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  • Day 89

    Zeitvertreib von Sparfüchsen

    March 27, 2019 in New Zealand ⋅ ☁️ 19 °C

    Manchmal erscheint es so als sei Reisen eine nicht endene Kette von absoluten Highlights und Sehenswürdigkeiten, die sich gegenseitig zu übertreffen versuchen. Ein „Wow“ Erlebnis jagt das nächste, immer neue Eindrücke prasseln auf uns ein, Explosionen von einzigartigen Momenten und Emotionen. Zum Glück gibt es aber auch bei Reisenden so etwas wie einen unspektakulären und halbwegs gewöhnlichen Reisealltag und das ist auch gut so. Denn unser Kopf braucht manchmal auch einfach etwas Ruhe und Leere, um die Erlebnisse zu verarbeiten und sacken zu lassen, die Eindrücke reflektieren zu können. Die vergangenen drei Monate waren sehr intensiv. Durch das überwiegend wunderschöne sonnige Wetter war jeder Tag eine Verführung für einzigartige Ausflüge in der Natur und hat kaum Raum für echte Muse gelassen.

    Inzwischen ist aber auch in Neuseeland der Frühherbst angekommen, das Wetter wird instabiler, kühler und regnerischer. Der graue Himmel senkt die Motivation für Ausflüge und lässt uns manchmal auch wieder etwas träger werden. Es gibt zwar auch für Regentage unzählige Angebote für so genannte „Once in a lifetime experiences“ in der Umgebung, die ohne Probleme den ganzen Tag füllen können, aber gerade hier im Norden Neuseelands merken wir, dass die Kiwis gelernt haben, jegliche Sehenswürdigkeiten und Erlebnisse auch gewinnbringend zu vermarkten. Viele Attraktionen kosten Eintritt oder werden nur als Tour-Paket angeboten. Und so hat fast jede Unternehmung auch ihren Preis (im Gegensatz zu den vielen Naturerlebnissen unserer bisherigen Reise, die doch weitestgehend kostenlos gewesen sind). Und viele Attraktionen scheinen sich auch zu wiederholen. Fast jede Region bietet Rafting-Touren, Treetop Walks, Mountain Biking, Bungee-Jumping und Farm Visits an, natürlich in den Flyern immer als „New Zealand‘s Finest“ und TripAdvisor #1 angepriesen.

    Als Langzeit-Reisende schauen wir natürlich auch etwas bewusster auf unser Budget, wissen den unzähligen Verlockungen zu widerstehen, die Werbeslogans richtig zu deuten und sind inzwischen bereits schon gut geübt darin, auch die vielen „Free Things to Do“ wahrzunehmen, die meistens erst auf den zweiten Blick in den Sinn kommen, die häufig aber sogar weniger touristisch und authentischer sind und mit denen sich ebenfalls hervorragend die Zeit vertreiben lässt. Beispiele hierfür sind: Besuche der öffentlichen Büchereien, kostenlose Kunstausstellungen, kleine Spaziergänge durch botanische Gärten, Parks oder entlang der Strandpromenade, Coffee Tasting in stylischen Coffee Shops (nicht ganz kostenlos, aber unverzichtbar 😉), Reiseblogs schreiben (so wie jetzt gerade), ein gutes Buch lesen oder Hörbuch hören, Serien- oder Filme bei Amazon Prime schauen (wesentlich günstiger als ins Kino zu gehen), Quatschfotos machen, durch die Städtchen schlendern und Street Art bestaunen, öffentliche Pianos bespielen (sofern vorhanden), Nachts in den Wald fahren und nach Glühwürmchen suchen, in natürlichen heißen Quellen baden, etwas leckeres selber Kochen, mal wieder etwas Sport machen, und vieles mehr...

    Und dann sind da natürlich auch noch die gewissen Pflichten von Reisenden, die ebenfalls den Alltag prägen, wie z.B., das nächste Reiseziel festlegen, Unterkünfte heraussuchen und buchen, Bewertungen für Unterkünfte schreiben, Gepäck auspacken und am nächsten Tag wieder einpacken (und dabei jedes Mal wieder festzustellen, dass es doch vorher irgendwie besser in den Rucksack gepasst hat), Wäsche waschen und trocknen, Ausgaben notieren und Reisekasse sortieren, von A nach B fahren, die Einkäufe für den Tag erledigen, und so weiter...

    Irgendwie gibt es also immer etwas zu tun. Das Schöne auf Reisen ist jedoch: Jeder Tag ist doch irgendwie anders und einzigartig, etwas ganz Besonderes und wir nehmen die Zeit viel bewusster wahr als den üblichen Alltag zu Hause.

    Unser Road Trip führt uns momentan zügig Richtung Norden, wo wir uns etwas mehr Zeit lassen wollen. Auf unseren Zwischenstopps liegt für die nächsten Tage das schöne, gepflegte Küstenstädtchen im Art-Deko Stil „Napier“ und der große „Lake Taupo“. Hier verbringen wir entspannte und ruhige drei Tage mit Street Walks, Kaffee Trinken, Honey Tasting (sündhaft teurer Honig, aber das Tasting war zum Glück umsonst), planschen in heißen Quellen, besichtigen tosenden Wasserfällen, fahren zu hochgelegenen Aussichtspunkten und machen viele der oben genannten „alltäglichen“ Dinge 😀 Uns wird alles andere als langweilig, aber dennoch haben wir ausreichend Zeit, um auch wieder mal etwas herunterzukommen und uns auch Gedanken über die Weiterreise machen zu können...

    Bemerkung: Da wir ja inzwischen relativ spontan von Tag zu Tag reisen, lernen wir viele interessante Fakten über unsere Reiseziele erst während unseres Besuchs oder sogar erst danach kennen. So wurde der Ort Napier zum Beispiel im Jahr 1931 bei einem Erdbeben nahezu vollständig zerstört, aber mit dem Einsatz von Helfern, Regierung und Einwohnern in nur knapp zwei Jahren wieder vollständig aufgebaut. Beeindruckende Leistung, wenn ich daran denke, welcher lausige Fortschritt auf manchen Baustellen zu Hause erzielt wird... 🙂 Die Fakten, die ich inzwischen über den Lake Taupo recherchiert habe, beeindrucken mich nicht minder. Dieser große See (von der Fläche etwa vergleichbar mit dem Bodensee) ist in Wirklichkeit der Kratersee eines Supervulkans, der vor 26500 Jahren entstanden ist. Immer noch aktiv, liegt sein letzter Ausbruch nur knapp 2000 Jahre zurück (gemessen am geologischen Zeitmaß eigentlich nur ein Wimpernschlag), und zählte zu den stärksten Vulkanausbrüchen der vergangenen 5000 Jahre. Fast schon ein wenig angsteinflößend, wenn man bedenkt, auf was für einem explosiven Pulverfass wir uns da eigentlich befunden haben...
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