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  • Day 26

    Hochmut kommt vor dem Fall

    April 30, 2019 in Spain ⋅ ⛅ 13 °C

    Und heute kam der Fall...
    Meine Blasen sind alle offen, die Schmerzen waren unerträglich und es waren 32 km unter brennender Sonne zu bewältigen.

    Mir war sehr wohl bewusst, was für ein unglaubliches Glück ich hatte, bisher so unversehrt den ganzen Camino bewältigt haben zu können. Um mich herum hatten alle ihre Wehwehchen: überlastete Knie, entzündete Füsse, geschwollene Füsse, mit Blasen übersääte Füsse, verspannter Rücken, verbrannte Haut und so weiter und so fort. Von alledem blieb ich verschont. Bis jetzt. Man könnte meinen nach 750 Kilometern hatten die Füsse genug Zeit, sich an die Schuhe zu gewöhnen. Dem war wohl nicht so. Zwei grosse Blasen zieren seit gestern meine linke Ferse. Aus welchem Grund auch immer hielt ich es gestern Abend für eine gute Idee in diese reinzupieksen, um sie austrocknen zu lassen. Schlechte Idee. Die Schmerzen heute morgen waren höllisch. Teilweise liessen einzelne Schritte meinen ganzen Körper zusammenzucken und trieben mir Tränen in die Augen. Heute mussten wir allerdings 32 km schaffen, da es dazwischen keine Herberge mehr gab. Also lief ich trotzdem weiter, einen Schritt nach dem anderen. Ich war sogar kurz davor eine Schmerztablette zu nehmen, DIE Pilgerdroge schlechthin. Dann habe ich aber wieder gedacht, ich habe den ganzen Weg jetzt ohne Medikamente überlebt, dann schaffe ich jetzt auch noch die letzten 100 km. Also lief ich weiter. Ich lief und lief und gelangte in eine Art Trance und war wie in einem Tunnel. Ich dachte sogar noch darüber nach, wie faszinierend der menschliche Körper doch ist, sich selbst in so einen Trance-Zustand versetzen zu können, wenn man solche Schmerzen hat. Irgendwann spürte ich gar nichts mehr. Und irgendwann fiel ich fast hin, weil ich meine Füsse nicht mehr richtig heben konnte. Das war der Moment, als ich bemerkte, dass dieser Zustand nicht von den Schmerzen herbeigeführt wurde, sondern von meinem mittlerweile viel zu tiefen Blutzucker. Sofort setzte ich mich einfach mitten auf den Weg und ass alles, was mir in die Hände gelangte. Dass ich den zu tiefen Blutzucker nicht bemerkte ging mir durch Mark und Bein und geht mir auch jetzt noch nicht aus dem Kopf. Zum Glück ging nochmals alles gut. Mit steigendem Blutzucker stiegen leider auch wieder die Schmerzen in den Füssen. Etwa nach der Hälfte der Strecke gewöhnte ich mich an den Schmerz und er wurde erträglicher. Wahrscheinlich ist das jetzt noch die letzte Härteprobe vor der Ankunft in Santiago. Vermutlich ist man kein richtiger Pilger, wenn man nicht wenigstens einmal einen richtigen Schmerz ausgehalten hat. Dann würde ich jetzt mal sagen Santiago kann kommen! Gerade mal 60km bleiben noch übrig. Unglaublich, da nur noch eine zweistellige Zahl stehen zu sehen. Dieses Gefühl ist einfach unbeschreiblich.

    Heute übernachten wir im Kloster in Sobrado des Monxes. Zusammen mit Elena, Fabio und Federico gab es ein Pilgeremenü im Dorf. Morgen wollen wir alle ziemlich früh starten, damit wir möglichst viele Kilometer schaffen, bevor die Sonne zu stark wird. Das sind wirklich deutliche Zeichen dafür, dass der Sommer ansteht!
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