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  • Day 127

    Die echte Zahnfee schlägt zurück

    May 23, 2018 in Panama ⋅ 🌧 24 °C

    Hallo Panama. Höchste Priorität hatte natürlich die umgehende Wiederherstellung meiner völlig demolierten Frontansicht. Meine Fresse - genau um die ging es -, war das eine Übung. Mit all den Wolkenkratzern, amerikanischen Autos, Fast-Food-Ketten und Amerikanern mit ihren übertrieben beliebten Panama-Hüten, wirkt Panama City auf den ersten Blick wie eine amerikanische Grossstadt. Es sollte also ziemlich einfach sein, einen vernünftigen Zahnarzt zu finden. Die Recherche im Internet scheint simpel. Whatclinic.com hat eine riesige globale Datenbank von Kliniken mit tausenden von Reviews und an erster Stelle in Panama City steht die "Just Smile Dental Clinic". Ich versuche mein Glück und mache mich ohne Termin und mit Sue im Schlepptau auf den Weg. Die Klinik ist schnell gefunden, wirkt aber kleiner als im Web. Da die Tante am Empfang kein Englisch spricht, kommt der Onkel Doktor selber zum Tresen, um mein Anliegen aufzunehmen. Er ist zwar auch nicht der vom Web, sieht aber ganz vernünftig aus. Wobei in Kombination mit der Assistentin, die ihn im Laufe der nächsten Stunde ununterbrochen anschmalzen wird, könnten die beiden auch einer billigen spanischen Telenovela entsprungen sein. Nachdem Dr. Ramon meine Spalte kurz beäugte, quittiert er die kleine Untersuchung mit einem selbstsicheren Nicken und den Worten „sure, I can fix that“. Da wir nur auf der Durchreise sind, hoffe ich natürlich auf einen baldigen Termin - also heute oder morgen. Der lustige Ramon lässt kurz seine frivole Assistentin die Agenda checken, nur um total überrascht festzustellen, dass er heute Zeit hätte. Als eigentlich jetzt. Sofort. Wow, dann leg los! 

    Während sich Dr. Ramon und die komische Besteckreicherin um meinen Zahn kümmern, scheinen die beiden Turteltauben allerlei Gesprächsstoff zu haben. Natürlich verstehe ich kein Wort und mein Wohlbefinden hält sich in Grenzen. Irgendwann glaube ich dann zu verstehen, dass es nicht um gemeinsamen Skiurlaub und unsägliche Sexpraktiken geht, sondern um die Farbe der verwendeten Composite-Füllung. Nach kurzer aber spürbarer Ratlosigkeit macht sich Ramon wortlos daran, das aufgetragene Material wieder abzuschleifen. Spätestens jetzt wünsche ich mir ganz fest, bei meinem Dr. Götz am Stauffacher zu sitzen. Zu spät, ich bin in den Händen von zwei schmalzigen Soap-Darstellern und das wird sich so schnell auch nicht ändern. Als das Werk dann vollbracht ist - vierzig lange Minuten waren bereits vergangen -, sehe ich Ramons prüfendem Blick bereits an, dass die Geschichte noch nicht durch ist. Während er mir den Spiegel reicht, versucht er mich bereits mit den Worten „we can fix this“ zu beschwichtigen. "We"?? Wer sind "WE"?? Du hast am Tresen gesagt „I can fix that“! Zeig her! Wie umgehend klar wurde, ist der bescheuerte Ramon farbenblind. Ich sehe aus, als hätte ich dreissig Jahre Tag ein Tag aus auf einen Zahn geraucht. Nach einer kurzen Phase der Schuldzuweisung an seine dickbusige Assistentin und das schlechte Licht, lässt Ramon weit weniger selbstbewusst und sich meiner Entrüstung offensichtlich bewusst, ein erneutes „I can fix this“ verlauten. Das will ich dir auch geraten haben. Du weisst wohl nicht, dass ich nebenbei professionelles Hobby-Touri-Model bin! Verdammter Pfuscher. Leg los! 

