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  • Day 105

    Córdoba

    February 14, 2017 in Argentina ⋅ 🌙 23 °C

    Nach Córdoba brauchten wir etwa 4 oder 5 Stunden. Unsere Reisebusse sollten ab jetzt von Mal zu Mal einfacher werden. Auf der Fahrt nach Santa Fe wurde uns abends noch ein Abendessen und Wein serviert. Auf dieser Fahrt waren bereits die Polster zerschlissen und auf der späteren Fahrt nach Rosario fiel Silkes Sitz ganz auseinander.

    Córdoba trägt den Beinamen „La docta“, was soviel wie „die Gelehrte (Stadt)“ heißt. Sie ist eine der argentinischen Städte mit den meisten Universitäten, die im Gegensatz zu vielen anderen Ländern Südamerikas ohne Studiengebühren finanziert werden.

    Wir kamen in einem Viertel etwas außerhalb des Zentrums unter. Unser Hostel war auf der ersten Blick sehr nett. Offenbar wohnen hauptsächlich jüngere Argentinier dort. Die Ausnahme bildete ein älterer Mann, der den ganzen Tag Mate trank und immer sehr hilfsbereit war. Suchte man etwas in der Küche und er hörte das, kam er gleich aus dem Nachbarzimmer angelaufen, um beim Suchen zu unterstützen.

    Mate ist, das hatte ich ja schonmal geschrieben, DAS Nationalgetränk der Argentinier. Es wird aus den Blättern einer hier ansässigen Stechpalme zubereitet. Diese ist im Gegensatz zur europäischen Variante nicht, bzw. kaum Giftig. In ihren Blättern kommen unter anderem die Stoffe Koffein und Theophyllin vor, dass früher oft in der Asthmatherapie eingesetzt wurde. Aufgrund seines Wirkungsprofils, das mit einer starken Anregung des Herzens einhergeht, wird es aber zusehends seltener in der aktuellen Medizin angewendet. Man kann sich, wenn man diesen Hintergrund kennt, allerdings vorstellen, wie Mate wirkt. Man muss allerdings dazu sagen, dass der Wirkstoffgehalt ungemein gering ist. Dementsprechend unterscheidet sich die aufputschende Wirkung kaum von der eines Kaffees. Ich finde allerdings, dass Mate deutlich „runder“ ist. Es macht wach, aber auch in größeren Mengen nicht aufgedreht oder hektisch. Dem Tee werden zahlreiche gesundheitsfördernde Eigenschaften zugeschrieben. Etwa eine kreislaufstärkende Wirkung. Allerdings sind auch Nachteile, wie etwa eine (verhältnismäßig geringe) Risikosteigerung für bestimmte Krebsarten, bekannt. Man geht davon aus, dass dieses Risiko beim Herstellungsprozess entsteht und nichts mit dem eigentlichen Strauch zu tun hat.
    Die Blätter werden bei einem bestimmten Verfahren noch an ihren Ästen über offenem Feuer getrocknet. Hierbei, so nimmt man an, reichern sich die krebsförderlichen Stoffe in den Blättern an, die danach kleingeschnitten werden und somit aufgussfertig sind. Die Risikoerhöhung ist also in etwa so hoch, wie bei geräucherten Fleisch- und Fischprodukten und da ich ja Vegetarier bin, erlaube ich mir hier (statt Katenschinken) regelmäßigen Matekonsum :-)
    Denn grade diese geräuchert zubereitete Variante ist besonders lecker. Der Tee ist insgesamt sehr bitter, wird von einigen Argentiniern also noch mit Zusätzen, wie etwa Organgenschalen, Zimt oder Zucker getrunken. Neben der fruchtigen Bitterkeit hat der Tee ein leichtes Tabakaroma und schmeckt ein bisschen so, wie Pfeifenrauch riecht.

