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  • Day 66

    Der Alltag des Entdeckungsreisenden

    October 14, 2017 in the United States ⋅ 🌧 3 °C

    Als Entdeckungsreisender in Amerika lege ich hunderte von Kilometern zurück, treffe nette Menschen, bezwinge eisige Pässe und sehe täglich fremdartige Tiere und beeindruckende Landschaften. Über all das habe ich hier täglich berichtet. Wie aber sieht der Alltag des Entdeckungsreisenden aus?
    Der Tag beginnt um 6 oder 7 Uhr, gewöhnlich in irgendeinem Motelbett. Waschen, anziehen. Das Telefon auf neue E-Mails und neue Kommentare zu diesem Blog checken, manchmal ein Anruf zu Hause.
    Meistens gibt es in den Motels kein Frühstück. Ich esse daher, was die Satteltasche noch so hergibt, Brot, Käse, Würstchen, Schokolade, Milch. Meistens gibt es eine kleine Kaffeemaschine, so daß ich mir was Warmes brauen kann.
    Dann auschecken, den Schlüssel abgeben und es geht auf Stecke. Die Route habe ich spätestens am Vorabend geplant, Google Maps und Locus Pro weisen den Weg.
    Die Routine des täglichen Radfahrens: In den Steigungen raufschalten, und noch einmal, und noch einmal, bis Kraftaufwand und Drehzahl im grünen Bereich sind. Wenn der Gipfel erreicht ist, rollen lassen, Atem schöpfen, abkühlen. Unglaublich, wiie viel Wärme so ein menschlicher Körper beim Bergauffahren entwickelt!
    Die meisten Landstraßen haben einen relativ breiten Seitenstreifen, auf dem man gut und sicher fahren kann. Wenn nicht: Rückspiegel beobachten. Es gibt so gut wie keine Radfahrer auf den Landstraßen. Trotzdem reagieren die meisten Autofahrer, auch die großen Trucks, richtig und fahren zum Überholen weit nach links rüber, wenn sie können.
    Zwischendurch immer mal wieder eine Pause. Luft schnappen und Schweiß abwischen auf einem Gipfelpunkt. Milch oder Wasser trinken. Eine Kleinigkeit essen. An einem historical marcer anhalten und lesen, was über die Wildwestvergangenheit des Ortes berichtet wird.In die Karte schauen, ob das Tagesziel noch nicht näher gerückt ist.
    An einem Laden oder einer Tankstelle anhalten, um ein bisschen Tagesproviant einzukaufen. Oft ergibt sich dabei die Gelegenheit zu einem kurzen Gespräch. Anders, als in Deutschland, haben die Leute hier keinerlei Scheu, Fremde anzusprechen, und als Nichtautofahrer falle ich natürlich sofort überall auf.
    Es beginnt stets mit einem "How is it going?", das man mit einem "Excellent", mindestens aber "Good" beantworten muß. Nach ein paar Fragen nach dem Woher und Wohin ist das Gespräch meist ebenso schnell beendet, wie es begonnen hat.
    Nachmittags rückt das Tagesziel auf der Karte allmählich näher, oft mit entnervender Langsamkeit. Irgendwann zwischen 3 und 6 bin ich da. Oft habe ich schon am Vortag ein Motelzimmer online oder telefonisch reserviert, so daß die Suche nach einer Unterkunft kein Problem ist. Einchecken und Zimmer beziehen. Auch mein Fahrrad darf mit aufs Zimmer, das gilt hier offenbar als Gepäck. Autos bleiben allerdings meist draußen.
    Diese Motelzimmer sind immer gleich: Ein Zimmer mit ein oder zwei großen Betten in "Queen-" oder "Kingsize" und ein Bad mit Dusche und Toilette. Es gibt immer einen Fernseher, von dessen Benutzung jedoch stark abzuraten ist, da das amerikanische Programm noch schlechter als das deutsche ist. Es gibt immer WLAN. Oft gibt es einen Kühlschrank, eine Mikrowelle und eine Kaffeemaschine.
    Die Heizung ist immer elektrisch. Das bedeutet, daß nachts der Lüfter alle halbe Stunde mit großem Getöse anspringt. Dagegen hilft nur, abends ordentlich einzuheizen und die Heizung dann beim Schlafengehen abzuschalten. Ähnlich ist es mit dem Kühlschrank.
    Es gibt die Motels der großen Ketten, und kleine Familienbetriebe, die von Oma und Opa fleißig bewirtschaftet werden. Die meisten Motels sind sauber, aber manchmal sieht man dem Mobiliar an, daß es 30 Jahre lang immer wieder geputzt, aber nie ausgetauscht wurde.
    Erst mal ausruhen. Das WLAN einschalten. Neuigkeiten von zu Hause? Wie ist die Wettervorhersage für den nächsten Tag? Welche Strecke habe ich für morgen geplant?
    Zwar habe ich die ganze Route von Küste zu Küste schon zu Hause geplant und in meinen Karten hinterlegt. Ich habe dabei aber nicht berücksichtigt, wo es Unterkünfte gibt. Also plane ich mit Google Maps passende Etappen von 60 - 100 Kilometern von Motel zu Motel für vier oder acht Tage im voraus.
    Zwar ist die Touristensaison hier vorbei und die meisten Motels sind halbleer. Einige haben auch schon für den Winter geschlossen. Trotzdem reserviere ich mir mein Zimmer, wenn es kritisch ist, lieber im voraus.
    Die Sportklamotten ausziehen, duschen, Zivilkleidung anziehen. Den Staub der Landstraße und den Schweiß wasche ich aus der Sportkleidung rasch im Handwaschbecken aus. Sie wird zum Trocknen aufgehängt und ist dann morgens wieder einsatzbereit.
    Dann möglichst noch in die Stadt oder ins nächste Restaurant, um noch etwas Warmes zum Essen zu erbeuten, und zwar möglichst viel, wenn's geht mit Fleisch. Anfangs habe ich versucht, mit einem Eis und einem Butterbrot von der Tankstelle zu überleben. Ich habe jedoch bald gemerkt, daß ich jeden Tag schwächer wurde. Die mechanische Energie, die man beim Radfahren erzeugt, muß eben irgendwo her kommen. Der Radfahrer braucht das Fleisch, wie das Auto das Benzin. 500 Gramm pro 100 Kilometer genügen.
    Zurück im Motel ergänze ich diesen Blog. Unterwegs habe ich schon die Artikel angelegt und die Fotos gemacht, so daß alle Artikel mit der richtigen Orts- und Zeitangabe erscheinen. Noch schnell ein paar Verse geschmiedet, ein paar Kommentare beantwortet, und fertig ist's.
    Und dann ist auch schon Schlafenszeit, denn Beine und Kopf brauchen mindestens 9 Stunden Ruhe, um fit zu sein für einen neuen Entdeckertag.
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