    Nach weiteren knapp dreissig Minuten soll es dann vollbracht sein. Vorsichtig und mit den Worten „I can still change it, if you want“ reicht mir der ungelernte Bauspengler den Spiegel. Die Farbe ist besser. Irgendwie. Das Licht in der Praxis allerdings äusserst schummrig, weswegen eine klare Aussage schwierig ist. Da mir die Fresse nach über einer Stunde sowieso weh tut, will ich mich im Moment nicht weiter damit beschäftigen. Bzw. ich kann nicht. Sonst gibt es hier noch (mehr) Verletze. Ich bezahle die $90 und verlasse mit Sue die schäbige Schlosserei. Schon nach wenigen Schritten und einigen Zahntastern wird allerdings klar, dass mir mein neues Äusseres nicht gefallen wird. Anstatt nur die fehlende Ecke zu flicken, hat der beknackte Ramon den gesamten Zahn mit zusätzlichem Composite überzogen, was diesen auf etwa die doppelte Dicke hat anwachsen lassen. Dass er dabei auch noch in die Höhe und somit gegen das Zahnfleisch gewachsen ist, sei hier nur am Rande erwähnt. Ich fühl mich schrecklich. Da helfen auch die aufmunternden Worte von Sue wenig. "Me gsehts gar nid wemmers nid weiss". Jaja, lueg du für du! Gestritten haben wir uns dann aber nicht. Dank Sue. Nur dank Sue. 

    Zum Glück haben wir uns am Abend noch mit unserer irisch-schweizerischen Quest-Crew auf ein paar Drinks und Sushi verabredet. Trinken ist immer gut. Aber wirklich glücklich werde ich auch dabei nicht. Tags darauf wollen wir alle zusammen den lokalen Fischmarkt und danach die Schleusen des Panama-Kanals besuchen. Macht ja Sinn, wenn man schon mal hier ist. Aber mein Zustand verschlechtert sich im Laufe des Tages mit wachsenden Kopfschmerzen und ich staune, dass mich die Crew nicht wegen "Grumpiness" ausstösst. Muss an der AG-Connection liegen. Coole Mädels. ZHs wären sicher schon lange abgehauen. Sue vielleicht auch, aber ich hatte den Schlüssel. Irgendwo zwischen Fischgestank und Schleusenlärm fasse ich den Beschluss, am nächsten Tag einen weiteren Zahnarzt aufzusuchen. Zurück zu Ramon ist keine Option. Wahrscheinlich ist der sowieso längst im Skiurlaub mit seiner ollen Sexpuppe. Nein, ich suche mir jetzt einen richtigen Zahnarzt! Irgendwie. 

    Die erneute Suche verläuft ähnlich wie die erste. Diesmal kapiere ich allerdings, dass die Liste der Kliniken nicht nach deren Qualität sortiert ist. Es gibt gar keine logische Sortierung. Hm, das erklärt die dilettantische Spenglerarbeit zumindest teilweise. Aber nur teilweise. Schlussendlich entscheide ich mich für die "Ford Clinic Dental Spa" auf Seite drei. Wirklich gute Reviews und erinnert mich irgendwie an das "Betty Ford Center", wo sich allerlei Celebrities gegen allerlei Suchterkrankungen behandeln lassen. Gehe ich irgendwann auch hin. Verdammte Sexsucht. Angespannt, mit Brummschädel und in der Hoffnung, die richtige Entscheidung getroffen zu haben, laufe ich abermals ohne Termin zur Praxis. Aber schon beim Betreten bessert sich meine Stimmung. Eine richtige Praxis. Modern. Hell. Wohlriechend. Und die Dame am Empfang könnte nicht sympathischer sein. Als ich ihr meinen lebensbedrohlichen Fall schildere - ich hatte neben einer neuen Praxis auch schon Ramons Privatadresse recherchiert -, verspricht sie eine sofortige Behandlung. Fünf Minuten später empfängt mich eine junge und aufgestellte Zahnärztin, die mich sehr an Lollipop-Verteilerin Amanda von der Quest erinnert. Vielleicht hat das Universum wieder etwas gutzumachen. Ich weiss es nicht. Spannend. Und skurril. 

    Der Rest der Geschichte ist schnell erzählt. Amanda II - die kleine Zahnfee - macht einen phantastischen Job. Sie entfernt Ramons gelben Lego-Klotz komplett und startet die Lückenschliessung von Neuem. Sowohl die Behandlung als auch das Ergebnis sind erste Sahne. Überglücklich und erleichtert muss ich den kleinen Doktor für einen Moment in den Arm nehmen. Danke, Amanda. Und da ich bereits für einen Zahnarzt in Panama bezahlt hatte, will das nette Wesen dann auch nur $90 anstelle der veranschlagten $140 von mir. Danke, Amanda. Bzw. Gianna, wie sie richtig heisst. Zumindest behauptet sie das. Die Adresse von Ramon habe ich danach wieder gelöscht. Und so haben einmal mehr alle überlebt. Und sind schön. Vor allem Sue. 

    Nach ein wenig Shopping und Sightseeing geht unsere Reise weiter gen Norden. Unser nächstes Ziel sind die Bocas del Toro, eine karibische Inselgruppe nahe der Grenze zu Costa Rica. Soll schön sein da. Wie Sue. 
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