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  • Day 32

    Ankunft im Children's Home

    March 9, 2017 in Nepal ⋅ ⛅ 21 °C

    Um kurz nach 12:30 Uhr hält ein Auto vor dem Mäuerchen wo ich sitze und zwei Männer sitzen darin. Der Jüngere stellt sich als Tsering vor und der ältere Fahrer hilft mir meine Taschen ins Auto zu hieven. Kurz bevor das Auto kam hatte ich einen kurzen emotionalen Schub und bin schon wieder den Tränen nahe. Als wir losfahren fragt Tsering standartmäßig wie es mir gehe und wie aus der Pistole geschossen antworte ich "I'm good!". Ich wundere mich selbst über die Lüge, die mir so automatisch über die Lippen gekommen ist. Ich ergänze noch, dass es ziemlich hart war Julien zu verabschieden, aber dass ich nun versuche das Beste aus der Situation zu machen. Wenigstens ein bisschen Ehrlichkeit. Wir fahren ein Stück des selben Weges zurück, den ich zuvor mit dem Taxi entlang gefahren bin. Auf einer breiten und geschäftigen Straße drehen wir und eine Frau steigt zu uns ins Auto. Tsering meint wir müssen jetzt ein wenig rumfahren, da er zu einem ATM muss. Okay, kein Problem! Ich umklammere meinen Tagesrucksack und schaue aus dem Fenster. Die Gegend hier sieht viel wohlhabender aus, als das Kathmandu, das ich bisher kenne. Ich frage mich ob hier wohl die besser betuchten Menschen wohnen.
    Nach kurzer Fahrt halten wir an einem Supermarkt (ja, wirklich ein Supermarkt 😳) und fahren auf den Parkplatz hinter dem Gebäude. Ich wundere mich, als alle austeigen und meinen ich soll auch aus dem Auto kommen. Es dauert doch nicht so lange Geld abzuheben... Wir gehen jedoch in ein Lokal namens Berry & Dairy Cafe. Ich frage ob wir eine arg lange Fahrt vor uns haben, da ich keinerlei genaue Infos darüber habe, wo das Projekt tatsächlich ist. Tsering antwortet, dass wir von hier aus noch 45 Minuten brauchen. Ein Kellner bringt uns Speisekarten und ich blättere durch. Puh ganz schön teuer für nepalesische Verhältnisse 😳 Ich habe sowieso keinen Apettit, was vermutlich am Abschied, aber auch an der Tatsache liegt, dass Julien und ich eigentlich nie groß zu Mittag gegessen haben. Zwar hatte ich heute auch kein Frühstück, aber die paar Oreo Kekse, die ich beim Krankenhaus auf der Mauer gemampft habe, halten mich irgendwie satt. Tsering und die Frau wollen, dass ich wenigstens etwas trinke, obwohl schon ein Glas Wasser vor mir steht und mir das eigentlich vollkommen reicht, auch wenn ich mir nicht sicher bin, ob das Wasser unbedenklich ist. Um die beiden zufrieden zu stellen bestelle ich also einen Zitronen-Ingwer-Tee mit Honig. Der Kellner bringt einen Teller Chowmein (gebratene Nudeln) mit Hühnchen und ein Chicken Sandwich. Es gab eigentlich nur Fastfood auf der Karte, und danach ist mir gerade gar nicht. Tsering fragt ob ich wirklich nichts will und bietet mir an, bei den Nudeln mitzuessen. Zum Glück ist Hühnchen drin, und ich habe einen plausiblen Grund um abzulehnen. 😬 Ich komme mir ein bisschen verloren vor, da der Fahrer, die Frau und Tsering nur auf Nepali miteinander reden und ich so nichts verstehe. Als ich meinen Tee getrunken hab, frage ich nach dem Klo und muss dafür ums ganze Gebäude. Draußen scheint die Sonne und man hat einen guten Blick über die Stadt. In nicht all zu weiter Ferne sehe ich Hochhäuser die mit grünen Netzen abgehängt sind. In meinem Kopf macht es klick - ahhh das sind die großen grünen Ungetüme, die wir vom Affentempel aus gesehen haben und uns dort gefragt haben was das wohl sein mag. Ich mache schnell ein Foto, um es Julien zu zeigen.
