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  • Day 12

    Von den Alpen zu den Anden

    January 13, 2020 in Argentina ⋅ ☀️ 24 °C

    Verschneite Berggipfel soweit das Auge reicht, tiefblaue Bergseen, viel Wald und Blumen in verschiedensten Farben. Kein Wunder wollten sich deutsche Einwanderer gerade auf diesem Flecken Erde niederlassen. Offiziell gegründet wurde die argentinische Stadt Bariloche Anfang des 20. Jahrhunderts. Heute ist sie ein sehr beliebter Tourismusort– im Winter fürs Skifahren, im Sommer für diverse Aktivitäten am Wasser oder in den Bergen. In den Gründerjahren war Bariloche allerdings ein Handelszentrum. Mehrere Deutsche, welche in Chile Unternehmen gegründet hatten, lieferten Waren hierher und liessen sich vielfach auch selbst hier nieder.

    Bariloche bedeutet auf Mapuche, der Sprache des gleichnamigen indigenen Volkes, soviel wie «Menschen hinter dem Berg». Denn für uns etwas überraschend sind die deutschen Einwanderer nicht via Atlantik und durch die Pampa nach Bariloche gekommen, sondern sie besiedelten dieses Gebiet von Chile über die Anden herkommend. Der argentinische Staat gab den Einwanderern bereitwillig Land ab. Denn er wollte die indigenen Mapuche verdrängen und möglichst viel Land besiedeln. Der deutsche Einfluss stieg in Bariloche dadurch zunehmend und die deutsche Community wuchs. Es wurde eine deutsche Gemeinschaft gegründet, eine deutsche Schule eröffnet und eine Art deutscher Alpenclub – ähnlich dem Schweizer SAC ins Leben gerufen. Mehrere deutschstämmige Alpinisten und auch einige Schweizer bestiegen die Gipfel im weiten Land um Bariloche und bauten dort diverse Alphütten – genannt Refugios. Diese ähneln stark Schweizer SAC-Hütten, bieten sie doch ebenfalls Verpflegung und Schlafplätze an.

    Auf unserer Reise besuchen wir ein solches Refugio, das 1895 gegründete Refugio Frey. Von Villa Catedral aus, dem Ausgangspunkt ins grösste Skigebiet Argentiniens, geht es zunächst leicht bergan. Der schmale Pfad führt uns durch eine üppige Vegetation aus Lupinen, Amancay und diversen Sträuchern. Der Weg wird immer steiler, die Hitze drückt. Zum Glück führt der Pfad nun in den Wald hinein, über Wurzeln und Steine. Nach einer Stunde ist es mit dem schönen Schatten aber schon wieder vorbei und wir wandern nun eine gefühlte Ewigkeit steil hinauf. Wir sind etwas überrascht über den anstrengenden Weg, war dieser doch als leicht gekennzeichnet und nur drei bis vier Stunden Wanderzeit angegeben. Umso grösser ist die Freude, als wir das Refugio Frey erblicken und den wunderschönen, klaren Bergsee, auf dessen Oberfläche sich die umliegenden Gipfel spiegeln. Der kundige Muotathaler könnte sich glatt auf der Glattalp wähnen, wären die Berge nicht von einer viel rötlicheren Farbe als in der Innerschweiz. Viele erschöpfte Wanderer nutzen den Zeitpunkt für ein eiskaltes Bad. Wir selbst verzichten – auch erkältungsbedingt. Immerhin ein Fussbad gibt es – bei der einen Hälfte von uns leider, aufgrund von Gleichgewichtsproblemen, inklusive Wanderschuhen. Dies führt dann zu einer trocknungsbedingten längeren Pause in der pittoresken Landschaft. Gestärkt hoffen wir, für den Abstieg einen anderen Weg zu nutzen. Doch wir realisieren, dass unsere Ausrüstung dafür ungeeignet ist und müssen so wieder gleichenwegs ins Tal marschieren. Unter der Hitze zieht sich der Weg und wir können uns teils kaum vorstellen, dass wir das ganze Stück auf dem Hinweg mit weniger Mühe zurückgelegt haben. Umso zufriedener sind wir, als wir gestärkt mit einem Pepsi in den Bus steigen können. Unser Schrittzähler zeigt am Abend rund 37 500 Schritte an, also noch mehr als «Innä durä» (Anmerkung der Redaktion: Wunderschöne Wanderung in Muotatal). Quasi «Ussä umä».

    Alpinisten sind nicht die einzigen Schweizer, welche in der Region von Bariloche lebten. Einige Fribourger um Emilio Goye gründeten Ende des 19. Jahrhunderts die Waldgemeinde Colonia Suiza. Wie die Deutschen Handelstreibenden kamen auch sie von Chile her. Bei der Schweizer Gemeinde handelt es sich gar um die erste europäische Siedlung in der Region. Heute ist der Ort vor allem eine Touristenattraktion, böse gesagt eine etwas heruntergekommene Ansammlung von Ständen, Läden und Restaurants. Auch Heerscharen von Argentiniern, die in Bariloche gerne Ferien machen, besuchen die kleine Waldgemeinde. An die Schweizer Einwohner erinnern noch Restaurants mit den Schweizer Kantonsflaggen, einige Speisen wie «Rosti», Getränke wie Walliser Bier oder Glace mit Schweizer Schokolade, die übrigens ausgezeichnet schmeckt. Die Colonia war zwar ein interessanter Abstecher, doch für uns hat der Ort nicht mehr viel mit der Schweiz zu tun und wirkt doch eher künstlich.

