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  • Day 448

    Feuchte Träume

    April 9, 2019 in Georgia ⋅ ⛅ 13 °C

    Die Sonne scheint, die Einreiseformalitäten dauern keine zwei Minuten, der angebotene Wechselkurs entspricht exakt demjenigen von Google und das Taxi von der Grenze nach Sighnaghi soll weniger kosten, als das Tripadvisor-Forum als fairen Preis beschreibt. Hallo Georgien, du schönes Land! Kaum in unserem Guesthouse angekommen, geht es ähnlich liebreizend weiter. Man spendiert uns ein Zimmer-Upgrade, setzt uns vor eine herrliche Aussicht und serviert uns frisches Brot mit Wurst, Käse und Eiern. Dazu wird hausgemachter Wein gereicht. Ach Georgien, du bist zu gut zu uns! Das vielseitige Dinner im Guesthouse gehört geschmackstechnisch ebenfalls in die oberen Ränge der letzten Monate und rundet das Feuerwerk der Glücksgefühle ab. Unzählige georgische Leckereien werden aufgetischt - darunter keinerlei Lamm, Schaf oder Gammel-Hammel - und ausnahmslos alles schmeckt fantastisch. Insgesamt landet ein Vielfaches von dem auf dem Tisch, was ein verfressenes Paar wie wir verzehren könnte. Wir versuchen es natürlich trotzdem. Mit wenig Erfolg. Und habe ich eigentlich schon erwähnt, dass meine Stirn nun aussieht wie bei einem 15-Jährigen? Klar, jung klingt erst mal ganz gut. Aber derlei pubertierende Haut hatte ich seit über zwanzig Jahren nicht mehr. Es scheint als ob die ganze Transplantationsscheisse - oder Sauce - allmählich ins Gesicht fliesst. Echt hässlich. Armer, hässlicher Junge.

    Sue ist das egal. Als wir im Guesthouse nach Lucky - eine stolze Schäferhündin - auch noch ihren Fünfer-Wurf Puppies entdecken, gibt es für Sue sowieso kein Halten mehr. Ausserdem gibt es hier überall Khachapuri. Ein mit Käse gefülltes Fladenbrot frisch aus dem Ofen. Geiler geht kaum. Nur die scheiss Waage sieht das natürlich wieder ganz anders. Egal, Fresse halten. Und last but not least befinden wir uns hier in einer furchtbar berühmten Weinregion. Traumhaft. Über fünfhundert Rebsorten gibt es in Georgien, gehört habe ich noch von keiner. Saperavi und Rkatsiteli heissen die Bekanntesten. Ausserdem unterscheidet sich die Herstellung hier gravierend von der westeuropäischen Machart. Traditionell wird der Wein hier in Qvevris hergestellt. Das sind so eingegrabene Lehmdinger die gerne auch mehrere tausend Liter fassen. Das Resultat ist intensiv und spannend in Erscheinung und Geschmack. Unsere regionale Wein-Tour dauert ganze acht Stunden, auf der unser Fahrer zwar nur russisch spricht, dafür aber durch seine ruhige und gelassene Fahrweise und seine ausgeprägte Geduld besticht, während wir uns dem Wein oder der Aussicht widmen. Komisch ist er trotzdem. Kaum erscheint ein Kreuz oder eine Kirche in seinem Blickfeld, muss sich der Russe umgehend bekreuzigen. Also dieses Stirn, Wampe, linke Titte, rechte Titte. Und zwar drei Mal hintereinander. Wohl so ein Sheldon-Ding. Einfach ohne das mit dem Genie. Also einfach ein orthodoxer Tick. Und Kreuze gibt es hier wie bei uns Christbäume in der Adventszeit. Was den ansonsten sehr gemütlich Russen hinter dem Steuer doch ziemlich hektisch werden lässt. Erinnert mich irgendwie an den wild fuchtelnden Busfahrer in Patagonien. Haben doch alle einen an der Klatsche. Verdammte Fuchtler.

    Egal, Georgien ist wie ein feuchter Traum. Also einfach traumhaft und das feiern wir feucht-fröhlich. Jeden Tag. Punkt.
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