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  • Day 34

    Puno

    December 5, 2016 in Peru ⋅ ⛅ 9 °C

    Puno und der Titicacasee

    Wir verließen Cusco am Morgen des ersten Sonntags im Dezember. Wir hatten uns entschieden, einen Tourbus zu nehmen, der auf dem Weg nach Puno mehrfach anhalten würde. Wir waren eine recht kleine Gruppe, die inklusive unserem Führer nur 9 Personen betrug. Unser erster Stop war eine berühmte Kirche in Andahuaylillas, die auch als die „Sixtinische Kapelle der Anden“ bezeichnet wird. Wie in vielen Bauwerken hier sind Fotografien, auch ohne Blitzlicht verboten. Wir erhielten allerdings am Eingang eine Foto-CD, die wir uns in Deutschland anschauen können. Die Kirche wies, wie so oft im spanischen oder portugiesischen Einflussraum, einen gigantischen vergoldeten Altar auf, der zudem noch reich dekoriert war. Die Wände und die Decken waren mit Wandgemälden bemalt.

    Unser zweiter Stop führte uns zu einer alten Inca-Anlage in Raqchi, an der noch ein kleines Stück des alten „Camino Real“ erhalten war, den John Harrison in „Wolkenpfad“ entlanggelaufen war. Allerdings ist er „nur“ von Quito in Ecuador, bis nach Cusco gewandert. Er dürfte also kaum in Raqchi vorbeigekommen sein. Dafür haben wir in der Sprachschule vor etwa einer Woche einen Menschen kennenglernt, der sich, gemeinsam mit einem Freund, aufgemacht hat, um von Cusco bis nach La Paz zu wandern. Bolivien bereitet uns aktuell ein paar kleinere Sorgen. Vermutlich bedingt durch den Klimawandel, hat sich die Regenzeit schrittweise nach Hinten verschoben, so dass es in den großen Städten aktuell kein oder nur kaum Leitungswasser zu geben scheint. Evo Morales hat vor etwa zwei Wochen den Notstand ausgerufen. Erschwerend kommt ein Streik der Müllabfuhr hinzu.

    Außerdem gab es vor guten 5 bis 10 Jahren eine Welle von Raubüberfällen, bei denen die beraubten Touristen teilweise als Geiseln genommen wurden, bis man ihre Kreditkarte hatte leeren können. Das soll deutlich abgenommen haben. Dennoch haben wir uns bereits Strategien für die kommenden zwei Wochen zurechtgelegt. Insbesondere auf falsche Polizisten solle man Acht geben.

    Bolivien gilt allgemein als das Armenhaus Südamerikas, obwohl Evo Morales durch massive Verstaatlichungen, das Staatseinkommen um fast 500 % erhöhen und zahlreiche soziale Projekte anstoßen konnte. Ihm wird allerdings, wie es in Südamerika ein üblicher Vorwurf ist, auch massive Korruption unterstellt. Aus der Ferne ist das ungemein schwer zu beurteilen. Mein persönlicher Kritkpunkt an Morales ist ein Gesetz, dass es Kindern gestattet ab ihrem 10. Geburtstag einen Beruf anzutreten. Unter anderem Arbeiten viele Kinder in der Silber-Mine in Potosí. Begründet wurde dieser Schritt mit der „Ausbildung sozialer Verantwortung durch Arbeit“.

    Auch in Peru ist Kinderarbeit, vor allem in den kleinen Dörfern, ein tägliches Problem. Allerdings beschränkt sich diese meist auf das Hüten von Vieh, das Anfertigen von kleineren Textilien, etwa Armbändern und dem gewinnbringenden Verkauf mit Hilfe der großen Kinderaugen. Auf unserem Weg nach Puno, sollten wir auch nochmal durch das Industriezentrum Juliaca fahren, dass so ziemlich die hässlichste Stadt war, die wir bisher in Peru gesehen haben. Alles wirkt unfertig. Nur die Hauptstraße ist streckenweise befestigt, zwischen den beiden Spuren sind gigantische Baustellen, die allerdings nicht mehr bearbeitet werden. Es sieht so aus, als hätte hier eine Art Gasse mit Bänken und Grünflächen entstehen sollen. Im Vorfeld wurden wir etwas vor Juliaca gewarnt. Die Kriminaliät soll hoch sein, der Schwarzmarkt umfangreich und auch der allgemeine Ruf Juliacas ist seit den Aktivitäten von Sendero Luminoso vor knapp 25 Jahren ungemein fraglich.

