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  • Day 2

    Tag 2

    May 11, 2021 in Germany ⋅ 🌧 11 °C

    Auf den großen nordamerikanischen Fernwanderwegen gibt es die Trail-Angel, die Weg-Engel. Menschen, die den Wanderer entlang der Strecke hilfreich zu Seite stehen, in dem sie ihnen Lebensmittel, Wasser, und Übernachtungsmöglichkeiten zur Verfügung stellen. Da ich nicht davon ausgehen kann, dass es diese Engel auch entlang meines Weges gibt, beruhigt mich die Tatsache, dass ich telefonisch auf ein mindestens genau so verlässliches Netzwerk an Freunden zurückgreifen kann. Bereits heute morgen, und damit wesentlich früher als vermutet, musste ich auf einen Trail-Angel zurückgreifen. Auf Grund der gestrigen Temperaturen, zippte ich, um größtmögliche Eleganz bemüht, in der Drachenschlucht die Hosenbeine meiner ZippOff-Wanderhose ab und verstaute sie im Rucksack meiner Tochter. Dies viel mir erst wieder ein, als ich gegen 5:00 Uhr morgens im Zelt erwacht und den deutlich gesunkenen Temperaturen mit eben dieser Hosenbeine entgegentreten wollte. Dumm nur, dass diese sich jetzt in Sangerhausen befanden. Nur 4 Stunden später, streckte mir ein ganz besonders lieber Freund eine Tüte mit den vermissten 50% meiner Beinkleider aus seinem Autofenster entgegen, fuhr mich zum nächsten Supermarkt, wo ich meine Wasservorräte ausfüllen konnte und lud mich obendrein auch noch zum Frühstück ein. Glücklich und dankbar konnte ich meinen Weg vortsetzen. Vor mir lag der Inselsberg und ein buntes Album voller Kindheitserinnerungen. In dieser Gegend hatte ich mit meinen Eltern und meiner Schwester zu DDR-Zeiten mehrere Schöne Sommerurlaube verbracht. Die Wurzeln meiner Wanderlust liegen genau hier, aber auch die Erinnerung an ein, im Waldgasthaus Dreiherrenstein, gegessenes Salamibrot, welches durch den, bis dahin unbekannten Verzehr mit Messer und Gabel, zu einem, fest in meiner Erinnerung verankerten Erlebniss wurde. Noch heute bin ich überzeugt davon, daß belegten Broten, mit Messer und Gabel gegessen, etwas zeriomonelles anhaftet und dass selbige auch noch besser schmecken. Ich habe oft darüber nachgedacht, ob der stärkere Reiz, den die abgeschnittenen Happen, durch ihre , meist eckige Form auf Zunge und Gaumen ausüben, dazu führen, dass sie anders wahrgenommen werden. Sollte ich irgendwann mal ein Thema für eine Doktorarbeit benötige, werde ich nicht lange überlegen müssen. Der Anstieg zum Inselsberg wurde von Nebel und Regen begleitet. Der Gipfel war menschenleer und so gehörte der höchste Punkt meiner Rennsteigstreck mir ganz allein. Mir und dem unglaublich stolzen Moment, es ohne zusätzlichen Sauerstoff und nepalesischen Träger hier hoch geschafft zu haben. Ein Jahr lang habe ich auf Wände, ins Leere oder einfach vor mich hin gestarrt. Dies tat ich sitzen oder liegend und fast ausnahmslos ohne wahrnehmbare Bewegungen. Als Resultat dessen, erschien am Tag meiner Abreise, auf dem Display unsere wiederwärtig ehrlichen Personenwaage, der unschöne Wert von 150kg.