    Doch zurück zu den Deutschen. Auf einer sehr interessanten Tour berichtet unser Guide, dass es vor Ausbruch des Zweiten Weltkriegs auch in Argentinien durchaus Sympathisanten für Hitlers Idee für ein neues Deutschland gab. Wie wir erfahren, haben die Nationalsozialisten bei Auslanddeutschen intensiv Werbung für das Dritte Reich gemacht, so sandten sie unter anderem Schulbücher nach Übersee oder unterstützten die deutschen Gemeinschaften finanziell. Hitler traf bei vielen Auswanderern einen wunden Punkt, die teils ein schlechtes Gewissen hatten, dass sie Deutschland den Rücken gekehrt hatten. Mit dem von Hitler angestrebten Grossreich sollten sie nun wieder Teil von Deutschland werden. Der neuerwachte Nationalstolz in Deutschland beflügelte viele Deutsche im Ausland, ohne dass viele sich der Tragweite der Ideologie bewusst waren. Einige waren aber von Hitlers Ideen so angetan, dass sie noch vor Ausbruch des Zweiten Weltkriegs zurück in ihre Heimat reisten. Paradoxerweise floh etwa dieselbe Anzahl an Deutschen – insbesondere Juden – nach Argentinien.

    Nach dem zweiten Weltkrieg gab es eine weitere Einwanderungswelle von Deutschen nach Argentinien. Bei einem Teil von ihnen handelt es sich auch um Nationalsozialisten, welche sich der Gerichtsbarkeit einziehen wollten. Die Tour zeigte die Spuren auch dieser Deutschen, die in Bariloche wohnten, auf sehr interessante Weise auf. Bis in die 90er-Jahre lebten sie unbehelligt in Bariloche, die Mehrzahl von ihnen unter einem neuen Namen, mit neuem Beruf und erfundener Biografie. Einer von ihnen war Erich Priebke, der als SS-Hauptsturmführer an den Massakern in den Ardeatinischen Höhlen beteiligt war und die Exekution von 335 italienischen Zivilisten überwachte. Überraschenderweise hat Priebke, angekommen in Bariloche, trotz seiner Vergangenheit schon bald wieder seinen normalen Namen angenommen. Er lebte ein ruhiges Leben im argentinischen Seengebiet, genoss ein hohes Ansehen und wurde schliesslich gar zum Schulleiter der deutschen Schule in Bariloche ernannt. 1994 änderte sich sein Leben schlagartig, als er plötzlich in den Fokus der Öffentlichkeit geriet. Vor der deutschen Schule in Bariloche wurde er von einem amerikanischen Reporter angesprochen und zu den Massakern befragt. Er nannte diesem seinen richtigen Namen und gab bereitwillig Auskunft über die Verbrechen der damaligen Zeit. Seine Verhaftung spaltete die Stadt – ein Teil war für die Auslieferung, während der andere ihn als blosses Opfer seiner Zeit sah, das die schrecklichen Befehle auszuführen brauchte, um nicht selber umgebracht zu werden. Erich Priebke wurde schliesslich nach Italien ausgeliefert, wo er bis zu seinem Tod im Jahre 2013 unter Hausarrest stand. Eindrücklich war für uns, dass wir auf der Tour vor Priebkes Haus standen, in dem heute noch seine Nachfahren wohnen. Unser Guide zeigte uns noch andere deutsche Häuser. In einigen wohnten noch andere deutsche Kriegsverbrecher oder hielten sich zeitweise darin auf. Ein Gerücht, dass auch Nazi-Arzt Josef Mengele einige Monate in Bariloche lebte, konnte nie bestätigt, aber auch nicht ganz ausgeschlossen werden. Andere in Bariloche wohnhafte Nazis, unter ihnen auch solche, welche weiterhin nationalsozialistische Ideologien verbreiteten, kamen im Gegensatz zu Priebke ungeschoren davon.

    Die Spuren deutscher Einwanderer werden uns auch während unserer nächsten Stationen immer wieder begleiten. Doch zurück zu Bariloche. Die Seenregion ist einfach traumhaft, was sich auf dem Cerro Campanario bestätigt hat: So viele Seen, so viel Wald, so viel Berge. Was man allerdings braucht in Bariloche ist Geduld. Die Ortsbusse sind super günstig, aber sehr unzuverlässig und völlig überfüllt. So haben wir mehrere Stunden mit Warten verbracht (wohl definitiv nicht das letzte Mal auf unserer Reise, aber dennoch gewohnheitsbedürftig). Gewohnheitsbedürftig waren für uns auch die Bernhardiner auf dem Hauptplatz der Stadt, welche als Fotosujet dienen, und die dutzenden Schokoladenshops, welche von den argentinischen Touristen überrannt wurden. Wir haben noch die letzten mitgebrachten Lindor-Kügeli genossen und die Shops daher links liegen gelassen.
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