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  • Day 72

    Mal was anderes

    October 29, 2015 in Japan ⋅ 🌙 13 °C

    Meistens berichte ich hier nur von tollen Erlebnissen und Abenteuern. Es stimmt: Ich erlebe hier viele außergewöhnliche Dinge, die zu Hause so nicht möglich wären und daher versuche ich auch diese Abenteuer zu genießen!
    Es gibt jedoch natürlich auch einen anderen Teil des Lebens hier. Vielleicht habt ihr euch schon gefragt, wie ich hier im Alltag klarkomme, wie mein Studium läuft oder ob ich vielleicht mal Heimweh habe.
    Es geht ehrlichgesagt auf und ab. Eine neue schwierige Erfahrung, die ich hier mache, ist das Führen einer Fernbeziehung. Ich habe dies vorher nicht als ein Problem gesehen - eher so , als wäre man einfach 5 Monate getrennt und dann läuft schon alles weiter wie vorher. Wie lang 5 Monate jedoch wirklich sein können, war mir nicht bewusst...5 Monate ohne den anderen zu sehen, zu spüren...auch Kommunikation ist viel schwieriger über Skype und der Zeitunterschied beträgt 8 Stunden.
    Der letzte Monat war für mich wirklich ein Krisenmonat und das Vermissen war manchmal größer als das Genießen der neuen Erfahrungen. So einen Zustand kannte ich vorher nicht wirklich und es war für mich manchmal sehr sehr schwer, sodass einige Freunde mir einige Stunden am Telefon helfen mussten. Ohne diese Freunde wäre ich jetzt vielleicht schon wieder in Deutschland und ich hätte das Semester hier nicht durchgezogen. Darum freue ich mich sehr, dass ich mit ihrer Hilfe diese Krise (beinahe) übestanden habe und es mir schon viel besser geht. Ich glaube, dass Ivy und ich langsam lernen, wie Kommunikation in so einer großen Entfernung funktioniert, dass eine Beziehung in so einer großen Entfernung leider nur sehr eingeschränkt funktioniert, dass man voneinander nicht zu viel erwarten sollte und dass ein Auslandssemester auch irgendwann vorbei geht und damit auch die räumliche (und irgendwie auch zeitliche) Trennung aufgehoben ist. Auch wenn diese Erfahrungen schwierig und nicht so positiv klingen, bringen sie mir glaub ich genauso viel oder für die Zukunft vielleicht sogar noch mehr als all die coolen Abenteuer, die ich hier erlebe.
    Die negativen Gefühle, die ich hatte und ab und zu auch noch habe helfen mir dabei Gewohnheiten zu verändern, die ich vorher entweder nicht bemerkt habe oder einfach nicht verändern wollte. Ich räume jetzt z.B. sehr regelmäßig auf, was meinen Alltag viel einfacher und angenehmer macht oder ich habe Lust Sachen zu verändern, auf die ich vorher keine Lust hatte: Ich habe eine alte Gitarre aus dem Gemeinschaftsraum genommen, neue Saiten gekauft und sie so aufgespannt, dass ich als Linkshänder drauf spielen kann. Ich versuche auch regelmäßig Fitnesstraining und Yoga zu machen. Diese Sachen machen mich relativ glücklich und können mich ganz gut ablenken, wenn es mal nicht so gut läuft.
    Ich bin im Moment auch viel zuversichtlicher als noch vor zwei Wochen und ich habe wieder viel mehr Hoffnung , dass aus der Fernbeziehung bald wieder eine "normale" Beziehung wird (es gab wieder viele Lichtblicke :-* )

    Das Studium wird auch immer besser! Meine Fächer sind "Buddhismus", "Shinto- and Folkreligion", "Japanisches Christentum", "Neue Religionen", "Buddhist Text-Reading" und "Christilich-buddhistischer Dialog". Das ist eigentlich genau das, wonach ich gesucht habe! Ich habe mich immer sehr für Buddhismus, Christentum und Asien interessiert, so dass ich es thematisch nicht hätte besser erwischen können. Das tolle ist, dass wir am Wochenende oft "Field-Trips" machen. Bisher haben wir schon mehrere Tempel besucht, z.B. einen Zen-Tempel, wo wir mit einem Mönch Meditation ausprobiert haben, wir waren in Nara, die japanische Hauptstadt des 8. Jahrhunderts, wo es atemberaubende Tempelanlagen gibt, wir waren in Tenri, das Zentrum einer der größten "neuen" Religionen Japans und wir haben uns schon zweimal mit Studenten von buddhistischen Unis getroffen. Gestern waren wir beispielsweise in einer Fakultät, die ein Seelsorgesystem in Japan etablieren möchte. Seelsorge gibt es in Japan nicht und über Gefühle zu sprechen ist hier sehr unüblich. Erst durch den Tsunami in der Fukushima-Region ist einigen Helfern bewusst geworden, wie nötig es ist, dass die Opfer dieser Katastrophe über ihr Leid sprechen müssen. Darum versucht die Ryokoku-Uni (wo wir gestern waren) ein Seelsorgesystem in buddhistischen Shin-Klöstern zu etablieren und haben uns daher gefragt, wie unser Seelsorgesystem in Deutschland funktioniert. Das lustige war, dass ich mich nachher mit vielen Studenten unterhalten haben, die später Shin-Priester werden wollen. Sie studieren also so etwas ähnliches, wie Theologie und sie wirkten auf mich auch genauso "normal" wie ich (wir Deutschen denken ja immer, dass Buddhisten nur mit Kutte und kahl-geschorenem Kopf durch die Gegend laufen ;-) )

    Naja das wars erstmal. Irgendwie hatte ich das Gefühl, dass ich den Lesern etwas vorenthalte, wenn ich immer nur von meinen Freizeit-Erlebnissen berichte, den Rest aber außenvor lasse. Nächstes Mal kommt aber bestimmt wieder ein Freizeit-Erlebnis :P
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