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  • Day 386

    Gestrandet in Bogotá

    February 26, 2020 in Colombia ⋅ 🌧 17 °C

    Oh mein Gott, ich kann es nicht fassen. Es fühlt sich an wie ein Albtraum, aus dem ich nicht erwachen kann, als mir die Dame am Gate sagt, dass die Maschine Richtung München bereits auf die Startbahn rollt. "Das geht nicht, ich muss an Board." Ich bin vollkommen verzweifelt. "Es tut mir leid, wir können nichts machen. Sie müssen aus dem Sicherheitsbereich und den Flug auf Donnerstag umbuchen. Morgen fliegt keine Maschine." Ich weiß nicht was ich machen soll, kann es einfach nicht glauben, dass ich  nun in Kolumbien festsitze. Das kann nicht wahr sein. Ich stehe kurz vor einer Panikattacke, kalter Schweiß steht mir auf der Stirn. Es ist fast Mitternacht und ich bin in Bogota. Ich weiß weder, wie sicher das Land derzeit ist, noch hab ich ich einen Cent in der Tasche. Ich weiß nicht mal, welche Währung es hier gibt.

    Ich gehe zurück aus dem Sicherheitsbereich, durch einsame Korridore zur Immigration. Kürzlich ist wohl eine Maschine aus München gelandet, voraussichtlich die, mit der ich jetzt gerade zurückfliegen würde. Die Insassen sind gespannt auf ihr Abenteuer. Ich stehe hinter ihnen, immer noch mit den Tränen kämpfend und versuchend, meinen Atem zu kontrollieren - tief ein- und ausatmen. Ich versuche, ein Hotelzimmer in der Nähe des Flughafens zu buchen. Ich finde ein paar, 15 US$, etwa 4 km entfernt. Die ständig verschwindende Internetverbindung des Flughafens macht das Unterfangen nicht einfach. Als ich von der Polizistin am Schalter nach meinem Hotel gefragt werde, lege ich ihr das Handy hin mit den Infos zu dem gerade gebuchten Zimmer. "Wie lange bleiben Sie?" werde ich gefragt. Ich weiß es nicht, 2 oder 3 Tage, bis ich einen Flug nach Hause bekomme??

    Ich stehe an einem Geldautomaten. Das Internet lässt mich im Stich. Ich möchte den Umrechnungskurs herausfinden, bevor ich Geld für die Taxifahrt abhebe. Vor mir stehen ein paar Deutsche und Schweizer und unterhalten sich über den Wechselkurs. Mir hilft das nicht, weil ich nicht denken kann. Am Ende ist es egal, der Automat spuckt kein Geld aus für mich. Gerade hatte ich mich etwas beruhigt und schon steigt die Panik wieder auf in mir. Ohne Geld in Kolumbien um Mitternacht - wie soll das gehen? Was soll ich nur tun? Ich atme ein paarmal tief durch. Ein Schritt nach dem anderen. Ich gehe hinaus durch den Zoll. Dort warten ein paar Leute mit Schildern auf Reisende. Wie in Trance laufe ich in Richtung Taxis. Eine Dame kommt auf mich zu und fragt, wo ich hin möchte. Ich frage sie, was es zu meinem Hotel kosten würde. 30.000 (was auch immer die Währung ist). Ich laufe zum nächsten Automaten und will 60.000 Pesos (wie ich nun herausfinde) abheben. Erneut ohne Erfolg. Ich sage das der Dame, die meint, wir könnten unterwegs an einem Automaten vorbeifahren. 15 Minuten später stehen wir vor dem Hotel. "Und der Automat? Ich habe doch kein Geld." bemerke ich. "Hast du GAR kein Geld?" Mir fallen die 10€ ein, die ich seit über einem Jahr in meinem Geldbeutel mit mir rumtrage. "Nun ja, ich habe 10€." Das wird reichen, meint sie, und versichert mir, dass die Gegend hier tagsüber sicher ist als sie wartet, bis ich im Hotel bin. (10€ sind im übrigen 37.000 Pesos, da ich ansonsten nichts hatte, ist das schon ok).

    Ich bin nicht die einzige, die eincheckt. Gerade erklärt ein Herr mittleren Alters etwas über ein kleines Kind und der Rezeptionist telefoniert lange mit der Polizei.  Genau verstehe ich nicht das Problem, ich komme mittendrin hinzu. Aber irendwas ist faul. Vielleicht ist mein Problem doch nicht so schlimm? Das kleine Mädchen ist sicher schlechter dran...

    Dennoch stehe ich nun hier, obwohl ich mich einfach nur auf ein Bett werfen und losheulen will, wahlweise mich mit den drei übrigen Aguila-Bieren betrinken. Als ich dann endlich in meinem fensterlosen kleinen Zimmer bin, kann ich nicht mal mehr heulen. Warum auch, es hilft ja nichts. Ich schreibe nach Hause, dass ich meinen Flieger verpasst hab und schlafe bald darauf ein.

