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  • Day 138

    Unter mir der Hai

    June 18, 2019 in Australia ⋅ ⛅ 21 °C

    Angespannt und hoch konzentriert starre ich auf die Berge, die fern am Horizont noch erkennbar sind. Bloß nicht ablenken lassen, fokussiert bleiben! Bloß nicht die Augen auf irgendwas anderes richten, das sich bewegt! Ich befürchte das Schlimmste.

    Das Schlimmste - in diesem Fall wäre es, dass ich vor versammelter Mannschaft über die Reling kotzen müsste. Ich sitze auf den Stufen eines Katamarans, der mit hoher Geschwindigkeit übers Wasser prescht, leider aber gleichzeitig keine Welle auszulassen scheint und auf und ab, nach links und rechts schwankt. Mir wird ja schon auf ner Kinderschaukel übel. Den Platz habe ich gewählt, weil man mir sagte, hier sei das Boot am stabilsten. Unser Ziel: das Great Barrier Reef, eines der sieben Weltwunder.

    Vorsorglich habe ich bereits zwei Reisetabletten intus und ich schaffe es, lediglich mit einem mulmigen Gefühl und zittrigen Beinen am ersten Ankerplatz des Tages anzukommen. Auch vor Anker ist das Meer noch unruhig. Aber es hilft ja nix. Rein in die Flossen, Taucherbrille aufgesetzt und ab ins Wasser. Ich nehm mir zur Sicherheit mal eine Poolnudel mit, falls ich doch noch brechen muss, kann ich mich wenigstens irgendwo festhalten. Mein erster Schnorchelausflug ist dementsprechend auch noch etwas angespannt. Ständig verrutscht mir die Brille, Wasser schwappt in meinen Schnorchel und ich fühl mich einfach nur unwohl. Ich verlasse das Wasser und nehme sicherheitshalber eine weitere Tablette.

    Glücklicherweise ändert sich das am Nachmittag. Auf den zweiten Wassergang bin ich besser vorbereitet. Wir sind an einem anderen Riff, wo das Meer deutlich ruhiger ist. Ich hab jetzt den Trick raus, um die Brille bombenfest am Kopf zu tragen und den Schnorchel besser über Wasser zu halten. Entspannt und fasziniert paddel ich drauf los und plötzlich schwimmt er einige Meter unter mir vorbei - ein Hai!!
    Ein kleiner zwar und wie man uns vorher sagte ungefährlich. Trotzdem ist es aufregend und ich schlucke doch nochmal eine Ladung Salzwassr, weil ich „Hai!“ rufen will und irgendwelche wilden Gesten mache. Er zieht unbeeindruckt seine Runden und ich folge ihm einige Meter durch das Wasser, bis er verschwindet.
    Aber damit war mein Tag schonmal gemacht.

    Eine weitere Stunde schnorchel ich durch die Korallenriffe. Dabei sehe ich riesige Fische, bunt schillernde Fische, einen knallblauen Seestern und ich kann sogar hören, wie die Fische an den Korallen nagen. Ein Schwarm großer Fische zieht umher und jedes Mal, wenn sie mit dem Maul die Koralle anknabbern, macht es ein knirschendes Geräusch. Wahnsinn. Ich fühl mich fast wie in einer anderen Welt. Metertief kann man bis auf den Meeresgrund schauen. Und kurz bevor ich das Wasser verlassen will, taucht er ein zweites Mal auf, der Hai. Ich bin ganz selig.

    Nach einer weiteren präventiven Pilleneinnahme kann ich die Rückfahrt sogar genießen. Die Sonne scheint, die See scheint mir ruhiger geworden zu sein. Trotzdem nehme ich wieder meinen Platz auf den Stufen zum Deck ein - es geht doch nichts über Prävention! Ein Crewmitglied reicht mir eine der frei verfügbaren Kotztüten an Board und sagt, ich solle da mal hinein gucken. „Noch eine Stunde durchhalten“ hat er in die Tüte notiert. Ich muss lächeln. Sehr aufmerksam.
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