Satellite
  • Day 44

    Geradeaus

    February 13, 2018 in Argentina ⋅ ☀️ 0 °C

    Es ist nicht so, dass eine Tour durch Südamerika ausschließlich aus interessanten Streckenabschnitten bestehen würde. Während der heutigen 400 km Etappe von San Pedro de Atacama in Chile nach Purmamarca in Argentinien beispielsweise geht es ziemlich lange geradeaus. Was dazu führt, dass man auf dem Motorrad über allerlei nachdenken kann. Zum Beispiel darüber, ob man wirklich halten sollte, um den namenlosen Vulkan des ersten Bildes aufzunehmen, der vermutlich weit über 6.000 m hoch ist, was natürlich irgendwie sensationell ist. Wenn man allerdings schon 50 km in 4700 m Höhe bei 4 Grad gefahren ist, dann bedarf es minutenlanger Abwägungen um zu entscheiden, ob man tatsächlich die Hände von den beheizten Handgriffen nehmen sollte (ein dreifaches Hoch auf den Ingenieur, der diesen segensreichen Einfall hatte), ob man dann die Jacke öffnen sollte, um das IPhone herauszuzerbeln und ob man anschließend mit erhöhter Geschwindigkeit und damit einhergehend erhöhtem Chill-Faktor der Gruppe hinterher hecheln sollte. Ich bitte also um ein kleines Schulterklopfen für dieses erste Bild, auch wenn es sicher kein fotografisches Meisterwerk ist.

    Ferner kann man auf endlos gerader Strecke trefflich darüber grübeln, wie schnell sich Menschen der Umgebung anpassen. Vor ein paar Wochen hatte die ganze Gruppe noch massive Kopfschmerzen, als wir erstmals in Höhen von knapp 4.000 m schliefen, mittlerweile hat niemand mehr Probleme mit noch größeren Höhen, und es nimmt auch keiner mehr Aspirin oder ähnliches. Erstaunlich.

    Und schließlich sinniere ich über das gestern in Wikipedia Gelesene: Es gibt in Chile, das insgesamt sehr europäisch geprägt ist, immer noch etwa 35.000 deutschsprachige Einwohner, obwohl die größte deutsche Einwanderungswelle bereits 1850 stattfand. Gut 150 Jahre, und immer noch nicht integriert? Wieviel Generationen dauert es eigentlich, bis sich solche alten Identifikationen auflösen und in Neuem verschmelzen? Wann werden sich die Türken in Deutschland vollständig integriert haben, im Jahre 2200? Und wie lange wird uns der aktuelle Flüchtlingszuzug beschäftigen? Damit kein falscher Eindruck entsteht: Eine Abschottung nach osteuropäischem oder österreichischem Muster halte ich nicht für richtig, sie ist mit unserem christlichen Weltbild nicht vereinbar (auch wenn man sicher darüber sprechen muss, was ein aufnehmendes Volk zu leisten imstande ist und ab wann Überforderung entsteht). Aber eines wird durch den Quervergleich zu Chile klar: Integration dauert sehr, sehr, sehr lange.

    Zurück aus meinen Langstreckengedanken widme ich die Bilder 2 und 3 unserem Startort San Pedro, dieser zunächst nur staubig wirkenden Kleinstadt, die sich jedoch abends als lebendiger Backpacker-Treffpunkt herausstellt. Ich ziehe gegen 19.30 Uhr alleine los, treffe später noch Marc und wir beobachten mit Freude im Open-Air Lokal zunächst ein schön geschminktes Tangopaar, das mitten im Lokal seine Tanzkünste aufführt und anschließend den Hut herumgehen lässt. Und auch auf der Straße vor dem Lokal herrscht dank eines (keineswegs besonders virtuosen) Straßengitarristen und einiger enthusiastisch mitsingender Punks gute Stimmung.

    Das darauf folgende Bild zeigt das obligate Foto "Bike vor schöner Landschaft". Allerdings (wer hat es bemerkt?) mit einer kleinen Veränderung zu gestern ... genau, auf dem rechten Seitenkoffer prangt jetzt Che Guevaras Konterfei. Viva la Revolution!

    Salzseen gibt es hier übrigens jede Menge, es wird fast langweilig mit ihnen, aber Katrin und Martin mit ihren gelben Regenjacken machen sich gut davor. Während des Lunchbreaks treffen wir auf eine Gruppe brasilianischer Biker, die gerne (mit Marc in der Mitte) für ein Foto posieren. Es handelt sich übrigens um eine 9000 km-Familienausfahrt (Vater, Sohn, Schwiegersohn ...) ... @Felix und Christoph: das steht noch auf unserer bucket list, ja?; @Amelie: Lust den Bike-Führerschein zu machen?

    Zum Schluss dann doch noch Kurven, wir wedeln von 4.200 m auf 2.200 m hinab und enden in einer grünen Oase mit buntem Gestein um uns herum. Übrigens noch ohne argentinisches Geld, denn der Geldautomat in Purmamarca ist leer und wird heute -karnevalsbedingt- nicht mehr aufgefüllt. Alaaf!
    Read more