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  • Day 30

    Tiwanaku

    August 7, 2019 in Bolivia ⋅ 🌙 2 °C

    Heute habe ich gar nicht gut geschlafen, denn ein böser Magen- Darm Infekt hat mich die halbe Nacht am Klo verbringen lassen. Als dann in der früh mein Wecker klingelt, bin ich äußerst unentschlossen, ob ich den heutigen Ausflug zu den Ruinen von Tiwanaku machen kann oder nicht. An Frühstück ist nicht zu denken, so mache ich mir nur im Zimmer einen Tee. Kann ja nicht schaden! Mit leichten Bauchschmerzen und dem Gefühl, ständig auf die Toilette zu müssen, setze ich mich in die Lobby und warte darauf, abgeholt zu werden, immer noch unentschlossen, ob ich krankheitsbedingt absagen oder mitfahren soll. Als ich dann endlich um 8.10 (statt 7.30) geholt werde, fühle ich mich halbwegs bereit, die Tour anzutreten, auch wenn ich immer noch keineswegs fit bin.

    Die 1,5-stündige Fahrt überstehe ich, zwar immer wieder von Bauchkrämpfen geplagt, halbwegs gut. Angekommen in Tiwanaku, ist der erste Weg allerdings zur Toilette. Dank der eingenommenen Kohletabletten, stehe ich aber im Laufe des Tages immer längere Perioden ohne Toilettenbesuch durch und so bin ich froh, geschichtlich wieder einiges dazugelernt zu haben.

    Die Ruinenstätte von Tiwanaku (auch Tiahuanaco genannt) liegt etwa 70km von La Paz entfernt nahe der Stadt Tiawanacu im westlichen Bolivien an der Grenze zu Peru. Auf einer Höhe von 4.000 Metern über dem Meer thront die geheimnisumwitterte historische Stadt in den bolivianischen Anden.

    Tiwanaku bezeichnet sowohl eine Ruinenstätte als auch eine südamerikanische Kultur und ist die wichtigste Ausgrabungsstätte Boliviens. Neben Machu Picchu ist Tiwanaku die bedeutendste Stätte Südamerikas, die noch vor der Landung Kolumbus’ errichtet wurde. Seit 2000 zählt Tiwanaku zum Weltkulturerbe der UNESCO.

    Tiwanaku bedeutet wörtlich übersetzt etwa „Setz dich hin, kleines Lama” und wurde vor etwa 3.000 Jahren, um 1.500 vor Christus errichtet und fungierte ab etwa 300 vor Christus als Verwaltungs- und spirituelles Zentrum der Aymara-Kultur.

    Seinen kulturellen Höhepunkt erreichte Tiwanaku von 600 bis 900 nach Christus, als sein Einfluss bis zur Atacama Wüste in Chile, nach Peru und ins heutige Argentinien reichte. Damals umspannte das Tiwanaku Reich etwa 600.000 km².
    Gegen Ende des ersten Jahrtausends wurde der florierenden Stadt eine Dürreperiode zum Verhängnis, die trotz ausgeklügelter Bewässerungsanlagen große Teile der Ernte vernichtete. Tiwanaku wurde für viele Jahre verlassen und erlangte aufgrund der Macht der Inkas und anderer Völker über die Aymaras nie wieder zu seiner früheren Bedeutung.

    Als Tiwanaku von den Inkas erreicht wurde, war die Stadt bereits etwa 500 Jahre verlassen. Die Inkas errichteten neben den Aymara-Ruinen ihre eigenen Bauwerke und ernannten Tiwanaku sogar in einigen ihrer Mythen zur Geburtsstätte der Menschheit. So behielt Tiwanaku seinen spirituellen und religiösen Charakter bis zum Eintreffen der Spanier.

    Die Konquistadoren nutzten die Ruinenstätte als Lieferant für Baumaterial und zerstörten vieles, was von der historischen Stadt noch übrig war. Die Ausgrabung und Erforschung der Stadt wurde vom österreichischen Ingenieur Arthur Posnansky angeführt. Heute ist von Tiwanaku erst etwa 1% der 10km² großen Gesamtfläche freigelegt, mehrere US-amerikanische Universitäten und bolivianische Institutionen arbeiten an der archäologischen Erforschung von Tiwanaku.

