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  • Day 45

    Varanasi, zweiter Teil (06.04. - 08.04.)

    April 8, 2016 in India ⋅ ⛅ 38 °C

    Achja, die Leichenteile. Nun, bei dieser Zeremonie wird natürlich alles restlos verbrannt, die überbleibende Asche wird in den Ganges gekippt. Allerdings darf nicht jeder Mensch verbrannt werden: Heilige und Kinder haben reine Seelen und werden stattdessen im Allgemeinen begraben. In Varanasi jedoch werden sie im Fluss versenkt. Dazu nehmen die Verwandten einen großen Stein und wickeln den Leichnam mit einem großen Tuch daran fest. Danach fahren sie mit einem Boot in die Mitte des Ganges und werfen das Bündel über Bord. Dieses Ritual wird seit über 2000 Jahren - den Hinduismus gibt's seit rund 2500 Jahren, die Rituale sind ebenso alt und unverändert und Varanasi ist die älteste durchgängig bewohnte Stadt der Welt - so praktiziert. Wer will, kann sich ausrechnen, wie viele Menschen mehr oder weniger verwest am Grund des Flusses liegen und kommt schnell drauf, dass da auch mal etwas an die Oberfläche treibt. Einschlägige Bilder gibt's bei Google. Vorher aber besser nichts essen. Das erklärt jedenfalls, warum die Bakterienbelastung so immens ist.
    Und trotzdem wird sich in dem Wasser gewaschen, es wird gebadet und geplanscht, einfach weil der Glaube an das Karma und die Reinigung dessen stärker ist, als jeder Gedanke daran, dass dieses Wasser einen richtig krank machen kann. Und weil das Immunsystem sich daran zumindest ein bisschen anpasst. Achja, Gangeswasser wird auch von Homöopathen verwendet, aber zum Glück verdünnen die ihre Mittel ja so stark, dass die Bakterienbelastung wohl wieder auf ein normales Niveau fällt. Aber wenn sich die Arznei wirklich merkt, was mit ihr geschehen ist, also dass Leichen drin rumgeschwommen sind, würde ich mir das wohl auch als überzeugter Homöopath wohl eher klemmen...
    All diese Dinge erfuhren wir bei einer Bootsfahrt zum Sonnenaufgang, für die wir um vier Uhr aufstehen mussten, weil der Startpunkt am Assi Ghat lag, unser Hotel aber am Dashashwamedh Ghat. Aber das frühe Aufstehen hat sich sehr gelohnt. Morgens ist die Stadt noch verhältnismäßig ruhig, es sind wenige Leute in den Gassen, sodass man gute Chancen hat, ein Loch im Kuhmistteppich auf dem Boden zu finden und der Blick auf den Ganges kurz nach Sonnenaufgang ist einmalig.
    Nachdem wir aber so früh raus sind und ich noch etwas zu Kräften kommen musste, haben wir uns in der Mittagshitze erstmal wieder hingelegt.
    Nachmittags wollte ich mir Kashi Vishwanath anschauen, einen der heiligsten Tempel des Hinduismus (geübte Civilization IV-Spieler kennen ihn als den religiösen Schrein, den man als Gründer des Hinduismus errichten kann ;-) ). Wir wussten vorher, dass Nicht-Hindus keinen Zutritt haben, aber hey, auf einen Blick von außen auf den goldenen Tempel wird man ja wohl hoffen dürfen. Nun, leider nicht. Nachdem wir auf Geheiß eines Polizisten, der den Eingang zur Gasse, in der sich der Tempel befindet, bewacht, bis auf die Reisepässe alle Sachen ins zum Glück nur drei Minuten entfernte Hotel zurück gebracht hatten, durften wir eintreten. Leider war die Gasse wie jede andere: sehr eng und durch Gebäude nach links und rechts beschränkt und da, wo kein Gebäude stand, war eine Plane über den Weg gespannt. Keine Chance, irgendetwas zu sehen. Der heiße Tipp eines Wachmanns, uns auf eine spezielle Treppe zu stellen, war auch nicht wirklich gut, denn man sah vielleicht einen Meter der Spitze des Tempels. Da haben wir auf eigene Faust einen besseren Platz gefunden: Wenn man an der Sicherheitskontrolle vorbei geht, ist kurz dahinter eine Gasse nach links. Die bis zum Ende gehen, den schimpfenden Mann ignorieren und einen Blick auf den Tempel werfen.
    Abends ging es dann zum Ghat nahe des Hotels, der auch "Main Ghat" genannt wird, weil da einfach am meisten los ist. Jeden Abend finden dort spektakuläre von nicht sehr motiviert schauenden Saddhus (Heilige/Mönche) durchgeführte Feuerzeremonien statt und hunderten Zuschauer drängeln sich auf den Treppen. Auf dem Wasser sind es noch einmal ebenso viele, denn wer nicht aufpasst, sitzt, nachdem er mit "Boat? I make good price!" angequatscht wurde, in einem Boot in der Dunkelheit auf dem Ganges und schaut sich das Ritual von dort aus an.
    Allgemein hatte ich das Gefühl, die Verkäufer sind noch etwas zahlreicher in Varanasi. Nein, ich möchte keine Postkarten. Auch kein Plastikding, mit dem man toll klappern kann. Ja, schön wie du auf deiner Flöte flöten kannst, aber die passt nicht ins Reisegepäck. Ooohhh, eine Trommel willst du mir verkaufen? Klar, ich hab den ganzen Tag drauf gewartet, dass einer kommt und mir ne Trommel andreht!
    Aber das gehört halt dazu. Spätestens, wenn man sie nach dem zweiten höflichen Ablehnen ignoriert, sind die meisten schon beim nächsten potenziellen Käufer.