    Das wirklich spannende ist aber die Zubereitung. Man benötigt neben dem Jerba, wie er in Argentinien, Paraguay und Uruguay genannt wird, noch eine Kalebasse, die eigentliche „Mate“ und einen Strohhalm (Bombillo), der meistens aus metall, seltener aus Holz angefertigt ist. Am Ende dieses Strohhalms ist ein kleines Sieb, so dass keine Matepartikel in ihn gelangen können. Man füllt nun den Jerbe mindestens bis zur Hälfte in den Mate (die Kalebasse) und legt eine Hand auf die Öffnung. Jetzt schüttelt man das Ganze auf dem Kopf stehend, um eine bestimmte Anodnung der feinen und groben Jerba-Partikel zu erzeugen. Nun neigt man die Kalebasse auf die Seite, immernoch zugedeckt, schüttelt ein paar mal hin und her und nimmt nun seine Hand weg. Das Ergebnis sollte eine Art Aufschüttung in der halben Kalebasse sein. Man kann es sich ein wenig so vorstellen, wie bei den gefüllten Milka-Eiern, die es zu Ostern gibt. Beißt man in sie hinein ist die Füllung oftmals nur in einer Hälfte vorhanden. In der anderen befindet sich Luft. Genau das möchte man hier auch erreichen. Nun füllt man etwas kaltes Wasser hinzu, um die Nährstoffe im Jerba vor dem heißen Wasser zu schützen und steckt den Bombillo in die Hälfte mit der Luft. Jetzt kann man die Kalebasse mit Wasser aufgießen, dessen Temperatur zwischen 70 und maximal 90 Grad liegen sollte. Klingt alles kompliziert, ist aber schnell gemacht. Und der Vorteil ist, dass man nun eine Ganze Weile beschäftigt ist. Ist nämlich die Kalebasse leer getrunken, gießt man einfach neues Wasser hinein. Zur Nachmittagszeit sieht man unheimliche viele Argentinier auf öffentlichen Plätzen mit ihrer Mate sitzen, neben sich eine große Thermoskanne mit heißen Wasser.

    So auch im Zentrum von Córdoba. Wir lebten allerdings wie bereits gesagt etwas außerhalb. Unser Viertel war zudem auch etwas dubios. Niemand hielt sich in den Straßen auf und alles war verfallen. Am ersten Abend bei der Suche nach einem Supermarkt wurden wir zeugen eines Autounfalls. Ein, in Deutschland würde man ihn wohl Zuhältertyp nennen, ist mit etwa 40 Stundenkilometern verkehrtherum in eine Einbahnstraße gefahren und erwischte ein ankommendes Taxi frontal. Allen Beteiligten schien es gut zu gehen. Für den Taxifahrer war das natürlich trotzdem eine mittlere Katastrophe. Nebenbei bemerkt ist der argentinische Verkehr wieder deutlich gefährlicher, als er es in Chile war.
    Am zweiten Tag holte ich unsere Wäsche aus einer nahegelegenen Wäscherei und wurde Zeuge, wie eine sehr betrunkene (oder noch sehr nüchternde und daher unzufriedene?) Frau irgendeinem Fremden seine Kopfhörer im Vorbeigehen aus den Ohren riss. Am dritten und letzten Tag konnten wir beobachten, wie zwei ältere Typen einen jüngeren Typen durch die Straßen jagten und fanden ein kleines improvisiertes Messer auf dem Boden. Es sah so aus, wie eines, dass man im Knast selbst hergestellt hatte. Der Sinn dahinter hat sich uns nicht so recht erschlossen, da die Waffengesetzgebung hier relativ lax ist und man sich an jeder Ecke ein vernüftiges Messer kaufen kann.