    Tiwanaku ist nicht nur für Kulturinteressierte ein Muss. Zu sehen gibt es Mauern, Treppen und Gebäudereste der Jahrtausende alten Stadt. Das besondere daran ist, dass die über 100 Tonnen schweren Blöcke für die meisterhaft gefertigten Steinmetzarbeiten aus einem Steinbruch in über 20km Entfernung herangeschafft wurden. Wie dies bewerkstelligt wurde, ist nach wie vor ein Rätsel, denn in Tiwanaku war das Rad noch unbekannt.

    Auch die damalige Bearbeitung von Andesit und Diorit, die zu den härtesten Gesteinen zählen, gibt Forschern noch heute Rätsel auf.

    Vom Akapana, einem kleinen Hügel auf der Tempelanlage, lässt sich das gesamte Areal gut überblicken.
    Er dient jedoch nicht nur dem Ausblick, sondern hält noch ein wissenschaftliches Rätsel bereit. Hält man einen Kompass über einen der Steine auf diesem Hügel, beginnt die Nadel wie verrückt zu kreisen – warum dies so ist, können unsere Wissenschaftler bis heute nicht erklären.

    Die Akpana-Pyramide, die noch nicht völlig freigelegt ist, ist das größte Bauwerk Tiwanakus mit einer Länge von ca. 205 Metern und einer Breite von ca. 185 Metern besteht es aus insgesamt sieben Terrassen. Über eine Treppe an der westlichen Seite gelangt man auf die oberste Plattform, in die ein abgesenkter Tempel oder ein Wasserbecken eingelassen ist. Überreste von Lamas und Menschen, sowie hunderte zerbrochene kunstvolle Keramiken, die mittlerweile im Museum stehen, deuten auf die religiöse Bedeutung der Pyramide hin.

    An dicken Steinmauern geht es am Kalasasaya-Tempel entlang. Östlich des Hauptplatzes liegt ein halb unterirdischer Tempel, von dem eine Treppe mit einem Tor heraufführt. Am Tag der Tagundnachtgleiche geht die Sonne genau im Zentrum dieses Tores auf.

    Wir nehmen die Stufen hinunter zu einem halbversunkenen Tempel, dessen Innenhof mit dicken Mauern umrandet ist. Im Inneren befinden sich drei übermannsgroße Steinskulpturen in Form menschlicher Wesen. Man erklärt uns, dass hier wohl ein rituelles Zentrum der Tiwanaku-Kultur war. Ich bin vor allem von den 175 in der Mauer eingelassenen, steinernen Menschenköpfen fasziniert. Sie zeigen Gesichter unterschiedlichen Ursprungs, wobei einige durchaus Ähnlichkeit mit Alienköpfen (oder wie wir Menschen sie uns vorstellen) besitzen.
    Es wird spekuliert, dass die Köpfe nahegelegenen Stämme der Region, sowohl als auch weit entfernte Stämme, wie Asiaten und Normannen, darstellen. 

    Anschließend geht es weiter zur wohl berühmteste Sehenswürdigkeit Tiwanakus, dem Sonnentor, auch Intipunku genannt. Das etwa drei Meter lange und knapp vier Meter hohe Tor aus vulkanischem Gestein erinnert in seiner Form an einen Triumphbogen und wurde aus nur einem Andesitblock herausgemeißelt.
    Vermutlich aufgrund eines Erdbebens zerbrach es einst in zwei Teile, wurde jedoch Anfang des 20. Jahrhunderts wieder zusammengefügt und aufgerichtet. Am höchsten Punkt des Tores befindet sich das maskenhafte Gesicht des Schöpfergottes Wiracocha, das rechts und links von zwei gemeißelten Schlangenzeptern flankiert wird. Das Sonnentor diente außerdem der Errechnung von astronomischen Daten. So war den Tiwanaku bereits bekannt, dass das Jahr exakt 365,25 Tage hat.

    Fundstücke aus Tiwanaku sind in dem kleinen Museo Ceramico ausgestellt, welches zu den Gefäßen, Figuren und Schmuck aus Ton und Keramik auch englischsprachige Erklärungen zur Verfügung stellt.

