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  • Day 17

    Der Weg ist das Ziel

    May 30, 2019 in Spain ⋅ ☀️ 26 °C

    Am Sonntagmorgen ging es dann für uns sechs endlich auf die letzte Etappe, mit rund 10 km. Am Tag zuvor waren wir extra bis O Faramello gelaufen um ein letztes kurzes Stück vor uns zu haben.

    Schon Tage vorher sprachen wir darüber, wie es wohl sein wird auf dem Platz vor der Kathedrale anzukommen. Doch bis wir dort endlich stehen konnten, sollten noch ein paar Stunden vergehen.

    Die meiste Zeit liefen wir zusammen, aber immer wieder setzte man sich von der Gruppe ab, um doch noch einmal für sich allein sein zu können, um den Weg zu reflektieren. Aber es gab auch Momente, Gespräche die wieder einmal zu einem kleinen Umweg führen sollten. Waren wir so vertieft im Reden, merkten wir nicht, dass wir den gelben Pfeilen nicht mehr folgten. Wieder eimal machte uns ein spanischer Autofahrer darauf aufmerksam, dass wir vom Weg abgekommen waren. Da wir nur zu Zweit waren und unsere Gruppe bereits mehrere Kilometer vor uns sein musste, wurde schnell eine Nachricht geschrieben, dass sie doch auf uns warten sollen, wollten wir doch alle gemeinsam in Santiago ankommen. Zu unserem Glück warteten die vier in einem Cafe auf uns, hatten wir bis dato auch noch nichts gefrühstückt, gab es als erstes unsere heiß geliebte Cola Cao- Schokolade mit Churros.

    So langsam, wie wir uns an diesem Tag fortbewegten, hatten wir uns die letzten Tage nicht bewegt. Immer wieder verweilten wir am Wegesrand, um die letzten Camino- Stunden nochmal richtig genießen zu können. Waren die letzten Tage doch wie im Flug vergangen, so verging auch die letzte Etappe viel zu schnell.

    Als wir dann gegen Mittag das erste Mal die Stadt Santiago de Copostela erblickten, brachen das erste Mal alle Dämme. Tränen liefen über mein Gesicht, pure Freude machte sich breit, hatte man doch so viele Kilometer zurück gelegt und war fast am Ziel. In dem Moment, dachte ich an meine Eltern und an meinen Bruder, hätte ich diesen Moment doch gerne mit ihnen zusammen geteilt, so teilte ich diesen Augenblick jetzt mit meiner Camino-Familie.

    Gegen 14:00 Uhr erreichten wir dann endlich den heiligen Platz, die Kathedrale von Santiago de Compostela. Das Gefühl, dort endlich angekommen zu sein, kann ich weder beschreiben, noch in Worte fassen. Gänsehaut, Tränen, Freude, Erleichterung, Wehmut... Alles fiel von mir ab, konnte ich auf einmal wieder laufen, wie ein junges Reh. Das erste was wir uns gönnten waren Unmengen an Wein. und ich gönnte meinen Füßen endlich die Freiheit, die sie verdient hatten. Hatten sie mich 260 km von Porto bis Santiago doch so gequält. Der Platz war voll mit Pilgern, immer wieder kamen neue Leute an und immer wieder wurde laut gejubelt, weil auch sie es geschafft hatten. Der Kathedralplatz war das Ziel aller Pilgerwege. Man tauschte sich mit unterschiedlichen Leuten aus, kamen sie doch von überall her und waren alle von unterschiedlichen Orten aus gestartet.

    Nach sonst wievielen Flaschen Wein machten wir uns auf den Weg, um endlich unsere Compostela abzuholen. War dies doch der Beweis, für die zurückgelegte Strecke.

    Jedes Mal, wenn man zur Kathedrale zurückkehrte, war da das Gefühl vom Ankommen. Wieder Gänsehaut, feuchte Augen, Freude. Wir hatten es geschafft.

    Zwei weitere Tage durfte ich noch in Santiago verbringen. Zwei weitere wunderbare Tage, voller Freude und weiterer Begegnungen mit ganz unterschiedlichen Menschen. Menschen, mit denen man in der Heimat eventuell nicht reden würde. Der Weg hat mich gelehrt, offener durchs Leben zu gehen. Es ist schön all die vielen Geschichten von so unterschiedlichen Menschen zu hören.

    Plötzlich, am Ende des Weges klappte es sogar mit meinem nicht ganz so perfektem Englisch. Als ich im Waschsalon saß, traute ich mir sogar zu, mit einer Amerikanerin zu sprechen und sie versicherte mir mehrmals, dass sie alles verstand und dabei handelte es sich nicht um einen Smalltalk.

    Und ihr werdet es kaum glauben, die Buletten-Dame vom ersten Tag hatte es auch geschafft. Ich freute mich sehr für sie, haderte sie doch am Anfang mit sich, überhaupt los gehen zu wollen. Vielen Leuten begegnete ich, mit denen ich ein paar Stunden auf dem Weg verbracht hatte.

    Es waren zwei wirklich wunderbare Wochen. Die Erleuchtung habe ich nicht gefunden, aber ich habe dazu gelernt und vor allem habe ich wunderbare Leute und Freunde gefunden, die ich hoffentlich bald wieder sehen werde.

    Bevor es wieder nach Deutschland ging, gönnte ich mir noch zwei Tage in Madrid. Die letzten Tage nochmal Revue passieren lassen. Wirklich alleine und für sich sein. Hatte ich doch auch noch den Brief meines Bruders in der Tasche. Was da drinnen steht ist natürlich so ein Bruder-Schwestern-Ding. Aber so viel kann ich sagen, es rührte mich mal wieder zu Tränen und ich bin froh, dass du ein großer Teil meines Lebens bist. Danke für alles!

    Als ich meine Haustür aufschloss realisierte ich, dass das Abenteuer nun zu Ende war. Doch der Camino ist es noch lange nicht. Ich werde auf jeden Fall wieder kommen, um nochmal dieses wahnsinnige Gefühl, vor der Kathedrale zu erleben, denn dieses Gefühl war/ ist immer noch unbeschreiblich.

    "Ein neuer Weg ist immer ein Wagnis. Aber wenn wir den Mut haben loszugehen, dann ist jedes Stolpern und jeder Fehltritt ein Sieg über unsere Ängste, über unser Zweifel und Bedenken." (Demokrit, griechischer Philosoph)
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