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  • Day 22

    Tag 22 Jonas

    May 31, 2021 in Czech Republic ⋅ ⛅ 14 °C

    Der Empfehlung meines Vermieters folgend, habe ich mich zum Abendessen in der Pension Krista eingefunden. Im frisch gepflasterten Biergarten haben es sich Deutsche, Niederländer, Engländer und Sachsen gemütlich gemacht. Ein perfekt verzinkter Metallzaun zieht die Grenze zur Hauptstraße und zur heimischen Bevölkerung. Beides in Armweite, ziehen die Einheimischen und der lebhafte Autoverkehr an mir vorbei. Die Einheimischen stumm und die Autos laut. Die 7-köpfige Sachsenfamilie und der telefonierende Niederländer schaffen es von Zeit zu Zeit, den Straßenlärm vergessen zu lassen. Immer wenn dass passiert, erklingen pädagogische Zwischenrufe in kräftigstem Sächsisch. Ooaar Jooohnaaas du sollsd vondor Stroaße wäääg. Aber Jonas hört die Rufe nicht. Nicht beim 4. und auch nicht beim 8. Mal. Erst als die Eiskarte Zuckernachschub verspricht, lässt sich Jonas wieder auf die sichere Seite des schmiedeeisernen Zaunes locken. Der Nachtisch wird im vorbeilaufen ausgewählt, denn jetzt wird Fangen gespielt. 5 Minuten lang rennt Jonas mit einem Freund laut schreiend um einen kleinen Biergartentisch mit 4 Stühlen, von denen 3 immer wieder umgerissen werden. Nur der 4. Stuhl fällt nicht, denn auf dem Sitze ich. Ich habe genug Gelassenheit, um dem wilden Treiben voller Aufmerksamkeit zuzusehen. Dabei stelle ich mir vor, wie Jonas über meine, in der Pension zurückgelassenen Wanderstöcke stolpert und in den, zwischen helle Kieselsteine gepfropften Ziergehölzen landet, oder wie ich voller Eleganz, seinen tiefenentspannten Eltern aus 6 Metern Entfernung einen vollen Aschenbecher auf ihren Tisch werfe. Mitten ins Tiramisu. Ich bin mir sicher, ich könnte dass, und alle anderen würden applaudieren, mir zujubeln und Getränke spendieren. Gerade als ich mich zum 3. Mal gönnerhaft verbeugen will und zur Zugabe noch einen Stuhl hinterherwerfen möchte, reißt mich das schrille Weinen eines Kindes aus der Meditation. Jonas hat eingepullert. Das Blatt dreht sich sofort. Jetzt gehört Jonas meine ganze Sympathie. Und noch viel mehr, als er, vor allen, ihren Blick beschämt zu Boden richtenden Gästen, von seinem Vater angebrüllt wird. Ich möchte Jonas drücken, trösten und, nachdem ich ihm ein extragroßes Eis spendiert habe, noch eine nicht enden wollende Runde Fangen mit ihm spielen. Der vietnamesische Obsthändler jenseits der Straße führt auch Kinderbekleidung. Hose und Stimmung werden gewechselt. Der Biergarten wird verlassen. Ich trinke mein Bier aus, bezahle und begebe mich wieder auf die andere Seite des Zaunes. Was für ein schöner Abend.Read more