    Córdoba hat aber natürlich auch nette Seiten. Wie „fast“ überall in Südamerika (die Ausnahme ist wohl Bolvien), sind die Menschen hier ungemein gesprächig und freuen sich, wenn sie feststellen, dass man als „Extranjero“ ein paar Brocken Spanisch kann. Wir warten hier oft an Kassen von Supermärkten, denn durch den Bargeldmangel zahlen die meisten Argentinier ihre Einkäufe mit Karte. Die Kassensysteme sind aber zumeist uralt, so dass 4 Leute vor einem mindestens 10 Minuten warten bedeuten. Besagte Gesprächigkeit der Argentinier verlängert die Wartezeiten zwar manchmal auch etwas (immerhin entwickeln sich so auch schneller Gespräche zwischen Kassieren und Kunden), ist aber eine tolle Möglichkeit, um ein paar Worte mit Einheimischen zu wechseln, während man wartet.

    Etwas weiter im Zentrum offenbart Córdoba schöne Kirchen und belebte Plätze. Besonders spannend ist ein ehemaliges Frauengefängnis, welches mitten in der Stadt lag und dessen Räume heute als Kulturzentrum genutzt werden. Auf den Treppen davor sitzen an den Nachmittagen zahlreiche Argentinier und trinken Mate.

    Wir machten bei einer Städtetour in der Gegend mit. Da Sonntag war waren wir die einzigen Teilnehmer, was ein wenig irritierend war. Ganz zu Anfang wurden uns 3 mehr oder minder kleine Fehlschläge der Stadt gezeigt. Vor eine Kunstmuseum steht die Statue eines Eisbären, die urpsprünglich für einen von Argentinien beanspruchten Anteil der Antarktis gedacht war… bis man feststellte, dass dort keine Eisbären leben. Sie wurde nach Córdoba zurück gebracht und dort, wegen Massenprotesten und unpassierbaren Straßen einfach irgendwo abgeladen. Es hat ein gutes halbes Jahr gedauert, bis mal irgendjemand in die große Holzkiste geschaut hat, die nun auf einem der Plätze stand. Aus Verlegenheit hat man den Eisbären dann vor einem Museum aufgestellt.

    Der zweite Fehlschlag war eine Statue von Anne Frank, die zu Ehren der jüdischen Community in Córdoba aufgestellt wurde. Die Statue war wunderbar gearbeitet und sah wirklich gut aus, bis ihr -ebenfalls im Rahmen eines Massenprotestes- der Kopf abgetrennt wurde. Eine Zeit lang war sie also ohne Kopf und deprimierte ihre Umgebung mit diesem Anblick. Ein Nachbar hielt es nicht mehr aus und bot an, den Kopf zu rekonstruieren. Das Ergebnis kann man sich hier ansehen:
    http://staticf5a.lavozdelinterior.com.ar/sites/…

    Der dritte Fehlschlag war Leuchtturm, den man als Städtewahrzeichen etablieren wollte. Er ist von tribünenartigen Strukturen umgeben, die große Wellen darstellen sollen. Das Ganze sieht auch wirklich gut aus, wenn es in Betrieb ist. Unser Guide hat uns ein Foto gezeigt. Das Problem war allerdings, dass niemand vor der Inbetriebnahme des Leuchtturms, an die Nachbarn gedacht hat, deren Schlafzimmer für einige Zeit nun sehr hell wurden, bis der Leuchtturm gerichtlich abgeschaltet wurde. Außerdem, hier wird es jetzt tragisch, starb ein 4-jähriges Mädchen bei dem Versuch die Tribünen herunterzurutschen, was eine Zeit lang bei den Kindern der Gegend zur Mode geworden war. Auf den „Wellen“ sind seither lange Rohre installiert, um das zu verhindern.

    Die schönsten Teile der Tour waren der große Park, in dem es neben zahlreichen Wiesen auch ein günstiges Freibad und einen Rummelplatz gibt und ein ehemaliges Arbeiterviertel, das den selben Wandel durchgemacht zu haben scheint, wie die Sternschanze in Hamburg. Ein großer, regelmäßiger Kunstflohmarkt lädt zum Bummeln ein und zahlreiche Hauseingänge zu den ehemaligen Arbeiterwohnungen, die traditionelle mit einem Innenhof ausgestattet waren, eröffnen einem den Zugang zu Restaurants und Bars, die in den alten Quartieren untergekommen sind.
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