    Im zweiten Museum, dem Museo Litico Monumental, dem modernen, mit Spenden erbauten Haus – und Hofmuseum Tiwanakus, ist der Star der Ausstellung, eine massive 7,30 Meter hohe Statue Monolito Bennett, die bis 2002 einen Platz in der Hauptstadt La Paz zierte und vor der Verwitterung und Zerstörung hierher gerettet wurde, ausgestellt (leider darf man im Museum nicht fotografieren).

    Die Statue trägt den Namen von Wendell Bennett, Archäologe des American Museum of Natural History in New York, der die mächtige Figur bei Ausgrabungen Ende Juni 1932 in den unterirdischen Tempeln von Tiwanaku entdeckt hat. Das Museum beeindruckt mich. Ich tauche tief in die Geschichte dieses besonderen Ortes ein. Das Museum beinhaltet eine große Sammlung von Artefakten, Töpfereien, Werkzeugen und Mumien, die hier vor Ort ausgegraben wurden.

    Einige hundert Meter entfernt von den Museen und der Ausgrabungsstätte Tiwanaku liegt Puma Punku (Aymara: Puma für Puma und Punku für Tür, also soviel wie „Tür des Pumas“), der größte aus monolithischen Bauten bestehende Tempelkomplex von Tiwanaku. Überall liegen schwere Granitblöcke wie Bauklötze in einem Kinderzimmer. Einige sind bis zu 8 Meter lang und über 100 Tonnen schwer. Das Mysteriöse – die fein geschnittenen, glatten Steinblöcke tragen keinerlei Meißelspuren, haben perfekte rechte Winkel und sind mit hoher Präzision aneinander gefügt. Einige sind so perfekt gefertigt, dass man nicht mal eine Nadel einklemmen könnte. Dieser Ort gibt uns allen einige Fragen auf, die aber bis heute selbst von renommierten Wissenschaftlern nicht gelöst werden konnten.

    Am Ende der Tour bin ich, obwohl es mir heute Magen-darmmäßig ja nicht so gut ging, begeistert von diesem Ort, der mehr Fragen als Antworten hinterlässt, aber gerade das macht Tiwanaku für mich zu einer der faszinierendsten antiken Stätten Südamerikas. Wer in La Paz ist, sollte sich Tiwanaku nicht entgehen lassen.

    Beim Rückweg steige ich in El Alto bei der Station der Linea Azul aus um den restlichen Rückweg mit der Seilbahn anzutreten. Mich plagen immer noch Bauchkrämpfe, aber zum Glück gibt es ja auch bei den Seilbahnstationen Klos. So lerne ich auch davon heute jede Menge kennen 🤣.

    Gegen 16.30 bin ich wieder zurück im Loki Boutique Hotel. Ich beschließe, mich erstmal eine Runde hinzulegen, denn am Abend möchte ich halbwegs fit sein, denn ich treffe mich nocheinmal mit Michaela, Kai und Nils, der deutschen Familie, die ich auf der Salar Tour kennengelernt habe, zum Abendessen. Als ich um 18.15 aufstehe, geht es mir tatsächlich besser und ich verspüre sogar ein leichtes Hungergefühl! Das ist immer ein gutes Zeichen!!

    Ich esse eine Suppe, unterhalte mich gut mit den 3en und gegen 20.00 beschließen Michaela, Nils und ich noch eine nächtliche Runde mit der Seilbahn zu drehen. Mit der lila Bahn fahren wir hoch nach El Alto, wo wir traumhafte Ausblicke über das Lichtermeer La Paz haben. Weiter gehts mit silber, dann rot, orange, weiß und hellblau. Bei manchen Stationen steigen wir auch aus, sehen uns ein wenig in der Umgebung um und genießen das nächtliche Flair der Stadt. So sind wir erwa 2 Stunden unterwegs, bevor wir zurück im Hotel sind. Ich nehme noch eine heiße Dusche, denn des Nächtens ist es ja kalt in La Paz und ich bin leicht durchgefroren nach unserer ausgiebigen Seilbahntour. Gut gewärmt und frisch geduscht gehts dann ins Bett, in der Hoffnung, dass diese Nacht besser wird als die letzte!
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