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  • Day 56

    Izu Halbinsel (Tayfun Hagibis)

    October 12, 2019 in Japan ⋅ 🌧 25 °C

    Wir sitzen gerade in einem hippen Fahrrad-Hotel auf einer Halbinsel westlich von Tokio. Es ist 16 Uhr, draußen tobt der Taifun Hagibis. Es regnet seit gestern Nachmittag ununterbrochen und laut Wetterbericht wird dieser Regen noch bis tief in die Nacht anhalten. Gegen 18 Uhr soll der Taifun auf das Festland treffen, ca. 20km südwestlich von uns.

    Obwohl Japan regelmäßig von Taifunen heimgesucht wird, dementsprechend über ausreichend Erfahrung verfügt und mit modernen Deich- und Kanalsystemen, großzügigen Evakuierungscentern und stadtweiten Lautsprecheranlagen über eine gute Notfall-Infrastruktur verfügt, merkt man die Besonderheit dieses 19. Taifuns der Saison an allen Ecken und Enden.

    Im TV wird rund um die Uhr über den stärksten Taifun aller Zeiten berichtet, in den Supermärkten sind Wasser, Brot und Instantnudelgerichte restlos ausverkauft, die Feuerwehrsirenen heulen seit gestern Abend durchgängig durch die Straßen.

    Unser Rezeptionist ist hingegen recht entspannt und versichert uns, dass wir hier im Hotel sicher sind. Zur Beruhigung spendiert er uns ein Bier auf Kosten des Hauses.

    Es fällt uns schwer die Ruhe zu bewahren. Wir sind als Deutsche Naturkatastrophen einfach nicht gewöhnt, vor allem nicht in diesem Ausmaß.

    Doch unser Hotel ist massiv gebaut, verfügt über einen zweiten Stock und die Gäste beruhigen sich gegenseitig. Eine professionelle Radsportlerin aus Neuseeland trainiert im Fitnes-Bereich und macht in keiner Weise den Eindruck besorgt zu sein. Sie gibt uns nur als Ratschlag mit auf den Weg trocken zu bleiben. Naja, vielleicht leichter gesagt als getan.

    Ein Mann mittleren Alters sitzt im Speisesaal und erzählt uns, dass zwar der Fluss in der Nähe kurz davor steht über die Ufer zu treten und das für die Stadt wirklich ein Problem darstellen könnte. Da unser Haus aber sicher ist, sollten wir den Einheimischen aus den Erdgeschosswohnungen nicht die Plätze im Evakuierungscenter wegnehmen. Klingt im ersten Moment einleuchtend, doch dann merken wir beim Essen, wie er sich heimlich (vielleicht zur Beruhigung) aus einer kleinen silbernen Flasche unter dem Tisch regelmäßig eine klare Flüssigkeit in seinen grünen Tee gießt und wir zweifeln doch ein wenig an seiner Notfall-Kompetenz. 

    Eine Familie mit drei kleinen Kindern beruhigt uns schlussendlich doch ein wenig. Die Kinder nutzen das große und kaum ausgelastete Hotel, das über zwei Etagen im Quarree gebaut ist, über einen kleinen Innenhof und jede Menge Treppen und Winkel verfügt als Abenteuerspielplatz. Sie freuen sich lautstark über den vielen Platz, die Rennräder und Ebikes, die überall herumstehen und über die Geschenke aus dem Getränkeautomaten des Rezeptionisten (wir sind also nicht die einzigen, die mit kleinen Aufmerksamkeiten des Hauses bestochen werden).
    Doch die Eltern sind tief entspannt und verfolgen stoisch die TV-Sondersendung zum Super-Taifun in Dauerschleife. Kann also nicht so schlimm werden.

    Mittlerweile ist es 17 Uhr, das Auge des Taifuns rückt immer näher und draußen heult der Wind durch die Straßen. Unser bisher noch so entspannter Rezeptionist scheint es sich anders überlegt zu haben und bittet uns ein neues Zimmer im zweiten Stock zu beziehen. Am liebsten jetzt. Sofort.
    Die ersten Nachrichten aus Deutschland erreichen uns, Spiegel-online berichtet ebenso über den Jahrhundert-Taifun wie auch das Heute Journal und Die Zeit-online.

    Wir hoffen inständig nicht auch Teil dieser Nachrichten zu werden und sehen uns schon im Geiste im ZDF-Morgenmagazin, wie wir zur Stimme von Dunja Hayali in einem Schlauchboot durch die engen Straßen Izu Nagaokas gefahren und anschließend unter den erstaunten Blicken der Einheimischen von zwei japanischen Feuerwehrmännner ins Evakuierungscenter getragen werden.

    Es ist jetzt fast 20 Uhr, das Schlimmste scheint überstanden. Der Wind hat deutlich nachgelassen, der Regen auch. Wir wurden nicht evakuiert, sind von der Aufregung des Tages tatsächlich ein wenig kaputt und bereiten uns langsam auf die Nacht in unserem neuen Hotelzimmer vor. Angeblich ist am Tag nach einem Taifun immer besonders schönes Wetter...
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