    Als ich wieder zurück in das kleine Cafe komme, steht gerade ein Kellner am ersten Tisch und ich frage schnell nach dem Wlan-Passwort. Ich nutze die fünf Minuten mit Internet und freue mich über Nachrichten von Julien. Wieder wird mir schmerzlich bewusst, wie lange wir uns nun nicht mehr "live" sehen werden. Oh Mann...
    Auf der Fahrt zum Children's Home halten wir zwei Mal und die Frau kauft Sachen, die sie später Tsering gibt. Beim ersten Stopp, steigt sie letztendlich auch aus. Ich weiß immer noch nicht wer sie ist und was für eine Beziehung sie zum Freiwilligenprojekt hat. Beim zweiten Stopp steigt Tsering aus und kauft direkt an der Straße in einem der kleinen Läden, die es hier überall gibt, Joghurt und Milch. Die Milch ist in Plastiktüten abgefüllt, der Joghurt befindet sich in kleinen Fässern und die Frau schöpft auch ihn in kleine Plastikbeutel. Ich bezweifle die Hygiene des Ganzen, aber das ist halt Nepal.
    Nach weiteren 15 holprigen Minuten erreichen wir mein neues Zuhause, das gefühlt mitten in der Pampa liegt. Es ist ein langes u-förmiges Gebäude, mit vielen bunten Gebetsfahnen. Es sieht ganz anders aus als ich erwartet habe, obwohl ich mir eigentlich kaum Gedanken dazu gemacht habe. Es laufen ein paar Hühner herum und ich erspähe zwei rieeeeesige Hunde (einen Monster-Bernhardiner und einen Schäferhund) die zu meinem Glück (weniger zu ihrem Glück) angebunden sind. Auf dem Hof spielen zwei Mädels in meinem Alter mit einem Ball. Die anderen Freiwilligen! Die blonde stellt sich als Mia aus Dänemark vor, die dunkelhaarige als Cecil aus Frankreich. Später lerne ich noch Pierre aka "Chicken" kennen, Cecils Freund, der irgendwie zu dem Spitznamen Chicken gekommen ist.
    Ich spiele Ball mit Cecil, nachdem Mia mir das Zimmer in dem ich wohnen werde gezeigt hat. Ich teile es mit Pierre und Cecil. Irgendwann gehen wir in die Küche wo ich Didi kennen lerne, eine lustige Nepalesin, die kein Wort englisch spricht, und einem trotzdem sofort sympathisch ist. Sie ist für das Essen und die Küche zuständig. Chicken ist krank und hat Bauchweh und liegt deswegen im Zimmer flach. Ich unterhalte mich ein bisschen mit den Mädels und erfahre, dass Mia schon einmal für drei Wochen hier war. Dann war sie mit einem Freund trekken und ist nun wieder zurück gekommen. Ich bin ein bisschen erschlagen von all dem Neuen, stürze mich aber auf jede Aufgabe, die es zu erledigen gibt. Ein bisschen ist es wie damals in den USA, da war auch immer alles neu. Mia schlägt vor zu einem kleinen Laden zu laufen, bevor die Kinder von der Schule zurück kommen. Wir gehen also los und nehmen große leere Plastikflaschen zum Wasser holen mit. Uhh kein Flaschenwasser? Ich hab Angst! Die Kinder kommen früher als erwartet und wir schaffen es nicht zum Laden. Wir stehen auf einer Brücke und die Kleinen laufen uns entgegen. Ich werde ganz oft nach meinem Namen gefragt und aus welchem Land ich komme. Die Kinder sind total süß und neugierig. Ich werde gleich an den Händen gepackt und mitgenommen. Wir laufen Querfeldein, da wir noch zum Wasserrohr müssen, das mitten am Feld liegt. Mia und ich füllen die Flaschen und laufen zurück. Die Kinder spielen im Hof und ziehen sich um (Schuluniform aus, Freizeitkleidung an). Es sind Jungs und Mädchen im Alter von 4 bis 16, die teilweise Waisen sind, jedoch hauptsächlich die Kinder von tibetischen Flüchtlingen. Da die meisten Eltern sehr arm sind und weit in den Bergen wohnen, könnten die Kinder so nicht zur Schule. Hier haben sie ein Zuhause und den Zugang zu Bildung.