    Somit habe ich also mit Rucksack inbegriffen,170 kg auf diesen Scheißberg gewuchtet. In diesem Moment war ich ein König. Wenn ich nicht so ein schüchternes Gemüt hätte, wäre just in diesem Moment, in dem umliegenden Niederungen ein laut gebrülltes, aber sehr sympathisch artikuliertes " Fick dich ins Knie - Personenwage mit Bluetooth und Fitnessapp" zu hören gewesen. So muss sich Hannibal mit seinen Elefanten gefühlt haben. Nasskalte 10 Grad und Nieselregen ließen mich, nach einem kurzen Innehalten, flink zum Abstieg übergehen. Das extrem steile Wegstück, konnte ebenfalls mit einer Erinnerung aus Kindheitstagen aufwarten. Nur war diese Erinnerung ehr traumatischer Natur. Hatten mich doch meine Eltern, in einen der schon erwähnten Wanderurlaube, dieses fast senkrechte Wegstück hinaufgeschäucht, mir falsche Kilometerangaben vorgetäuscht und mich mit einem versprochenen Eisbecher bis zum beinahe Herzinfarkt hinterhältig und sadistisch, großen Gesundheitsrisiken ausgesetzt. Heute wäre das eindeutig ein Fall fürs Jugendamt, wenn nicht ohnehin ganz und gar verboten. Mich, den schwächlich blassen, kugeligen Jungen, der im Sportuntericht immer als letzter noch übrig blieb, wenn Mannschaften gewählt wurden und dessen einziger körperlicher Vorteil darin bestand im Tor mehr Platz zu versperren, als alle anderen in seiner Klasse. Noch heute kann ich mich an das Gefühl und die Angst erinnern, Blut würde jeden Moment aus meinen, wild pochenden, Daumen spritzen, weil die zarten Gnapenblutgefäße einem Puls von 220 und dem damit einhergehenden Blutüberdruck nicht eine Sekunde länger standhalten würden. (Ich habe es vorsichtshalber gleich für die nächste Therapiesitzung notiert). Meine Wassereserven waren mittlerweile auf knapp 250ml geschrumpft. Die zuvor auf dem Weg eingezeichneten Quellen hatte ich nicht finden können und so versuchte ich meinen Durst so gut wie möglich zu unterdrücken. Dank zweier weiterer alpnistischer Anstiege, sollte sich das als unmöglich herausstellen. Wasserstand 0 und noch 3 km. Wenn jetzt noch ein Anstieg kommen sollte, würde ich mich in ein ausgeweidetes Dromedar einnähen müsse, wie es ein bekannter Star aus der Überlebenstrainingsszene zur Primetime eines Überlebenstrainingszenenspartenkanals mal vorgeführt hatte, um sich vor Wüstenhitze und Sandsturm zu schützen. Sollte das nicht realisierbar sein, blieb mir immer noch, der aus hunderten von "MC Gyver" Folgen aufgesaugte Wissenschatz, der es mir ermöglichen würde, aus einem alten Schuh, einer Walkmanbatterie und 2m doppellagigem Toilettenpapier eine Anlage zur Gewinnung von Trinkwasser aus alten Tannenzapfen zu konstruieren. Da ich gegen 20:30 Uhr mit hängenden Zunge und leicht dehydriert, eine munter vor sich hin plätschernde Quelle an meinem Ziel, dem Heuberghaus vorfand, blieb mir das ausweiden eines Dromedars erspart. Wie sich in der folgenden Nacht herausstellen sollte, war ich hier sogar auf eine Heilquelle gestoßen, deren, bereits in homöopathischen Dosen verabreichtes Wasser, zuverlässig jede Form von Hartleibigkeit zu beseitigen vernag. Immerhin eine gute Gelegenheit, morgen den mitgeführt Wasserfilter seiner Bestimmung zuzuführen. Mein jährlicher Bedarf an Kolibakterien und Schwermetallen ist ganz sicher gedeckt. Meine zweite Nacht verbrachte ich nicht im Zelt, sondern in einer, der am Rennsteig weit verbreiteten Schutzhütte. Ich war zu erledigt um jetzt noch ein Zelt aufzubauen. Außerdem regnete es noch immer und die Hütte wirkte, trotz des angrenzenden Travoraums sehr einladend. Mit der Hoffnung, mich im Halbdunkeln nicht versehentlich in einer Schulbushaltestelle einquartiert zu haben, schlief ich erschöpft ein.
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