    Ich hörte während der Fahrt alte Vorträge von Ernst Bloch. In einem davon, der etwa Mitte der 70er Jahre aufgenommen worden sein dürfte, überlegte er laut, ob der Stalinismus eine Folge des Marxismus gewesen oder ob der Marxismus lediglich nicht ausreichend gegen den Stalinusmus abgesichert gewesen sei. Er hat einen wirklich sympathischen Stil. Im Verlauf sprach er auch darüber, dass der britische Urkapitalismus nicht mehr der selbe sei, wie er es in den 70ern nun wäre. Ein Unterschied sei unter anderem, dass einem deutschen Arbeiter eben (etwas) mehr ausgezahlt werde, als zur Wiederherstellung seiner Arbeitskraft nötig sei. Also Essen, Unterkunft und so weiter. Hier ist das anders. Viele Menschen arbeiten täglich, um ihre Arbeitskraft für den nächsten Tag zu erhalten. Dabei gibt es hier auch ungemein viele „Selbstständige“, die kleine Stände oder Bauchläden haben, an denen sie Waren verkaufen, die sie oft bis spät in die Nacht geöffnet lassen müssen. Das umschreibt den in Deutschland derzeit so gerne genutzten Begriff der „Eigenverantwortung des Bürgers“ für mich ungemein. „Jeder ist seines Glückes Schmied“ steckt als Botschaft in dieser Formel. Nur leider ist es eben nicht so, dass die alte Frau mit dem Bauchladen die Chance hätte, irgendwann etwas anderes aus ihrer Existenz zu schmieden als eigenverantwortliches (nicht eigenverantwortetes) Elend. Aber auch viele Angestellte scheinen hier stellenweise nur grade so eben ihre Reproduktionskraft zu erhalten. Sie sind, teilweise sogar obwohl sie gleichzeitig ihre kleinen Kinder betreuen, oft mehr als 12 Stunden in den Geschäften am Straßenrand beschäftigt und können, insbesondere während der betriebsarmen Mittagszeit, auch mal angetroffen werden, während sie und ihr Kind auf einem Stuhl erschöpft vor sich hindösen.

    Bevor wir Julica durchfuhren hielten wir noch zum Mittagessen und schauten uns noch eine weitere archeologische Stätte an. Ich muss allerings gestehen, dass ich langsam genug alte Steine gesehen und genug Klassiker der 80er und 90er Jahre auf Panflöten interpretiert, gehört habe, wie sie gerne in den Restaurants erklingen. Gerne würde ich im Verlauf unserer Reise tiefer in manche Themen einsteigen und die oberflächlich touristischen Attraktionen etwas hinter mir lassen.

    In Puno ist uns das noch nicht so recht gelungen, obwohl wir das natürlich nicht bereuen. Puno liegt am Titicaca-See dem höchstgelegenen und größten Gebirgssee der Erde. Wir buchten für den Montag eine Fahrt auf die Inselgruppe der Urus und nach Taquille. Wir fuhren dazu in einem großen Touristenboot los, unter anderem begleitet von ein paar naiven minderjährigen deutschen Mädchen und einer Portugiesin, die (jetzt habe ich Vorurteile) schon zu Beginn der Reise mehrfach so komisch genießt hat, dass ich insgeheim wusste, dass noch etwas witziges mit ihr passieren würde.

