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  • Day 94

    Cerro Castillo - ein Gigant in Schwarz

    February 10, 2019 in Chile ⋅ ⛅ 14 °C

    Wir bleiben zwei Tage in Coyhaique, um uns für die restlichen Wochen mit den wichtigsten Dingen einzudecken. Wanderschuhe, Handschuhe und Mützen sowie diverse Müsli-, Nudel-, und Reispackungen finden ihren Weg in unsere Einkaufstüten.
    Danach geht es weiter in das kleine Dörfchen Villa Castillo. Hier wollen wir hoch zum gigantischen Berg Cerro Castillo, der majestätisch über den gleichnamigen Nationalpark wacht. Über die Wanderung nach oben zur Lagune des Bergs hatte ich im Internet schon einiges gelesen („...mit den letzten Kräften“, „...der Wind war so stark, dass wir umdrehen mussten“), dass wir gespannt waren, ob wir uns da nicht zu viel zugemutet hatten. Wir machten jedoch gleich zu Beginn des Trails ab: Aufgeben ist keine Option 🙈

    Bestens eingepackt im Zwiebellook starten wir unsere Wanderung an einem 6km entfernten Eingang des Haupteingangs (nicht ohne dafür zuerst eine mega steile Schotterpiste runterzufahren 😟), da dieser kostenfrei sein soll. Nach einem Kilometer kommen wir an ein rotes Zelt, wo uns ein Guide sagt, dass die Tour zur Lagune des Cerro Castillo von dort aus nicht machbar sei, da wir dafür mindestens zwei Tage bräuchten.. hm, auf der Karte sieht das anders aus und wir hatten im Netz auch anderes gelesen. Wir versuchen, zu verhandeln, aber dürfen nicht passieren und gehen daher gefrustet zurück zum Auto. Die steile Schotterpiste wieder hoch (ich kralle mich mal wieder in der Autotür fest 😅) geht’s zurück zum Haupteingang, wo wir den Wucherpreis von 10.000 Pesos (13 Euro) zahlen, uns zu unser eigenen Sicherheit registrieren und uns noch schnell die wichtigsten Gegebenheiten der Wanderung erklären lassen. Alles klar. Los geht’s. Der erste Teil ist einfach und führt durch einen kleinen Wald, in dem Kühe und Pferde sich das grüne Gras schmecken lassen und sich von den fremden Wanderern in ihrem Wohnzimmer gar nicht stören lassen. Wir finden hier zwei passende Stöcker, die wir als Wanderstöcke nutzen können (und die sich später als goldwert herausstellen). Bald wird die Vegetation spärlicher und der Weg schon etwas steiler. Die Sträucher sind nur noch hüfthoch und der trockene Staub wird durch unsere Bewegungen aufgewirbelt, kratzt in den Augen und brennt im Hals. Die Sonne knallt und der Wind pustet nur ganz leicht und so ziehen wir erstmal die Hälfte unserer Lagen wieder aus 😅 Wir stapfen einsam durch die weiten Felder und mit meinem Wanderstock fühle ich mich ein bisschen wie Bilbo auf seiner Wanderung zum einsamen Berg. Auf einem Felsen machen wir eine Pause und schauen hinab ins Tal. Geschwungene Flussläufe, weit entfernte Gipfel und die ganze Farbpalette von Naturtönen lassen das Panorama wie ein Gemälde wirken. Was für ein Anblick.
    Wir füllen unsere Wasserflasche an einem kleinen Wasserfall auf und stiefeln weiter. Nach fünf Kilometern ändert sich unser Weg schlagartig, aus bewachsenem Boden wird ein steiler Weg aus Steinen und Geröll. Ich bin froh, dass ich meine Stöcke dabei habe, denn die Steine sind locker und man kann schnell wegrutschen, doch so habe ich guten Halt und ohne sie hätten meine Beime wahrscheinlich auch schon eher schlapp gemacht. Hier oben wird es nun auch schon eisiger und so ziehen wir wieder Fleecejacke, Mütze und Halstuch wieder an.
    „Willst du etwas trinken?“ fragt mich Nik. „Hinter der nächsten Lichtung ist es bestimmt. Das schaffen wir noch“ antworte ich, doch als wir dort ankommen, macht der Weg nur einen kleinen Schlenker und es geht weiter nach oben. So wie bei den nächsten drei Lichtungen ebenfalls 😓 Der Weg scheint kein Ende zu nehmen, meine Beine fangen langsam an zu brennen und ich will einfach nur ankommen. Vor mir setzt sich eine Frau völlig erschöpft einfach auf den Pfad. Sie guckt mich leidend an. Ich fühle mit dir, Amiga. Ein entgegenkommendes Pärchen sagt „Solo 20 minutos mas - nur noch 20 Minuten!“ Danke für die Motivation, Leute! Wir kämpfen uns die letzten Meter nach oben bis zur letzten Lichtung. Ich sehe ein rotes Schild, auf dem „Mirador Cerro Castillo“ steht und unter mir leuchtet der Inbegriff der Farbe Türkis: die Lagune Castillo. Wir haben es geschafft!
    Der eiskalte Wind pfeift uns um die Ohren und vor uns liegt eine gigantische, tiefschwarze Wand. Bedrohlich und faszinierend zugleich. Der Cerro Castillo ragt vor der Lagune wie eine felsige Burg mit hunderten kleinen Türmchen, die auch aus einem Herr der Ringe Streifen stammen könnte. Lange Wasserfälle rauschen hinab in die Lagune, ein mächtiger Gletscher hängt in den Klauen des Berges. Ich fühle mich wie im Fantasy-Film. Es würde mich nicht wundern, würde hier gleich das Trimagische Turnier von Harry Potter starten und Drachen feuerspeiend durch die Gegend fliegen 😁 Eine Stunde sitzen wir hier und genießen diese Schönheit.

    Der Weg nach unten geht deutlich schneller (auch wenn zu Anfang einer meiner Stöcke abbricht und ich ihn schweren Herzens zurücklassen muss 😭), wir müssen jedoch aufpassen, dass wir an einigen Stellen nicht zu schnell runterrutschen 🙈 wir stellen fest, dass steil nach unten jedoch nicht weniger anstrengend ist, als nach oben.

    Unten angekommen, ziehen wir sofort unsere Wanderschuhe aus, erfrischen unsere Füße im eiskalten Fluss und sind erschöpft, aber glücklich. Niks iPhone hat 20 Kilometer und über 1000 Höhenkilometer auf der Uhr, insgesamt waren wir 7 Stunden unterwegs. Ich würde sagen, die neuen Wanderschuhe sind jetzt eingelaufen 😉
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