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  • Day 42

    E34 : Widin - Schumen

    October 5, 2020 in Bulgaria ⋅ ⛅ 21 °C

    Hmmm was gibt es zu erzählen? Zuerst einmal solltet ihr wissen, ich bin ein wenig fertig, ein wenig genervt und mein "Födle" macht nicht nur ein wenig weh! Der Grund dafür: Bulgarien!

    Hoch motiviert und gespannt darauf, was Bulgarien für mich auf Lager hat, starte ich also in Widin meine Tour an der Donau. Eigentlich sollte der Euro6 Radweg gut zu befahren sein. Tatsächlich war der Radweg dann früh zu Ende und es ging auf gängigen Hauptstrassen weiter. In Österreich habe ich mich noch wie ein Rohrspatz über die Radwege beschwert. In Bulgarien existieren nicht einmal welche, dafür sehen die Hauptstrassen dementsprechend schlimm aus, dass man am liebsten absteigen und neben dem Fahrrad laufen möchte. Der Westen von Bulgarien gilt ja als der "arme" Teil vom Land. Dies liegt hauptsächlich an den fehlenden Touristen und an den scheinbar unfähigen und korrupten Stadträten. Da der Alkoholpreis aber eher wieder ansteigt, sind nicht einmal die Serben an ein wenig Urlaub im Nachbarland interessiert. Das fehlende Geld zeigt sich überall. Strassen, Infrastruktur, Restaurants, Hotellerie. Auch die Menschen sind nicht mehr so freundlich und hilfsbereit wie noch in Serbien. Sie grüssen zwar lächelnd zurück, einem Gespräch weichen sie aber mit grossem Bogen aus und können dich auch sehr gut einfach ignorieren. Dies liegt aber hauptsächlich daran, dass praktisch niemand hier auch nur ein paar Worte englisch spricht oder versteht. Ich kann mich höchstens mit Mädchen im Alter von 12-16 Jahren unterhalten, da diese über eine Art Schmink-Englisch verfügen, welches sie von einer englischsprachigen Youtube-Influencerin gelernt haben. Wenn man also fragte, ob man hier im Dorf etwas essen kann, kam irgend eine zerstreute Antwort zurück und beinhaltete Wörter wie "French Nails" und "Shiny Lip gloss".
    Damit ich aber trotzdem etwas Anständiges zwischen den Zähnen hatte, habe ich zuerst viel von meinen Vorräten selber gekocht. Dies hat den Motor gefüttert und ebenfalls Gewicht und Platz gespart. So weit so gut.
    Ich wollte ja eher wieder mehr Challenge und habe mir die ersten Etappen anspruchsvoll gestaltet. So warteten also die 105km und 800HM auf mich. Was man links und rechts erblicken kann, ist sehr schnell gesehen da immer das Selbe. Gestrüpp, Müll, braches Ackerland, verfaulender Mais, Abfall, verlorene/zerfetzte Autoreifen und noch mehr Müll. Eine wahre Abwechslung sind dann aber die bissigen Hunde, welche wie blutrünstige Bestien nach deinen Waden, Füssen und Fahrradreifen lechzen.
    Boyan, der Betreiber vom Base Camp in Negotin, hat mir dringlichst geraten, dass ich mir in Bulgarien so schnell wie möglich einen ordentlichen Knüppel suche, damit ich den Hunden mit Schmackes auf die Rübe hauen kann. Damals konnte ich mir dies kaum vorstellen und wollte mir sowieso zuerst ein Bild von der oft-genannten Situation machen. Ja was soll ich sagen, es ist wirklich schlimm. Einen Knüppel habe ich mir jedoch noch nicht zugelegt, da ich zuerst einmal eine humanere Taktik ausprobieren wollte. In einem kleinen Supermarkt kaufte ich mir also Hunde-Guetzli und munitionierte diese in griffnähe auf, dass ich diese bei einem Sturmangriff der Vierbeiner schnellstmöglich zur Verfügung habe.
    Da fahr ich also gemütlich durch ein kleines Dorf und da fletscht doch plötzlich etwas im Gebüsch seine Zähne. Sofort die Guetzli in der Hand und zum "Ausstreuen" parat. Die 2 Hunde nehmen die Verfolgung auf, die Leckerli fallen auf den Boden, der eine Hund bleibt interessiert stehen.....der andere gibt die Verfolgung kurze Zeit später ebenfalls auf. Dann erklingt plötzlich mein Navi, da ich während der Verfolgungsjagt die Abzweigung verpasst und falsch gefahren bin. Also umkehren und wieder den Kötern entgegen. Nun standen da plötzlich 5 Hunde, welche scheinbar Lust auf weitere Guetzli hatten. Die Guetzli haben also ihren Zweck erreicht, lockten jedoch noch weitere Fiffis und Bellos an. Da ich hier nicht Pestalozzi raushängen und keine weiteren Leckerli entbehren kann, musste ich also doch mit Füssen und Geschrei die Hunde auf Abstand halten.
    Also noch einmal zusammengefasst:
    Unter dem Fahrrad = Schlaglöcher!
    Hinter dem Fahrrad = Bissige Agrohunde!
    Links und Rechts neben dem Fahrrad = Sehr viel Müll und immer das gleiche Panorama!
    Oben brennt die Sonne und von vorne hagelt es Steckmücken und anderes Krabelzeugs. Dazu kommt, dass die Luft durchgängig nach Rauch oder verfaultem Mais riecht. Das volle 360 Grad-4D-Programm!

