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  • Day 47

    Pracht und Plastik

    October 12, 2018 in Canada ⋅ 8 °C

    In Banff ist diese Woche Pride Week. Eine Woche, die kanadaweit an unterschiedlichen Daten stattfindet und die LGBTQI-Community feiert. Die ganze Stadt ist involviert und leuchtet in Regenbogenfarben. Kanada ist ein Bilderbuchbeispiel, was Gleichberechtigung angeht. Nicht nur, was die Gleichstellung von Homosexuellen betrifft, auch Menschen mit Behinderung profitieren hier von Fortschrittlichkeit, Barrierefreiheit in fast jedem noch so kleinen Geschäft sowie der Aufgeschlossenheit der Menschen. Eine Bevölkerung, die geprägt ist von Multikulturalität und Toleranz. Auch die sogenannte "Asian Invasion" (fotowütige, mit Selfie-Sticks bewaffnete Touristengruppen aus Asien, die während der ruhigeren Monate zwischen Sommer- und Wintersaison Kanada im Reisebus erobern) wird trotz Drängeln und Rempeln mit einem dicken Lächeln willkommen geheißen. Besonders im März und Oktober erhaschen hier viele Reisegruppen das ein oder andere Schnäppchen, wenn die Hotels kaum ausgelastet und die Flüge günstig sind – und die Landschaft aber dennoch zu jeder Jahreszeit endlose knipsbare Motive bietet. Da werden Kameras gezückt, Starbucks-Türen fotografiert und das ein oder andere Klischee bestätigt. Aber wer kann es ihnen verübeln.

    Die einzigen Dinge, in denen Kanada noch mit beiden Beinen hinterherhinkt, sind zum einen ein vollständiges Verbot an Tierversuchen in der Kosmetikbranche. Und zum anderen das Problem Müll. Müllmüllmüll. Wenn man durch das heimische Edeka schlendert und sich beim Anblick all der Plastik die Augen zu tränen beginnen, dann möchte man sich in Kanada hin und wieder die Augen auskratzen. Viele Dinge sind doppelt verpackt oder auch dreifach. Der Schoko-Riegel in einer Folie, die Folie in einer Tüte und die Tüte in einer Plastik-Verpackung. Und damit das Ganze dann auch bequem nach Hause transportiert wird, das Ganze in eine Plastetüte. In diesem Punkt hängt Kanada noch ein paar Jahre hinter Europa. Auch egal, an welchem noch so abgelegenen, pittoresken grünen Fleckchen wir uns befanden, es ließen sich immer ein Tim-Horton’s-To-Go-Becher, eine Bierdose oder eine Sandwichverpackung finden. Nicht selten werden hier auch auf der Autofahrt die Fenster runter geschraubt und sich seines Mülls entledigt.

    Bis in die 1970er Jahre wurde Abfall in Banff einfach auf eine riesige Fläche im Grünen geladen. Die Zeit wird sich schon darum kümmern. Oder die Wildtiere. Für Wölfe und Bären ist aber so eine Resteverwertung eine regelrechte Festtagssause. Wie wir Menschen, die nicht nur ein Mal in die Chipstüte greifen können, finden auch Wildtiere schnell Gefallen an unserem Schmaus und kommen daher immer näher an die Städte heran. Daher war es bis vor einigen Jahren keine Seltenheit, Bären in der Mülltonne vor der Haustür grabbeln zu sehen. Das gab zwar den ein oder anderen verrückten Anblick, aber es wurde zunehmend schwieriger, die Tiere aus der Stadt fernzuhalten. Es kam vermehrt zu Zwischenfällen zwischen Tier und Mensch, was letztlich sogar dazu geführt hat, dass 70% des Wapiti-Bestands rund um Banff gejagt und getötet wurde. Ein ziemlich trauriges Armutszeugnis, um menschliche Fehler auszumerzen.

    Heute versucht man zwar, die Regulierungen straff zu ziehen, indem man unter anderem Halloween-Kürbisse von sämtlichen Verandas im Nationalpark verbannt und Mülltonnen mit bärentatzensicheren Deckeln produziert. Aber ein tiefgreifendes Umweltbewusstsein ist dennoch nicht bei allen angekommen. Kanada lag 2018 auf Platz eins der Industrieländer mit der höchsten Müllproduktion: 720 Kilo pro Kopf. Damit übertrumpfen sie selbst die USA und Japan, die nur etwa ein Zehntel dessen produzieren.

    Selbstverständlich ist es schwierig, bei so einem von Touristen und Work-and-Travellern gefütterten Land jedes fallengelassene Taschentuch einem Kanadier zuzuschreiben. Auch als Besuchender sollte man sich öfter mal an die eigene Nase fassen und die wenigen Schritte bis zum Mülleimer gehen. Der Umwelt und dem Karma zuliebe.
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