    Als ich Morgens aufwache und bemerke, dass es nicht nur ein schlimmer Traum war, steigt dieses panikartige Gefühl wieder in mir auf. Wie soll ich nun ohne Geld weiterkommen? Meine Kreditkarte hat glücklicherweise im Hotel funktioniert, also bargeldlos sollte möglich sein. Ich beschließe, erstmal zum Flughafen zu laufen - ja, laufen - und von dort weiter zu entscheiden. Bin ich froh, dass Fraser mir sein Handy überlassen hat. Wie würde ich das hier ohne Handy machen?

    Ich laufe los. Laut google maps brauche ich etwa eine Stunde zum Flughafen und es ist nicht sonderlich kompliziert. Wie früher schon, laufe ich durch die Stadt, als wäre ich hier zu Hause. Die Strecke hab ich im Kopf. Das klappt immer noch ganz gut. Zudem sieht es hier in der Tat nicht sehr gefährlich aus. Von der gegenüberliegenden Straßenseite winkt ein Polizist herüber "Hello" ruft er und "bye bye" mit einem riesigen Lächeln auf dem Gesicht. Kurz darauf hält mich ein Mann auf, ob ich Zeit hätte auf ein Mittagessen. Er gehört zu einer Relligionsgemeinschaft und ich verneine. Kurz unterhalte ich mich mit ihm - ja, auf Spanisch und es funktioniert! Als ich ihm sage, dass ich einen Flug nach Deutschland brauche sagt er: "Bleib doch lieber hier. Dort ist es doch so schlimm mit diesem Corona-Virus". ich lache und laufe weiter. Die Leute hier scheinen wirklich alle sehr nett zu sein.

    Am Flughafen angekommen laufe ich zum Schalter von Avianca. Wie es passieren konnte, dass ich meinen Flug verpasst habe, ob es in El Salvador schon Probleme gegeben habe? Es gibt wirklich keine gute Antwort, die mir helfen würde, eine kostenlose Umbuchung zu rechtfertigen. Die Wahrheit ist, dass ich nicht bemerkt habe, dass 1 Stunde Zeitverschiebung ist zwischen Nicaragua und Kolumbien. Mein Laptop stellt die Zeit nicht automatisch um. Und da ich - wegen der vielen nervigen Durchsagen am Flughafen (haha) und, weil ich mir Zumba-Choreografien ausdenke - meine Kopfhörer in den Ohren hab, bekomme ich nicht mit, als das boarding losgeht. Als ich dann um wie ich denke kurz nach 22 Uhr zum Zähneputzen gehe, fällt mein Blick auf eine Uhr. Es ist bereits nach 23 Uhr und trotz dem, dass es noch nicht 23:20 ist, der Abflugszeit, ist die Maschine schon weg, als ich am Schalter angerannt komme. Allein der Gedanke daran dreht meinen Magen um. 490 US$ muss ich für die Umbuchung zahlen. Unter 400 hätte es gekostet, hätte ich sofort zugestimmt. Aber ich wollte erst noch schauen, ob ich einen anderen Flug noch am gleichen Tag bekomme, statt die Maschine morgen Abend. Immerhin ist es erst 10 Uhr Morgens. Am Ende nehme ich die Maschine am Donnerstag, da das ein Direktflug ist und immer noch billiger als die anderen und buche mich im Hilton Airport Hotel für weitere 100€ ein. Jetzt ist es schon egal und ich brauch einfach ein schönes Hotel. Ich trinke noch einen Kaffee, dann laufe ich zum Hotel. Wieder etwa eine Stunde laufe ich, die Bewegung tut richtig gut. Schon am Morgen war meine Laune nach dem Spaziergang um einiges besser, vor allem wegen der netten Leute, die mir ein Lächeln aufs Gesicht zaubern. Glücklicherweise kann ich mein Gepäck bei Avianca lassen, so dass ich nur mit Handgepäck durch die Gegend laufe. Ich weiß schon, warum ich immer meine Zahnbürste und ein extra T-Shirt und Unterwäsche dabei habe ;-) 3 Bier hab ich auch noch - sooo schlimm ist die Situation also nicht, oder? (haha)

    Um 12 Uhr darf ich im Hilton schon frühzeitig auf mein Zimmer. So kann ich nun 24 Stunden die Vorzüge des Hotels nutzen, hier in meinem tollen Hotelzimmer im 8. Stock mit Blick auf Bogota. Das Hotel bietet auch einen Welcome-Drink an den ich am späten Nachmittag neben einer leckeren Gemüsepizza einlöse. Im Anschluss gehts in einen der beiden Yakuzzis, den ich für mich alleine hab. Das tut wahnsinnig gut nach dem Stress der letzten Tage. Im Anschluss finde ich im riesigen Bett mit den 4 Kissen einen ruhigen Schlaf, bevor ich um 9 Uhr für eine Stunde am Frühstücksbuffet schlemme. Das wird meine letzte Mahlzeit bis ich im Flieger essen bekomme - also etwa 15 Stunden später.

    Was für ein sinnbefreites Erlebnis! Aber wie heißt es so schön: EVERYTHING HAPPENS FOR A REASON. Auch wenn ich diesen Grund heute noch nicht sehen kann.
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