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  • Day 48

    Chiang Mai - Zu Besuch bei Peter Pan

    November 19, 2018 in Thailand ⋅ ☀️ 30 °C

    Ich bin total durch. Mein Energielevel ist unterstes Niveau als wir am Flughafen von Chiang Mai landen.
    Nug, unser Host, holt uns ab. Ich setze mich nach hinten in sein sehr sauberes Auto. Er scheint stolz darauf zu sein. Es ist mir egal wo wir sind. Ich will nichts sehen. Also lege ich mich hin und schließe die Augen. Verfolge das Gespräch von Ralf und Nug. Und lausche der guten Musik von Nug. Sie glauben, dass ich schlafe. Das ist auch gut so. Ich hab keine Lust auf Smalltalk.
    Und dann werden wir langsamer und biegen in eine Einfahrt oder kleine Straße oder Sackgasse und bleiben stehen. Ich bin desorientiert. So fühlt es sich also an, wenn man gekidnappt wird.
    Toll. Eine absolute Befreiung. Und etwa 20km außerhalb von Chiang Mai City.
    Als ich das Auto verlasse, weiß ich wo ich bin: "Am zweiten Stern rechts vorbei und dann immer geradeaus bis zur Morgendämmerung."
    Im Nimmerland bei Peter Pan. Es ist kaum zu beschreiben. 4 große Baumhäuser bilden das bunte Paradies. Überall wachsen und schlängeln sich wunderschöne Pflanzen, Palmen und Blumen. Nug ist ein Sammler. Das sieht man sofort. Kunstblumen, Bücher, Kassetten, Bilder, Statuen, Möbel, Musikinstrumente gibt es zu entdecken. Und alles strahlt eine Ruhe aus. Das Chaos wirkt wie still gelegt. Überall liegt eine entspannte Magie drüber und flüstert: langsam.
    Wir werden diesen Ort für drei Tage nicht verlassen. Ich bewege mich in einem Umkreis von 30 Metern. Mir ist egal, wie die Welt da draußen aussieht. Ich bin bei Peter Pan! Und seine Welt dürfen wir jetzt entdecken.
    Nug ist ruhig, aber auch irgendwie verrückt. Wie sollte jemand auch nicht verrückt sein, der hier lebt. Da wir das Grundstück nicht verlassen, sind wir auf Nugs Kochkunst angewiesen. Obwohl wir nicht sicher sind, ob er das Essen von einem Markt holt. Unwichtig. Das Essen ist super traditionell und lecker. Wir bekommen sticky Rice mit süßem Ei in Bambusblätter, gegrillten & gekochten Fisch, Pad Thai, Currys, gebratenen Bambus, gegrilltes Hühnchen, Glasnudelsalat und und und. Essen für 6. Aber wir genießen die Auswahl. Und immer wenn Nug zu unserem Tisch kommt sagt er: "Langsam. Langsam."
    Liegt das an der westlichen Welt? Essen wir schneller als eigentlich nötig? Er lässt es sich nicht austreiben und jedes Mal, wenn wir essen, kommt Nug nochmal an unseren Tisch und sagt: "Langsam. Langsam!"
    Wir sitzen am Reisfeld und arbeiten. Die Luft hier ist viel kühler. Das könnte am Norden liegen. Am Abend fällt die Temperatur auf 22 Grad. Das ist super angenehm und perfekt zum arbeiten.
    Neben Katzen und einer Menge Ameisen beherbergt Nug außerdem eine Fledermaus und 3 Bienenstöcke. Ein Bienenstock lebt in der Musikbox über der Bar. Wo wir Tee und Kaffee nehmen können. Die Katzen schützen uns vor den Schlangen und Skorpionen. Eine 3 Meter lange und 25 Zentimeter breite Schlangenhaut hängt an einem Pfosten, neben zwei Skorpionen und einer gekreuzigten Fledermaus. Es wirkt unreal. Und trotzdem denke ich: wie würden wir es finden, wenn man unsere Körper aufhängt und unsere Haut sammelt. Menschen sind komisch. Aber vielleicht ist es auch der fiese Humor von Captain Hook. Also wenden wir uns ab und genießen die Ruhe und Magie dieses Ortes.
    Und dann wird Ralf attackiert. Nug hat uns gewarnt. Immer langsam neben den Bienen bewegen. Aber Ralf ist einfach zu groß und wird in den Hals gestochen. Eine Biene opfert sich um alle anderen zu retten.
