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  • Day 286

    Marc, Schlangen und sonstige Traumata

    October 29, 2018 in Australia ⋅ 🌙 15 °C

    Da wir nun schon mehr Posts haben, als der Federer Titel hat, werden die Beiträge in Zukunft vielleicht etwas seltener. Vielleicht aber auch nicht. Der erste Halt auf unserem Roadtrip ist ein unscheinbares Kaffee im Otway National Park, auf dessen Parkplatz sich trotz bescheidenen Wetterverhältnissen diverse Papageien tummeln, die furchtbar gerne auf Köpfen rumsitzen. Zumindest auf männlichen Glatzen. Sue’s Schulter wird erst bei der Aussicht auf Sandwich-Krümel berücksichtigt, was ihre unendliche Freude darüber aber nicht zu schmälern weiss. Dafür wäre sowieso keine Zeit, denn kaum ist die Vogelfreude leicht verflogen, steht ein Gruppe Koalas bereit, um den Serotonin-Haushalt weiterhin auf Trab zu halten. Furchtbar süss. Unser Trip führt uns über die Great Ocean Road, wobei die gemeinsame tierische Wunschliste nach dem ersten Stopp erst teilweise abgehakt ist. Es fehlen noch Emus, Schlangen, Kookaburras und natürlich Kängurus. Von den knuffigen Hüpfern soll es hier ja über vierundvierzig Millionen geben. Fast doppelt so viele wie Einwohner. Es dauert denn auch tatsächlich nicht lange, bis wir das erste Känguru erspähen. Also ich. Allerdings wie schon zuvor vom Auto aus und eindeutig zu nahe an der Fahrbahn. Sue ist verständlicherweise emotional aufgewühlt ob der traurigen Nachricht und ich versuche die Stimmung teilweise zu retten, indem ich behaupte, es hätte sich um ein ausgewachsenes Tier gehandelt. Das beruhigt sie ein wenig. Doch dann meint der einfühlsame Marc, es könnte aber auch ein Muttertier gewesen sein, in deren Beutel zum Zeitpunkt des Unglücks noch ein Bébé wohnte. Wow. Das entschärft die Situation emotional nicht wirklich. Danke. Marc.

    Schuld an dieser tierischen Tragödie dürfte einmal mehr der Linksverkehr sein. Damit habe auch ich die Tage überraschend viel Mühe. Die Rollen waren beim Mietwagen-Pickup ja schnell verteilt und werden sich im Laufe des Roadtrips auch nicht mehr ändern. Ich fahre, Sue navigiert und Marc ... hm, ja, Marc sitzt hinten, schaut aus dem Fenster oder schnarcht. Meistens. Hat er sich ja auch verdient der gute Mann, ist schliesslich in den Ferien hier. Manchmal greift er aber auch spontan ins Geschehen ein, um mich schleunigst wieder auf den rechten Weg zu bringen, was in unserem Fall die linke Spur ist. Wobei das gilt ja auch ganz generell im Leben und trotzdem ist es nicht dem Marc seine bevorzugte Seite. Aber egal. Und ist es nicht der Marc, der unser Leben rettet, dann ist es die unentwegt alarmierte Sue. Oder auch gerne mal eine wild fuchtelnde Dame auf dem Fussgängerstreifen. Ja und in einem Fall ist es der Aussi-Ramon, ein erschreckend unfreundlicher Nachkomme eines vor zweihundertdreissig Jahren hier ausgesetzten Sträflings.

    Als ich mich bei einer Schlange vor einer Tankstelle von der falschen Strassenseite her anstelle, sieht der ganz offensichtlich geisteskranke Ramon rot und sich gezwungen, mitten auf der Strasse anzuhalten, das Fenster zu öffnen und mit aggressiver Miene wild zu gestikulieren. Ein paar Sekunden ginge ja noch - da unsere Fenster zu sind, verstehe ich sowieso nicht, was der Fascho labert -, aber der als Kind wohl oft verprügelte Ramon ist aufgrund meiner lächerlichen Fahrleistung total ausser Rand und Band und will seine Hände gar nicht mehr still halten. Also so geht es ja auch nicht. „Du aufgeblähter Stinkstiefel beweist hier eindrücklich, dass dein Selbstwertgefühl bei Null oder gar darunter liegt. Du hasst dich. Nicht mich. Obwohl du in keinster Weise von meinem schwachen Auftritt betroffen bist, nutzt du den kurzen Moment meiner Hilflosigkeit, um völlig unnötig und übertrieben auf mich loszutreten. Hättest du auch nur einen Funken Wertschätzung für dich selbst, könntest du mich einigermassen freundlich und sachlich über meinen Fehler aufklären und mich korrigieren. Hast du aber nicht. Du hast nichts. Ausser diverse Kindheitstraumata und ein Gefühl der physischen Überlegenheit. Siehst ja auch aus wie ein verdammter Bär. Aber nicht die kuschelige Version, auf die Mädchen stehen. Nein, die hässliche Version, vor der Menschen Angst haben und weg rennen! Verstehst du armes Schwein überhaupt, was ich dir sage?“ All das würde ich dem rot angelaufenen Ramon sagen, hätte ich den Mut, auszusteigen. Den hab ich aber nicht. Trotz Marc „Nasenbeinbrecher“ Taeschler auf dem Rücksitz. Also lächle ich eingeschüchtert vor mich hin und hoffe der Arsch bleibt auch sitzen.

    Nachdem wir das Tanken tatsächlich überlebt haben, wartet schon die nächste heikle Situation auf uns. Bei den „Twelve Apostels“ begegnet uns die erste Schlange auf unserer Reise. Eine schön gezeichnete „Tiger Snake“ - eine der giftigsten Schlangen Australiens - quert vor uns den Gehweg zum Aussichtspunkt. Mehrheitlich entzückt setzen wir den kurzen Walk fort, doch am Aussichtspunkt keine zwanzig Meter weiter, versperrt ein weiterer spitzzüngiger Geselle den Weg. Oder vielmehr seine grimmigen Beschützer vom hiesigen Secret Service. Drei Meter vor uns steht doch tatsächlich Mr Scott Morrison, seines Zeichens Premier Minister Australiens, der gerade irgendwelche belanglosen Dinge in ein paar Kameras faselt. Der Typ war aufgrund von Unvorstellbarkeit definitiv nicht auf unserer Begegnungs-Wunschliste, aber trotzdem ein Foto wert. Sprechen wollte der feine Pinkel dann aber nicht mit uns. Zumindest nicht wenn Marc dabei ist. Schade.

    Nachdem wir die Great Ocean Road hinter uns gelassen haben, verbringen wir zwei Nächte in einem Holidaypark im Grampians Nationalpark, wo wir in kurzer Zeit alle Kästchen der Wunschliste abhaken können. Unzählige Emus und Kängurus, diverse Papageien und beim Pinnacle-Hike noch ein Kookaburra und eine unscheinbare „Brown Snake“, nach Morrison die giftigste Schlange dieser Region. Total lässig alles. Und eine Sache hat der Marc ja schon auch richtig gemacht. Neben der komischen Zeitung schaffte es auch ein ausgewachsenes Fläschchen Moët in seinen Koffer und die pfeifen wir uns inmitten all der Tiere hier genüsslich rein. Was will man mehr in und von Australien? Richtig, nettere Menschen und billigeres Bier. Aber hey, wir haben ja noch ein paar Tage und vielleicht finden wir das ja auch noch.
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