass ich meinen Beinen wieder freien Lauf. Ich bin selbst erstaunt, wie schnell meine Füße noch laufen können. Ich überhole 3 Läufer der 25 km-Truppe und 3 weitere von den 50km. Kurz halte ich an. Ein Herr führt seinen Hund spazieren. „Können Sie mir vielleicht mein Wasser aus der Tasche hinten geben? Ich verdurste gleich.“ Er reicht mir die Flasche, ich bedanke mich und ich fülle – während dem Laufen – Elektrolytpulver in das Wasser. Und ab geht’s. Meine Füße laufen so schnell, dass ich nicht mal sehen kann, wo ich hintrete. Ich hüpfe über Steine und Wurzeln von links nach rechts, vorbei an weiteren Läufern. Einer hat beide seiner Schuhsohlen in der Hand. „Alles klar?“ frage ich, die Bremsen reinhauend. „Naja. Meine Schuhe sind hinüber und ich hab fast kein Wasser mehr.“ sagt er. Die nächste Aid Station sollte nicht mehr weit sein, meine ich und laufe weiter. Kurz darauf sehe ich einen Haufen Leute, Essen und Trinken. „Wie weit ist es noch?“ frage ich Carlos, der zwischenzeitlich an dieser Station angekommen ist. „5km. Halbe Stunde.“ sagt er. „Super, ich hab nämlich keine Lust mehr zu laufen. Ich brauch nix, das schaffe ich noch ohne.“ Und weiter geht’s den Berg hinab. Es ist wieder verdammt heiß und ich hoffe dass der Liter Wasser tatsächlich noch reicht. Ich komme an der Straße an, die Richtung Santo Domingo führt und trabe sie entlang bis es zum Strand runtergeht. Dort angekommen, ziehe ich meine Schuhe aus und laufe barfuß (quasi barfuß barfuß) zum Wasser hinunter, um meine Füße zu kühlen. Und da sehe ich es, das Ziel, ganz da hinten am anderen Ende des Strandes. Schaffe ich das? Jetzt aufgeben ist wohl etwas albern. Ich fange an, zu joggen. Nach ein paar hundert Metern gehe ich ein paar Schritte, dann jogge ich wieder. So im Wechsel nähere ich mir dem Ziel. Ein Nica Bauer kommt mir auf seinem Pferd entgegen, zwei weitere Pferde folgen ihm. Ich nehme das als Entschuldigung, stehenzubleiben. Ich gebe mir einen Ruck. Joggen. Gehen. Joggen. Gehen. Das Ziel kommt in der Tat näher. Und dann, als die Leute anfangen zu klatschen, packe ich meine letzten Reserven aus und spurte ins Ziel, wo ich mich in den Sand fallen lasse. Meine Beine wollen nicht mehr. Allison kommt mit der Medallie auf mich zu und Sean eröffnet mir, dass ich heute, an meinem ersten Ultramarathon nach 11 Stunden und 44 Minuten als dritte Frau über die Ziellinie gekommen bin, hinter einer Deutschen (Münchnerin, die wohl ständig die Spartan Races gewinnt) und Nummer 2 aus Costa Rica. Ich weiß gar nicht, was ich sagen soll! Fraser kommt gerade herunter, sieht mich und kann es auch nicht glauben, dass ich tatsächlich Nummer 3 geworden bin. Als hätte er gerade selbst einen Marathon gewonnen, freut er sich für mich. Mein Coach halt, dem ich nie zuhöre und am Ende doch froh bin, dass ich all das Zeugs eingepackt hab, wie er es mir gesagt hat. Traditionsgemäß erhalten Plätze 1 bis 3 eine Maske, die von einem Künstler aus Managua handgefertigt werden. Dann schlürfe ich mein Bier, im Sand sitzend. Aufstehen kann ich gerade nicht mehr. Ich kann es auch noch gar nicht fassen. Es ist vorbei! Ich habs geschafft. Es ist ein unglaubliches Gefühl. Ob ich es nochmal machen möchte? Nein. Das soll ich erstmal abwarten, meint Allison mit einem Zwinkern (sie selbst ist Marathonläuferin).

    Ich lege mich etwas hin, esse Lasagne und nach dem Sturm, der um 18 Uhr die Insel heimsucht und uns alle um die Läufer auf den Vulkanen bangen lässt, sitze ich bis 0:30 am Strand, schaue den Sternenhimmel an und feuere die nächsten Läufer an, die nach und nach ins Ziel trotten. Am Ende kommen alle Läufer ins Ziel (also nicht alle, viele geben unterwegs auf, aber alle sind am Ende wohlbehalten zurück im Hotel Villa Paradiso), der letzte 100km-Läufer allerdings erst um 6:18, nach über 28 Stunden 18 Minuten nach der Cut-Off-Zeit. Das laufen doch nur Verrückte!! Der schnellste hat dieses Jahr übrigens den Rekord gebrochen mit 18 Stunden und 9 Minuten.

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    Nachtrag: der Tag vor dem Lauf. Ich hatte Sean & Fraser meine Mithilfe versprochen und helfe beim Registrieren und der T-Shirt-Ausgabe. Zusammen mit Sydney aus Guatemala. Wir beide verstehen uns gleich super. Sie spricht nicht so gut Englisch und mein Spanisch ist auch mehr als nur eingerostet. Und so spricht sie Spanisch und ich Englisch - verstehen können wir nämlich jeweils die andere Sprache.

    Der Andrang ist ziemlich groß und daher kommt uns im Laufe des Tages noch Mark zu Hilfe. Immerhin sollen wir nebenher auch noch Murchandise-Artikel verkaufen. Da heute mein Geburtstag ist (wie ich einem Läufer verrate, der ebenfalls seinen Geburtstag feiert) und ich zudem so aufgeregt bin wg. dem Lauf am folgenden Tag, habe ich mir einen Cuba Libre aus meiner Cola gemacht. So merke ich auch kaum, dass ich den ganzen Tag hinter der Theke stehe. Irgendwann meint Mark, ich solle doch mal ne Pause machen und ich lege mich in der Tat etwas hin. Meine Beine sind ganz schwer vom vielen Stehen und morgen sollen sie immerhin 50 km auf und ab laufen.
    Am Abend verrät mich Fraser an ein paar Leute, so dass immer wieder jemand mit einem Schnapps zum Anstoßen vor mir steht. Jeder der mich kennt weiß, wie schwer mir nein sagen fällt. Irgendwie tut es schon gut - diese Aufregung vor dem morgigen Tag - aber oh Mann, ob das gutgehen wird morgen?? Um 20 Uhr verabschiede ich mich dann Richtung Zimmer. Na dann, gute Nacht!
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