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  • Day 7

    Sidi lass die Hosen runter

    March 3, 2019 in Iran ⋅ ☀️ 10 °C

    Ich reise also weiter nach Isfahan. Ohne Sue. Ohne Freunde. Alleine. Und das ist gut so. Um mit anderen und der Welt klarzukommen, ist es hilfreich bis essentiell, mit sich selber klarzukommen. Und die Zeit mit sich alleine ist der beste Übungsraum. Natürlich vermisse ich die schöne Sue an jedem Tag, schliesslich gehören wir zusammen. Ich weiss, jöööö. Und zusammen werden wir auch schon bald wieder sein. Bis es soweit ist, macht der Bus auf der sechsstündigen Fahrt nach Isfahan eine kurze Pinkel-Pause und ich realisiere plötzlich, dass es sich bei den Iranern ja auch um ein Volk von Stehscheissern und Arschduschern handelt. Hatte das Hostel in Teheran noch Schüsseln und Klopapier zu bieten, sieht das die Raststätte etwas anders. Also ganz anders. Und ich hatte mich hier schon sicher gefühlt. Aber egal, seit Myanmar kann ich ja mit so ziemlich allem umgehen. Ausser mit Kritik. Die hasse ich immer noch. Auch konstruktive.

    Der Empfang im Nargol Guest House ist unerwartet crazy. Es ist Freitag und somit „Family-Sonntag“ und man feiert ausserdem Muttertag und irgendein Hochzeitsjubiläum. Forouzan drückt mir als erstes ein Stück Torte in die Hand, setzt mich in die Familienrunde und zwingt die eben aufgestandene Band noch eine Stunde dran zu hängen. Ich bin der einzige Gast hier - es ist quasi „off-off-off-season“ - und als Folge werde ich von der Familie kurzerhand adoptiert. Die Menschen sind unheimlich liebenswert und zugänglich. Weit entfernt vom Bild, welches uns aufgrund der aussenpolitischen Schwierigkeiten und dem rigiden Regime in den Medien vermittelt wird. Ich erlebe die herzliche Gastfreundschaft und Offenheit, von der ich so viel gelesen habe. Das islamische Regime geniesst kaum Support von der breiten Bevölkerung - was dieses mit eiserner Faust zu kompensieren weiss - und die auferlegten Regeln und religiösen Vorgaben gehen einer grossen Mehrheit mächtig auf den Sack. Als Folge gibt es hierzulande zwei diametrale Welten: das öffentliche und das private Leben. Veränderung ist nur spärlich zu erkennen. Viele die können, gehen ins Ausland. Da es hier - wie so vieles anderes - auch keine Discos, Clubs oder Bars gibt, wird eben im Auto zu Selena Gomez getanzt. Und kaum ist die Haustür zu, fliegt das Kopftuch in die Ecke und der Spass beginnt. Aufgrund des fehlenden Alkohols besteht der Spass allerdings eher aus einer Mischung von Kindergeburtstag mit mir bis dato unbekannten Spielen und Zitar-Karaoke. Ich bringe der Runde ausserdem „Hose abe“ bei. Gar nicht einfach den Namen zu erklären, ohne irgendwelche mir unbekannten Tabus zu brechen. Zumindest denke ich das. Aber wir befinden uns in der privaten Welt und da findet Iran das so lustig, dass ich ab sofort alle zwei Minuten die Aufforderung „Hose abe“ höre. Man kann tatsächlich auch ohne Alkohol lustig sein. Also die anderen. Ich will einfach gewinnen.

    Die Familie lädt mich zum Lunch im äusserst schönen Elternhaus ein, wo mich die Mutter mit einem lauten „Hose abe“ und schallendem Lachen empfängt. Das lustige Schweizer Kartenspiel hat sich also bereits herumgesprochen. Gegessen wird am Boden sitzend, was wie Yoga offensichtlich nicht zu meinen Stärken zählt. Wie schon der olle Jogi in Indien, empfiehlt man mir hier freundlich, mich doch an den Tisch nebenan zu setzen. Aber das hier ist anders und ich bleibe sitzen. Trotz steifen Knien. Das Essen ist total lecker und auf einmal steht da eine Flasche Cognac. Echt jetzt?! Der Herr des Hauses liebt das Zeugs und so gönnen wir uns ein Gläschen nach dem anderen. Zum Lunch. Verdammt, ich hatte mich doch auf einen Monat „Trockenheit“ eingestellt. Egal, der alte Mann - ein an den Rollstuhl gebundener Kriegs-Veteran - riskiert dafür Gefängnis. Grund genug mit den eigenen Vorgaben zu brechen und zum Schluss bin ich sogar so beschwipst, dass ich bei der anschliessenden Tee- und Musik-Runde ein Schweizer Liedchen zum Besten gebe. Und was würde da melodisch besser passen als „Dr Sidi Abdel Assar“ von Mani Matter? Genau, dem Baschi sein „Bring en hei“. Schau Video. Danach lege ich mich mit der ganzen Familie und warm eingepackt auf den flauschigen Teppichboden und wir machen ein Ausnüchterungs-Schläfchen bis spät in den Nachmittag. Das Leben kann so schön sein. Auch hier.

    Was täglich auffällt, ist der enorme Wertzerfall des iranischen Rials. Mit der Metro quer durch Teheran kostet mich lediglich sieben(!) Rappen, dreissig Minuten im Taxi quer durch Isfahan sechzig(!) Rappen. Diverse Snacks, Getränke und Tee für fünf Leute deutlich weniger als ein einfacher Kaffee im Starbucks am Stauffacher. Ein Paradies für Backpacker, eine Katastrophe für die international bereits stark isolierte iranische Bevölkerung. Neben den ganzen religiös-kulturellen Regeln, bietet das sogenannte Taarof eine Reihe weiterer Fettnäpfchen. Taarof ist eine zeremonielle Unaufrichtigkeit, bei der ein Angebot erst drei Mal dankend abgelehnt wird, bevor man es annimmt. So ein Sheldon-Ding. Mich verwirrt das trotzdem massiv und ich bin mir nie wirklich sicher, ob ich etwas bereits annehmen darf und ob ich schon oft genug gefragt habe, ob jemand das letzte Stück Torte will, bevor ich es mir genüsslich zwischen die Kiemen schiebe. Aber egal, ich bin Touri, habe im Vergleich sau viel Geld und wohl unlimitierten Kredit. Wenn das doch nur in allen Beziehungen so einfach wäre. Das Leben könnte so schön sein. Nicht nur hier.
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