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  • Day 253

    Stadt der 1000 Köstlichkeiten

    July 7, 2017 in Japan ⋅ ☀️ 30 °C

    Ein Ort mit knapp 12 Millionen Einwohnern und ohne Straßennamen; in der die kleinste Kleinigkeit, die du kaufst, in einer Unzahl von Verpackungen und Tüten ausgehändigt wird, es aber kaum Mülleimer gibt und trotzdem alles sauber ist; in der Millionen Menschen täglich eine Vielzahl öffentlicher Verkehrsmittel nutzen, und letztere aber trotzdem kaum Verspätung haben. Diese kleine Auswahl von scheinbaren Gegensätzen würde wohl jede europäische Stadt nach kürzester Zeit in Chaos versinken lassen. Für die Tokyoter ist das alltägliche Normalität, und nicht nur das: es funktioniert wunderbar. Japan ist sowas wie Deutschland 3.0: all die sogenannten "deutschen Tugenden" wie Fleiß, Zuverlässigkeit oder Pünktlichkeit werden hier bis zur Perfektion umgesetzt - zumindest hat es den Anschein.

    Unser Hotel steht in Shiodome, einem modern-futuristischen, wolkenkratzergesäumten Business-Viertel im Süden der Stadt. Und es kommt gelegentlich vor, dass wir das Hotel erst dann verlassen, wenn die Geschäftsleute um uns herum zum Mittag pilgern. Das erinnert immer ein wenig an Langs Metropolis, wenn Massen von Arbeitern - alle annähernd im Gleichschritt und ameisengleich - aus den Wolkenkratzern strömen, um in die Pause zu gehen. Parallel dazu begegnet einem überall die bekannte japanische Freundlichkeit, jeder Dienstleister ist äußerst nett, bemüht und zuvorkommend, du bist als Kunde nicht König, du bist Gott. Man fragt sich nach einer Weile, wie die das auf Dauer aushalten. Müssen die das nicht rauslassen? Ticken die eventuell irgendwann mal aus und laufen Amok, oder sowas?

    Die Antwort erhielten wir ein paar Tage nach unserer Ankunft. Denn nach 20 Uhr, wenn wochentags die meisten Geschäfte zumachen und die white collars ihre Büros geräumt haben, ändert sich das Stadtbild komplett - und zwar umso gravierender, je später es wird. Jetzt pilgern zahlreiche Tokyoter in Bars, Karaoke-Schuppen, Patchinko-Spielhöllen und Partyboote auf dem Sumida - und hier überall streifen sie (unter Zuhilfenahme von Alkohol) ihr gesellschaftlich eng geknüpftes Korsett ab, und zwar ordentlich. Und so ergibt sich spätestens Mitternacht ein vollkommen anderes Stadtbild: einige Tokyoter gehen nicht mehr, sie torkeln. Du wirst gelegentlich von ihnen angesprochen, was normalerweise eher selten passiert, und man sieht den einen oder anderen sich munter einen am Bahnhof abreihern...Asiaten und Alkohol ist eben so eine Sache für sich.
    Am nächsten morgen ist natürlich alles wieder beim Alten. Die Eskapaden der Nacht sind vergessen, die Spuren beseitigt. Und das Spiel geht von neuem los.

    Doch das sind eigentlich nicht die Dinge, die uns an Tokyo am ehesten im Gedächtnis bleiben werden. Tokyo sollte nämlich unserer Meinung nach bei zwei ganz anderen Gruppen an allererster Stelle stehen: bei Shoppern und Feinschmeckern.

    In Tokyo verfällt selbst der größte Shoppingmuffel (zum Beispiel: ich) innerhalb kürzester Zeit in einen unbändigen Kaufrausch. Es gibt wortwörtlich Tausende von Geschäften und Shopping Malls, die nicht nur bekannte, sondern auch völlig neue Artikel führen - mal nützlich, mal ziemlich abgefahren Man könnte Monate mit Shopping verbringen und immer noch nicht alle Geschäfte gesehen haben und stets was Neues entdecken. In jedem der bekannten, inneren Stadtviertel Tokyos gibt es dichtgedrängt Mall an Mall, mehrere Stockwerke hoch, mit hunderten von Geschäften. Es ist der Wahnsinn.

    Das Essensangebot übertrifft aber sogar das noch. Es gibt in Tokyo 170.000 Restaurants, und da sind noch nicht einmal die ganzen StreetFood-Stände mit inbegriffen. Nirgends auf der Welt wurden mehr Michelin-Sterne als in Tokyo vergeben. Das japanische Streben nach Perfektion wird nirgends so deutlich spürbar wie bei der Speisenzubereitung. Japanisches Essen ist nämlich nicht bloß ein Fest für die Geschmacks-, sondern gleich für alle Sinne: Aussehen, Geruch, Tastsinn, Mouth-Feeling: alles soll maximal befriedigt werden - und fast immer wird es das auch.

    Wer hierbei nur an Sushi denkt, der irrt. Tempura, Sukiyaki, Shabu-Shabu, Teppanyaki, und noch viel mehr: die japanische Küche ist so lecker wie vielfältig. Und nicht nur einheimische Speisen sind besonders schmackhaft, auch im Kopieren westlicher Gerichte sind die Japaner große Meister: so haben wir den besten Burger unserer gesamten Reise nicht in den USA essen dürfen (und wir hatten einige sehr gute, das könnt ihr uns glauben!), sondern im Kua'aina Hawaii Burger in Odaiba (...und die besten Pommes gleich dazu).
    Ganz besonders haben es uns die japanischen Süßspeisen angetan. Nicht selten standen Kathrin und ich staunend und voller Ehrfurcht vor japanischen Nachspeisen, diese von allen Seiten bewundernd, bevor wir sie uns unter höchster Genugtuung einverleibt haben.

    Das Beste dabei: das Essen ist meistens mehr als bezahlbar. Die Ausgaben, die wir in den USA lediglich fürs Frühstück hatten, reichten uns hier für den ganzen Tag. Hotels sind in Tokyo nicht wirklich günstig, ganz besonders wenn du nicht in einer Sardinenbüchse übernachten willst. Das Essen allerdings ist es schon. Und es ist ein einziger Genuss.
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