    Direkt nach der Schule gibt es immer Tee und einen Snack, dann um 18:30 Uhr rum gibt es Abendessen - Curry und Reis natürlich, davor und danach werden Hausaufgaben erledigt. Ich setze mich an einen der Tische und helfe mal hier mal da, so gut ich kann. Die Fächer werden alle auf Englisch unterrichtet, außer Nepali natürlich. Die meisten Kids sprechen ganz gut Englisch, aber dafür dass sie alles auf Englisch lernen, finde ich könnte es schon besser sein 😬. Ein Mädchen bittet mich etwas für sie zu zeichnen, ich bin total uninspiriert und kritzel letztendlich ein langweiliges Stillleben - naja besser als nichts :D
    Beim Abendessen helfe ich servieren und bin nicht ganz so begeistert über den Schärfegrad des Essens. Mia hat gemeint es wär nicht scharf hier, mein brennender Mund beweist was anderes 😭 Was ich etwas befremdlich finde, sind die Teller die mehr an Näpfe erinnern. Stahlschüsseln, die zwar praktisch sind, aber irgendwie nicht appetitanregend auf mich wirken. Augen zu und durch!
    Schnell hab ich meinen neuen Spitznamen weg, die Nepalesen können nämlich kein F aussprechen. Jetzt bin ich also Ganji! Oder Gandhi oder Crunchy. Macht jeder so wie er will 😅 Mein Name ist einfach zugegebenermaßen nicht der einfachste für Ausländer...
    Als ich aufs Klo gehe, bin ich ein bisschen erschrocken über das Fehlen von Klopapier, bis ich merke, dass es einfach eine Rolle gibt, die man eben immer mit in die Kabine nehmen muss. Es gibt zwei Squat Toilets und eine Western Toilet. Es stinkt nach Pipi und man sieht viel Kacke 😅, sauber ist anders. Leider ist das Wasser am Waschbecken mehr als arschkalt, meine Hände erfrieren fast. Abends als ich Cecil drauf anspreche erzählt sie mir bedauernd, dass es auch keine warme Dusche gibt. Naaaa geil 😂🙈.
    Abends trinken wir noch einen Tee in der Küche. Ich bin hundemüde und richtig fertig, traue mich aber nicht aufs Zimmer zu gehen, da ich nicht weiß wie der Ablauf ist. Muss ich wach bleiben, bis die Kinder ins Bett gehen? Irgendwann frage ich Mia und sie versichert mir, dass ich auf jeden Fall ins Bett kann. Ist alles ganz locker! Ich bin erleichtert und mache mich schlaffertig. In Nepal bin ich ein meister im Umziehen ohne Ausziehen geworden. Viel zu kalt so ganz nackig! Ich wage mich noch ins Stinkebad um Zähne zu putzen. Mit eiskalten Händen und frierend kuschel ich mich ins Bett. Ich habe alle warmen Sachen übereinander und hoffe, dass mir bald warm wird. Obwohl ich so müde bin kann ich nicht schlafen und vertreibe mir also noch ein bisschen Zeit am Handy. Es ist erst kurz nach 20 Uhr. Grübelnd stelle ich fest, dass ich mich hier glaube ich echt erst mal eingewöhnen muss. Ist schon alles ganz anders als das was ich gewohnt bin! Aber schließlich wollte ich ja raus aus meiner Komfortzone und neue Herausforderungen! Und dafür bin ich garantiert am richtigen Platz. Ich bin froh, dass die Kinder mich so herzlich empfangen haben und sich sogar schon beim gute Nacht sagen an mich gekuschelt und mich geknuddelt haben. Das wird bestimmt schön, wenn ich mich erst mal eingewöhnt hab!
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