    Unser erster Halt waren die Inseln der Urus. Künstlich angelegte Inselgruppen, die aus schwimmenden Wurzeln, die mit Schilf bedeckt wurden, erbaut waren. Die Urus leben hier seit Urzeiten, haben aber ein wenig von dem Stolz, mit dem sie sogar kurz den Inca haben trotzen können, eintauschen müssen. Unter anderem singen sie „Vamos a la playa“, wenn man sie besucht. Auf der Insel, die wir besuchten, lief ein kleines Uru-Mädchen herum und die Portugiesin (ich wusste, dass es noch witzig wird) versuchte in einem Anfall von Fürsorge die ganze Zeit das Kind, das sein ganzen Leben auf der schimmenden Schilfinsel verbracht hatte, von der Wasserkante fernzuhalten, um es zu beschützen. Später sollte sie sie für ein Foto noch mit Küssen bedecken, was ich als ungemein übergriffig empfunden habe. Wir waren Gäste der Inselbewohner und sollten uns dementsprechend auch anständig benommen haben.

    So richtig gelang das den deutschen Mädchen auch nicht. Als wir von dem aktuellen „Präsidenten der Insel“, die Präsidentschaft wird immer durch die Familien gereicht, mit dem Schilfboot herumgefahren wurden, tauschten sie sich lautstark auf Englisch darüber aus, dass das ja kein Leben für sie wäre, dass die Inselanlagen einen komischen Geruch hätten und das es auf den Inseln ja auch „eigene Gesetze“, wie etwa die Todesstrafe für kleinere Vergehen geben könnte. Ich war fassungslos darüber, dass sie so abfällig über das Leben des Mannes, der uns auf seine Insel eingeladen hatte und der uns in seinem Boot herumfuhr sprachen und das auch noch in einer Sprache, die er womöglich verstanden hat. Ich ärgere mich etwas über mich selbst, dass ich ihnen das nicht im rechten Moment gesagt habe. Allerdings war ich so wütend, dass mir kein netter Umgangston möglich gewesen wäre.

    Silke meint, dass ich mich nicht so ärgern solle. Jugendliche seien halt so. Und sie hat ja nicht unrecht. Ich war keinesfalls besser. Aber das sollte einen doch zum Nachdenken anregen, ob die Haltung gegenüber der Welt und ihren Bewohnern, die wir glauben in Deutschland zu vermitteln, ausreichend ist.

    Unser nächster Halt sollte Taquile, eine Insel außerhalb der Bucht vor Puno, sein. Die Insel bestand aus massivem Felsen, in die allseitig Terassen eingehauen waren. Sie war ruhiger, als die Inseln der Urus. Die Bevölkerung trug traditionelle Trachten. Das besondere an diesen war, dass man an den Hüten ablesen konnte, ob ein Mann verheiratet oder unverheiratet bzw. Witwer war. Die Färbung deutete auf diesen Umstand hin. Ganz besonders bunte Mützen wurden nur von den insgesamt 28 „Autoriäten“ der Insel getragen. Nach dem Mittagessen liefen wir noch eine Weile in der Sonne über die Terassen und genoßen den Ausblick auf den See und die Stimmung auf der Insel.

    Kurz bevor wir wieder ablegten, sahen wir der Bevölkerung noch eine Weile bei den Hafenarbeiten zu. Offenbar waren sie dabei eine Vertiefung bei den Anlegern durchzuführen. Dafür wurden in den vorderen Reihen Steine geschlagen und Sand geschaufelt. Alles wurde dann über lange Menschenketten nach hinten transportiert. Zwischendrin lief ein sehr alter Mann herum, der immer mal wieder einen Stein von vorne nach hinten trug und dann eine Weile auf der Stelle stand und eine Pause machte, nur um kurz darauf einen neuen Stein herbei zu holen. Die Szene war wirklich beeindruckend. Man hat ihm angesehen, dass er die Teilnahme für seine Pflicht hält, trotz allen Alters und aller Gebrechen.
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