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  • Day 124

    Hoi An - Ein Schock | 6 Jahre | TET

    February 3, 2019 in Vietnam ⋅ ☀️ 25 °C

    Frühstückszeit. Wir gehen um halbzehn die Treppe hinunter. Ralf ist noch eine Etage über mir als ich eine Hand auf dem Boden sehe. "Wir brauchen einen Arzt!" schreie Ich.

    Sie liegt halb auf dem Rücken gedreht auf dem Boden neben der Küchenzeile.

    Rötlicher Speichel läuft aus ihrem Mund.
    Ihre Augen schauen nach oben.
    Sie wackelt leicht. Es kommen Töne aus ihren Mund.
    "Stabile Seitenlage." sagt Ralf und springt neben sie.
    Ich renne auf den Weg und schreie "Doctor."
    Die alte Dame nebenan kommt aus ihrem Haus. "Doctor!" Sie lächelt mich an. Winkt ab und schüttelt den Kopf. "Doktor!" und ich versuche einen Doktor nachzumachen. Wie macht man einen Doktor nach? Nein. Sie versteht nicht. Ich drehe mich um und schaue in die Gärten. Niemand da. Das kann doch nicht sein. Ein Moped!
    Ich stelle mich dem Moped in den Weg. Die beiden Frauen sind verwirrt und verstehen mich nicht. "Doctor!" Die Hintere der beiden entscheidet sich abzusteigen und mir zu folgen. Langsam.
    "Komm doch etwas schneller. Dann zeig ich es dir." Als sie sie sieht versteht sie. Ich hocke mich neben mich neben das Mädchen. Ralf und ich öffnen ihren Rock und versuchen, dass sie nicht einschläft. Ich suche nach einem Auslöser.
    Inzwischen sind die beiden Frauen vom Moped und die alte Frau neben mir. Alle schauen auf ihre Handys. Ich sage: "Doctor!"
    "No Doctor!" sagt die eine. Und wir verstehen. Hier gibt es keine Krankenwagen. Die Alte hockt sich neben mich und reibt dem röchelnden Mädchen, was uns wochenlang das Frühstück gemacht hat, mit etwas grünem ein. Es riecht nach Pfefferminze und das scheint ihr nicht zu gefallen. Die Vietnamesen sehen verwirrt aus und wissen nicht so recht was sie machen sollen. Und mir kommen Sarahs Worte in den Kopf: "Die medizinische Versorgung hier draußen ist nicht gut. Es ist ein hartes Leben... " Meine Gedanken werden weggewischt. Ralf versucht das Mädchen wach zu halten. Und unser Hausmeister biegt auf die Einfahrt. Er hat etwas zum Essen geholt. Die beiden essen morgens immer zusammen.
    Er ist erschrocken und diskutiert mit den Frauen. Ich höre das Wort "Hospital". Jetzt geht alles noch schneller. Ralf und unser Hausmeister heben das Mädchen auf und setzen sie aufs Moped. "Das kann doch nichts werden." Der Hausmeister setzt sich ans Steuer. Ich denke an ein Seil. Was totaler Quatsch ist, aber in dem Moment fällt mir nichts besseres ein. Dann springt schon die Fahrerin des anderen Mopeds drauf und hält das Mädchen in den Armen. Ein Balanceakt. Aber es scheint kein Problem für sie darzustellen. Die Vietnamesen transportieren alles auf dem Moped. Und wenn ich von Mädchen spreche, meine ich eigentlich eine etwa 21 jährige sehr zierliche Frau. Als wir sie hochheben merke ich wie schwer ein schlaffer Mensch ist.
    Aber der Balanceakt scheint kein Problem zu sein. Und sie fahren weg.
    Das Hospital ist nicht weit entfernt. Es liegt etwa 10 Minuten die Straße hinauf.
    Ralf und ich stehen noch unter Adrenalin in der Sonne. Die alte Dame lacht laut und zeigt mit dem Finger auf mich. Steht sie unter Schock? Oder wird ihr gerade klar, dass ich vorhin Pantomime gespielt habe?
    Heute sind wir 6 Jahre zusammen. Heute ist unser Jahrestag. Und es ist ein sehr holpriger Start in den Tag. Wir gehen nach oben und essen Melone und Passionsfrucht in der Sonne. Richtig gut fühlen wir uns nicht. Nach etwa einer Stunde erfahren wir, dass das Mädchen jetzt zu Hause bei ihren Eltern ist. Wir wissen nicht was sie hat und werden es auch nicht mehr erfahren. Es gibt niemanden hier der noch gutes Englisch spricht.
    Denn in 2 Tagen ist TET. Das offizielle Neujahr für die Vietnamesen und das ganze Land ist im Urlaub. Das ist anders als bei uns wirklich ein Ausnahmezustand. Etwa 95 Prozent aller Läden werden geschlossen. Die Versorgung geht gegen Null. Es werden Hamsterkäufe getätigt und alles Geld von den Banken geholt. 80 Millionen Vietnamesen feiern tagelang. Anstatt Tannen, wie zu Weihnachten bei uns, werden hier gelbe riesige Blumenkübel verkauft und mit roten Schleifen versehen. Und es wird geputzt. Denn es bringt Unglück dreckig ins neue Jahr zu starten. Mit putzen meine ich: Rasen wird verlegt, Fassaden gestrichen, Fensterrahmen abgezogen und angemalt, Pflanzen gepflanzt, Wege gepflastert. Es ist wirklich total verrückt.
    Wir verbringen den letzten Tag im coworking space und genießen das gute Wetter und Gespräche mit Axel und Bea. Die wir vor 2 Wochen kennengelernt haben. Der Tag endet mit einem letzten Essen bei unserem Vegetarier und tollen Gesprächen mit unseren neuen Freunden in Hoi An. Morgen geht es weiter nach Thailand. Und wir wissen jetzt, dass wir aufjedenfall zurückkehren werden nach Vietnam. Irgendwann.
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