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  • Day 107

    Korrumpierte soziale Beziehungen

    June 27, 2021 in Dominican Republic ⋅ ⛅ 29 °C

    Auf meinen Reisen begegne ich verschiedenen Formen von Armut. Ich glaube ich könnte Bücher schreiben.

    Wie sich Armut im aller kleinsten, im unbedeutenden Detail zu entwickeln beginnt und in einer Folgespirale in sozialer-, gesundheitlicher- und Bildungsarmut endet. Wie hier in der Dominikanischen Republik. Zum Beispiel kein gratis Zugang zu sauberem Trinkwasser oder Geld für die Schuluniform. Der soziale Aufstieg bleibt in der Regel auf Generationen hin verwehrt. Dies ist notabene keine „armes“ Land. Es hat alles, es ist „nur“ politisch, ökonomisch und gesellschaftlich korrumpiert.

    Aber darum geht es mir heute nicht. Mich beschäftigt seit vielen Jahren wie Tourismus in „armen“ Ländern die Beziehungen korrumpiert zwischen „arm“ und „reich“.
    Es begegnet mir allerdings nur in Touristenzentren, nicht wo es kaum Tourismus gibt wie zum Beispiel in ländlichen Regionen. Und nicht mit Menschen
    welche selbst „genug haben.“ Wenn sie keinen subjektiven erlebten Mangel empfinden.

    Ich spreche hier von Zentralamerika. In Afrika erlebe ich es nochmal anders.

    Ich nehme als Beispiel meine ehemalige Haushälterin Jilcia hier in Las Terrenas. Sie wurde mir von meinem ehemaligen Spanischlehrer hier empfohlen. Eine absolut vertrauenswürdige Person.

    Sie ist klug, witzig, hilfsbereit und freundlich. Wir essen immer zusammen am Mittag. Wir haben gute Gespräche. Ich vertraue ihr. Sie kauft für mich ein. Ich bezahle sie über dem Marktpreis, weil ich ihr das weitergebe, was meine Krankenkasse bezahlt für die ersten zwei Wochen nach Spitalaustritt.

    Ich bezahle sie offensichtlich so gut, dass sie endlich das Geld für eine Kaution sparen kann, um in ein richtiges Zementhaus zu ziehen. Sie wohnte vorher in einer Holz- und Wellblech Baracke. Sie bedankt sich auch immer wieder.

    Ich merke schon, dass sie genau weiss mit mir umzugehen, um Vertrauen zu schaffen.
    Sie hat gute Menschenkenntnisse. Sie hat Erfahrung mit Touristen.

    Ich glaube ich ignoriere es, weil sie einer der wenigen sozialen Kontakte ist, welche ich noch habe nach dem Claudia gegangen ist.

    Ich bitte sie mir die Quittungen zu bringen. Das tut sie aus dem Supermarkt. Sie sagt die kleinen Händler stellen keine aus. Gut, kann ich mir vorstellen.

    Bis sie nicht mehr für mich einkauft, weil ich merke, dass sie immer kleine Beträge für sich abzwackt. Als erstes merke ich es als ich mal selbst Fisch kaufen gehe. Statt 250 Pesos für das Pfund Thunfisch bezahle ich 180. Ich bekomme auch eine Quittung.

    Ich bin nicht überrascht, aber trotzdem enttäuscht. Ich verstehe sie, die Versuchung ist gross. Trotzdem beeinträchtigt es unsere Beziehung, ich vertraue ihr nicht mehr. Die Beziehung kühlt an. Sie gibt sich keine Mühe mehr beim putzen, wir essen nicht mehr zusammen.

    Als ich sie darauf anspreche und wir eine Diskussion haben meint sie am Schluss, ich habe doch genug Geld. Wegen diesen kleinen Beträgen. Das stimmt wohl ist aber nicht der Punkt. Vertrauen ist der Punkt. Was sie wiederum nicht versteht.

    Das ist genau was ich in Touristenzentren immer wieder erleben. Die Erwartung von ärmeren Menschen an die „reichen“ Touristen, dass sie Geld abgeben, auch ohne Gegenleistung. Dass man sie betrügen kann und das doch nichts Schlimmes dabei ist. Hier, in Cuba, Mexico, Guatemala, etc.

    Diese Erwartungshaltung steht immer zwischen „arm“ und „reich“, macht eine unbeschwerte und vertrauensvolle Beziehung unmöglich. Schade.
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