    Wie gesagt, ob ich die Stadt mag oder nicht, kann ich noch nicht beurteilen. Einerseits ist sie total abstoßend mit ihrem Gestank, dem Güllestrom, der sich Ganges nennt und dem Gedränge in den Gassen. Andererseits ist sie die bisher faszinierendste Stadt Indiens, die wir bisher besucht haben, weil man so viel über den Hinduismus im Allgemeinen und die hinduistische Beziehung zwischen Leben und Tod im Speziellen lernt, dass sie einen einfach in ihren Bann zieht. Mal sehen, vielleicht bringt ja irgendwann ein zweiter Besuch Klarheit.

    Für heute morgen hatten wir einen Flug nach Mumbai gebucht. Mumbai aber nur als Durchgangsstation auf dem Weg - endlich wieder - zurück zur Sapna Ranch. Nach den Anstrengungen der Reise und dem Mief der Städte freuen wir uns tierisch auf eine vertraute Atmosphäre und frische Luft.

    Vorher mussten wir aber zum Flughafen kommen, um 10:20 ging der Flieger. Wir sind also um sieben aus dem Hotel und wieder zur Brown Bread Bakery, weil es dort Müsli mit Joghurt und Bananen zum Frühstück gibt. Und leckeren Kaffee, kein Instantzeug, wie sonst überall. Da die Bestellung aber etwas auf sich warten ließ, ließen wir uns um zwanzig vor acht den Rest einpacken. Der Reiseführer veranschlagt für den Trip zum Flughafen eineinhalb Stunden und wir mussten noch zurück zum Hotel, um unser Gepäck zu holen.
    Dort angekommen und ziemlich unter Zeitdruck musste uns der ungemein freundliche Besitzer dann unbedingt noch auf seinem Computer zeigen, dass er die Reduzierung von drei auf zwei Nächte auch zurück an booking.com gemeldet hat und das glatt ging. Top, danke. Weiter!
    Wir spurteten aus den Gassen heraus zu einem Platz, auf dem man Rikschas finden konnte, mittlerweile war es acht Uhr. Mit eineinhalb Stunden würde es mit dem rechtzeitigen Check-In schon knapp. Entgegen unserer Regel ließen wir uns von einem Fahrer ansprechen und nahmen ihn auch, weil er einen mehr als fairen Preis wollte. Dass er uns nicht gesagt, dass das nur der Preis für eine Person war, war sein Pech. Trotzdem bekam er ein üppiges Trinkgeld, denn das war wohl die rasantaste Fahrt auf der ganzen Reise. Vor der Abfahrt wollte er sich noch gemütlich einen Papayasaft trinken, was wir aber zum Glück verhindern konnten. Dann war ihm klar, wie eilig wir es hatten und er drückte auf die Tube. Erste Konsequenz: Der Rest von Müsli und Joghurt hat nicht überlebt. Mit stellenweise 80 Sachen gings haarscharf vorbei an Kühen, LKW, Marktkarren, Schlaglöchern mit über einem Meter Durchmesser und ähnlichem. Die Ausweichmanöver waren wild, aber trotzdem hat man niemals Angst auf so einer Fahrt. Es fühlt sich fast so an, als ob jeder Verkehrsteilnehmer in Indien Position, Geschwindigkeit und Ziel der anderen Leute im Umkreis von 200 Metern genau kennt und alle zusammen dann den für alle besten Kurs irgendwie kollektiv bestimmen. Der indische Verkehr ist wirklich wie ein Fluss, auf dem man schwimmt. Man kann darauf langsam reisen oder schnell, man muss sich ein bisschen darauf einlassen, auf welche Straßenseite man gerade gespült wird und manchmal staut es sich vor einer Enge. Aber am Ende gibt es kein wirklich stressiges Gedränge und alle kommen irgendwie vorwärts und auch dort an, wo sie hin wollen.
    Aus den eineinhalb Stunden aus dem Reiseführer und der Stunde, die Google angibt, machte der Rikschafahrer 40 Minuten und wir hatten locker Zeit am Flughafen.
    Jetzt sitzen wir im Bus, der bei 40 Grad zwar leider nicht mit Klimaanlage aber wenigstens mit gemütlichen Sitzen ausgestattet ist, und freuen uns, Hasmukh, die Farm und die Welpen wiederzusehen.

    Bild 1: Sonnenaufgang während der Bootstour
    Bild 2 und 3: Für wen ein Bad nicht reicht, der wäscht sein Karma mit ein wenig Brustschwimmen rein. Selbst um sechs Uhr morgens ist hier schon eine Menge los. Ein paar Meter weiter waschen die Hausfrauen übrigens ihre Bettlaken und ähnliches im Ganges.
    Bild 4: Die allabendliche Feuerzeremonie
    Bild 5: Ein netter Bäcker, der unter anderem Samosas vertreibt, und sich ein Foto mit 10 Rupien bezahlen lässt
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