    Nug zieht den Stachel raus und wir reiben die Stelle mit Zwiebel ein. Es passiert nichts. Wir sind in den nächsten Tagen trotzdem vorsichtig. Ich wurde noch nie gestochen und weiß nicht wie ich reagiere. Die Bienen sind nervös und wir erfahren, dass sich der Stock bereit macht, sich zu spalten und einen neuen Ort zu suchen.
    Und dann passiert es. Wir sitzen am Reisfeld und die Bienen schwärmen plötzlich stärker als gewohnt aus. Einzelne Bienen umkreisen uns und dann bleibt nur noch eine Möglichkeit: ab in unser Baumhaus auf die Matratze unter das Netz. Sekunden später ist unser Haus umzingelt von hunderten Bienen. Wir sind ihnen egal. Sie fliegen nur ab und zu an unser Netz. Natürlich wirkt es wie eine Warnung: "Kommt bloß nicht raus!" aber eigentlich suchen sie nur nach einem neuen Wohnort. Man sollte in diesem Moment den Bienen trotzdem nicht zu nah kommen. Sie sind bereit sich zu opfern. Für ihre Königin! Für ihr Überleben.
    Und wir haben eine Ausrede mitten am Tag noch eine Folge "Greys Anatomy" zu schauen. Denn zufälligerweise habe ich mein Laptop in unserem Schutzbunker.
    Die Zeit läuft hier langsamer und wir genießen die Ruhe. Wir entscheiden uns gegen einen Besuch in der Stadt. Denn es ist das große heilige Fest "Loy Krathong" und Nug meint, dass man das hier draußen viel mehr genießen kann. Es wäre weniger laut und es würde weniger geknallt werden.
    Und so ist es dann auch. Als das Fest beginnt fahren wir mit Nug, seinem Freund Toi und seinem Freund A in ein abgelegenes Haus. Obwohl Haus trifft es nicht direkt. Es ist wie ein Loft nur aus Stahlgerüst und Gittern. Wie ein großer Hasenkäfig. Alles ist beleuchtet mit Lampen und Kerzen. Und überall liegen Spielzeug, Musikinstrumente und Möbel. Nimmerland 2.0 mit einer Menge Kitsch und Plastik. Aus dem Radio kommt Rod Stewart und ich muss an meine Mama denken und singe laut mit. Es ist ein schöner Moment um Heimweh zu haben. Ohne Schmerz.
    Ich berühre gerade ein altes Holzspielzeug, ein Hubschrauber der von der Decke hängt, als Nug Ralf einen Bass in die Hand drückt. Da kommt Ralf nicht mehr raus. Das Ralf Linkshänder ist und der Bass für Rechthänder und zudem keine Bünde hat, wollen sie nicht verstehen. Wir sitzen unterm Sternenhimmel, während um uns herum in der Ferne riesige Lampions in die Luft steigen und die Thailänder und Ralf jamen. Es werden sämtliche Lagerfeuerlieder rausgeholt. A singt unglaublich gut und Ralf meistert es großartig mit seinem Rechthänderbass ohne Bünde. "Musik ist ein Gefühl.", schreien sie und damit haben sie recht.
    Bei "Wish you were here" muss Ralf aufgeben. Und ich denke an Beate, die diesen Song liebt.
    Der Abend neigt sich dem Ende zu. Es ist unser letzter Abend und Nug bringt uns noch kurz zum Dorffest. Es ist klein und gemütlich. Und es wird nicht so sehr geknallt. Ralf und ich kaufen ein Blumenboot und schubsen es ins Wasser den Fluss hinunter. Mit einem gemeinsamen Wunsch. So ist es Tradition. Ich verfolge das Boot noch etwas um zu sehen, dass es weiter schwimmt. Auf dem Fluss ist ziemlich Verkehr. Und da schwimmt unser Wunsch und wir verlassen das Fest, wo wir die einzigen 'Weißen' waren und herzlich aufgenommen wurden.
    Am nächsten Morgen bringt uns Nug in die Stadt. Nach 4 Nächten wechseln wir in ein Hostel. Nur fürs Wochenende. Denn uns wird schnell klar, dass wir eine Stadt gerade nicht ertragen.
    Während ich das schreibe sitzen wir im Café und essen Frühstück. Und ein Mönch in oranger Tracht läuft an mir vorbei. Das ist etwas besonderes. Jedes mal für mich. Ihre Energie ist unbeschreiblich. Und eigentlich sind es nur Menschen und irgendwann hat mal irgendwer gesagt, dass sie etwas besonderes sind.
    Am Montag geht es nach Pai. Weiter in den Norden. Dort verbringen wir die letzten Tage in Thailand.
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