Satellite
  • Day 39

    In die Höhe, in die Wüste

    February 9, 2020 in Chile ⋅ ☁️ 21 °C

    Unser Zeitgefühl ist verloren gegangen. Vorsichtig schieben wir die Vorhänge im Nachtbus zur Seite. Wir befinden uns in einer mondartigen Landschaft. Kleine Büsche bedecken die sonst staubig wirkenden Hügel. Bald nachdem wir aufgewacht sind, hält der Car an. Wir befinden uns am Grenzposten von Argentinien nach Chile. Bald kommen wir in San Pedro de Atacama, zumindest denken wir das zu diesem Zeitpunkt. Denn wieder mal geht an der Grenze für sehr lange Zeit gar nichts. Nach etwa einer Stunde steigen erste Passagiere aus, um Luft zu schnappen oder einen Kaffee zu holen. Kaffee, eine vorzügliche Idee. Der Chauffeur bittet uns, nicht zu weit wegzugehen. Die frische Luft tut gut. Doch irgendwie fühlen wir uns eher schlapp – haben wir uns erkältet? Später stellen wir fest, dass es die Höhe war, die das Atmen schwierig machte. Der Paso de Jama, wo sich die Grenze befindet, liegt immerhin auf 4’200 Meter Höhe. Die Chilenen nehmen es wiederum sehr genau und durchsuchen jeden Rucksack nach frischen Lebensmitteln. Es scheinen Zöllner mit hervorragenden Nasen zu sein – denn leider bleibt die Hunde-Show diesmal aus.

    Wir brauchen noch viel Geduld, bis wir in San Pedro sind. Etwas Unterhaltung bietet immerhin die Musik, welche nun den Car lautstark beschallt. Ein Hit nach dem anderen wird gespielt – von Bed of Roses von Bon Jovi, über The Show Must Go On von Queen bis Hotel California von Eagles. Irgendwie skurril in dieser Einöde. San Pedro wirkt auf den ersten Blick wie ein kleines staubiges Nest und beim Atmen spürt man regelrecht die Trockenheit. Die Atacamawüste ist der trockenste Ort der Welt. Ein älterer Mann, der beim Busbahnhof die Ankömmlinge beobachtet, hilft uns, ein Taxi zu organisieren, um zur Unterkunft zu kommen. Es erwartet uns ein Kleinod aus einstöckigen Häuschen, vielen Bäumen, zwischen denen Hängematten gespannt sind, und verschiedene gemütliche Sitzbereiche. Die Ckoi Lodge ist perfekt, um sich zu entspannen und etwas an die Höhe zu gewöhnen, bevor es dann auf die Uyuni-Tour geht. Verblüfft stellen wir bald fast, dass an der Reception eine Schweizerin arbeitet. Renée lebt seit elf Jahren in Chile, arbeitet seit ein paar Monaten in San Pedro und will sich nächstens ihren grossen Traum erfüllen. Ihr schwebt vor, mit einem kleinen Wohnmobil durch ganz Südamerika zu reisen. Im Austausch mit ihr erfahren wir sehr viel Wissenswertes über die Region. Zudem organisiert sie für uns eine erstklassige Tour in der Atacamawüste. Auf eine Tour zur Beobachtung des Sternenhimmels müssen wir leider verzichten, denn der Himmel ist zu bedeckt.

    Als Roselines Eltern vor gut dreissig Jahren in San Pedro waren, bestand der Ort noch aus ein paar Häusern und wenig touristischer Infrastruktur. Das hat sich deutlich geändert, befinden sich doch im Zentrum diverse Restaurants, unzählige Tourenanbieter, Wechselstuben und Hostales. Trotz des grossen Angebots und der vielen Touristen wirkt San Pedro klein und mit seinen einstöckigen Lehmbauten wie ein waschechtes Wüstenstädtchen. Wir müssen uns wieder an deutlich höhere Preise als in Argentinien gewöhnen, geniessen aber nochmals richtig leckeres Essen – im Glauben, dass es in Bolivien für zwei Wochen nur noch Poulet, Reis und Bohnen geben wird.

    Tags darauf holt uns unser Guide Alejandro mit einem Minibus ab, in welchem schon diverse andere Touristen sitzen. Er erklärt uns, dass wir bei der Tour auf gut 4’500 Meter über Meer fahren werden und gibt uns hilfreiche Tipps im Umgang mit der Höhe. Die Strasse führt von San Pedro (2’400 Meter über Meer) fast unmerklich, aber stetig bergauf. Auf etwa 3’500 Metern parkiert Alejandro den Bus, steigt aus und richtet auf einem Klapptischchen ein grosszügiges Frühstück an. Mit Sicht auf den Vulkan Licanabur geniessen wir ein leckeres Zmorge. Wir bleiben eine knappe Stunde da. Der Halt wurde extra dafür eingeplant, dass wir uns etwas an die Höhe gewöhnen können. Nur schon das Aussteigen aus dem Minibus und das Gehen sind deutlich strenger. Wir kommen uns vor, als seien wir auf einmal dreimal so alt. Alejandro erzählt uns Interessantes über den Vulkan Licanabur, der zur Hälfte in Bolivien und zur Hälfte in Chile steht. Besteigen kann man ihn aber nur von der bolivianischen Seite aus: Die Chilenen haben bei Grenzstreitigkeiten mit den Bolivianern auf ihrer Seite des Vulkans diverse Minen vergraben. Nun ist es unmöglich, diese mit einem Detektor wieder zu finden und zu vernichten, weil das Gerät aufgrund des Vulkans überall angibt.

    Nach dem Zmorge geht’s nochmals rund 500 Meter höher. Bei einer Lagune können wir von weitem verschiedene Flamingos beobachten. Bald darauf biegt Alejandro mit dem Minibus von der Strasse ab und es geht weiter über Stock und Stein. Auf der Tour können wir diverse Vicuñas aus der Nähe beobachten. Die Wolle dieser Tiere ist extrem fein und deshalb etwa viermal so teuer wie Kaschmir. Vicuñas sind perfekt an hohe Lagen angepasst. Auch Lamas und Alpakas haben wir auf unserer Tour gesichtet. Es geht weiter zu anderen sehr schönen Lagunen und zu Gesteinsformationen, welche aus vulkanischer Lava entstanden sind. Der Fels El Monje de la Pacana ist gut vierzig Meter hoch. Weiter geht’s, wieder in der Nähe des Licancaburs wird zum Mittagessen dann eine feine Paella und ein Glas chilenischer Malbec serviert.

    Den späteren Nachmittag verbringen wir im schönen Garten des Hotels, schreiben am Blog und bereiten uns geistig auf die Uyuni-Tour vor. Im Reiseführer wird vor unwirtlichen Temperaturen, gefährlichen Fahrern, schlechtem Essen und miesen Unterkünften gewarnt. Ein paar Crackers zur Not packen wir schon mal ein.
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