    Ich denke ihr könnt mich verstehen wenn ich euch sage, dass mir die Lust an Bulgarien ziemlich schnell vergangen ist. Da meine Tour aber quer durch das gesamte Land bis hin zum schwarzen Meer verläuft, bekomme ich nach und nach eine Scheiss-Laune und bin zum ersten mal demotiviert. Ich entscheide mich, das Land so schnell wie möglich zu durchqueren und passe meine Streckenetappen erneut an. Neu möchte ich ca. 120km und 900HM im Schnitt fahren. So sollte ich bis in 6 Tagen auf der anderen Seite des Landes sein.

    Musik im Ohr, Wasserflaschen voll, Tour geladen und los gehts. Tag für Tag radle ich die Kilometer mit Mühe und Not runter. Ich bewege mich täglich an meinen physischen Grenzen und oft zittern meine Beine auch noch im Bett. Die Dulix-Creme leistet aber gute Dienste und so sind die Beine am nächsten Tag nach den ersten 30km wieder einigermassen warm. Im Gegensatz zum Hintern, welcher mittlerweile echt weh tut. Da es sich hier nicht um die übliche Scheuerwunde handelt sondern die Schlaglöcher und Vibrationen mir den Hintern windelweich hauen, hilft auch die Creme nicht wirklich viel.

    Auch heute hatte ich sehr viel Mühe dem Ziel näher zu kommen. 30km vor Schluss war es dann soweit. Nachdem ich einen steilen Hügel überstanden habe mich so richtig auf den Downhill und das "Ziehen lassen" gefreut habe, war meine Konzentration nicht on point.
    So sah ich das RIESENGROSSE SCHLAGLOCH viel zu spät und ich konnte nur noch probieren, das Vorderrad ruckartig anzuziehen um zumindest nicht vorne festzustecken und mich mit 50kmh auf die Strasse zu legen.
    Das Hinterrad hatte jedoch nicht so viel Glück. Der Aufprall war so heftig, dass eine weitere Speiche brach, an meinen Umwerfer (Schaltung am Hinterrad) einhackte und diesen beinahe komplett abriss. Das Schaltauge war ebenfalls total verbogen, ich konnte jedoch mit ein wenig Kraftaufwand das Fahrrad wieder einigermassen fahrfähig machen (ich hatte jedoch nur 3 Gänge). Ich denke, ihr könnt euch denken, wie meine Gefühlslage während dieser Situation war. Ach ja... Bulgarien hat ja noch etwas sehr gutes zu bieten: KEINE VELOMECHANIKER!
    Es ist echt nicht zum glauben. Es gibt zwar Fahrradhändler, diese verkaufen aber in erster Linie die Fahrräder nur und führen kleine Reparaturen durch. Diese fangen bei der Montage von Licht an und hören beim Aufziehen von neuen Reifen auf. Speichen reparieren, Rad zentrieren und Schaltauge richten war hier völlig fehl am Platz. So gab es für mich eigentlich nur eine Option. Ab in den Zug am nahgelegenen Bahnhof und wieder zurück in die Landesmitte. In Gorna befindet sich scheinbar eine der wenigen Werkstätten, welche die Pannen der Donauradfahrer bewältigen können. Nach einem kurzen Telefonat ging es dann auch schon los, auf die 120min Zugfahrt.
    Der Mechaniker hat mir keinen Scheiss erzählt. Im Eiltempo konnte er mir die fehlende Speiche ersetzen, das Rad zentrieren und auch ein neues Occasion-Schaltauge verbauen.
    Nun ging es wieder zurück an den Bahnhof. Da jedoch schon 16:00 war und es bald schon eindämmerte, löste ich das Ticket bis nach Schumen (welches das heutige Tagesziel ist).

    Morgen steht also die letzte meiner Challenge-Etappen auf dem Plan. Ein letztes Mal gebe ich alles und beisse die 94km nach Warna durch. Dann werde ich hoffentlich irgendwo ein Fässchen Bier finden um mich damit gemütlich ans Meer setzen und meinen Hintern ausheilen lassen.
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