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  • Day 74

    Kurzes Intermezzo: Geschichte Kambodscha

    March 20, 2019 in Cambodia ⋅ ⛅ 32 °C

    Ich weiss, ich bin etwas hinterher mit dem Schreiben, trotzdem möchte ich an dieser Stelle zuerst einen aktuellen Footprint einschieben.
    Nun, ich bin seit vorgestern in Kambodscha. Die letzten Tag waren etwas schwer.
    Ich war in Vietnam im Kriegsmuseum und gestern in Kambodscha bei den Killing Fields und dem Geozidmuseum/S- 21. Beides historische Ereignisse, die tragischer nicht sein können.
    Die Gedanken zum Museum in Vietnam werde ich in einem Footprint der letzten Tage festhalten, doch die, vom Genozid in Kambodscha, möchte ich jetzt gerne mit euch teilen.

    Wir schreiben das Jahr 1975. Die Truppen des Vietcong haben Kambodscha gerade verlassen und die Nachbeben des Vietnamkrieges sind am verbeben. Die Kambodschaner hoffen auf Frieden und ruhigere Zeiten.
    Es ist der 17. April Paul Pot, selber Kambodschaner und gebildeter Lehrer, trifft mit seinen Truppen (genannt die Roten Khmer) in Phnom Penh, der Hauptstadt von Kambodscha ein. Sie warnen die Bevölkerung von weiteren Bombadierungen und ordnen die Evakuierung an.
    Es soll nur für eine Dauer von drei Tagen sein, gaukeln sie der Bevölkerung vor. Die Städtler glauben ihnen und freuen sich auf ihre Rückkehr in wenigen Tagen. Sie denken in drei Tagen würde endgültig die Zeit des Friedens kommen und putzen sogar noch ihre Häuser.
    Niemand ahnt, dass dies ein ganz anderes Ende nehmen würde.
    Paul Pot nutzte nämlich die Gebrochenheit des Landes nach dem Krieg aus. Mit seinen Roten Khmer möchte er eine Vision durchsetzten. Seine Vision: der Kommunismus soll herrschen, eine neue Anordnung der Bevölkerung. Einen Neuanfang - das Jahr Null, nennt er es.
    Alle Gebildeten sollen schon bald festgenommen und später ausgelöscht werden. Bauern sollen an die Macht. Brillenträger gelten als verdächtig und werden ebenfalls zu Gefangenen. Familien werden getrennt. Trifft der Fall zu, dass eine Person aus der Familie umgebracht wird, so hat dies die Ermordung der ganzen Familie zur Folge, denn man möchte ja nicht das Risiko eingehen, dass sich jemand aus der Familie an den anderen Mitglieder rächen möchte.

    So fing Paul Pot am 17 April mit der Evakuierung und der Gefangenschaften von Verdächtigen an. Schnell artete es aus und innerhalb von wenigen Wochen stiegen die Zahlen an und an. Jeder schien verdächtig, bald gab keinen Platz mehr in den Gefängnissen. Die Gefangenschaft und Zwangsarbeit diente meist nur noch als Überbrückung zum Todesurteil. Durch die Zwangsarbeit, die langen Märsche von den Städten auf das Land und die Exekutionen wurde damals ein Viertel der Bevölkerung im Bürgerkrieg von 1975-1979 ausgelöscht.

    (Nur Lesen, wenn man das Ausmass der Brutalität erträgt) Was ich bei den Killing Fields und dem S-21 gesehen habe, verliert wirklich den Bezug zum Menschlichen.
    Angefangen beim Killing Tree, den es bei den Killing Fields zusehen gibt; bevor die Mütter hingerichtet wurden, nahm man ihnen die Babys weg und schlug sie vor ihren Augen an den Baum. Danach weinten sie nicht mehr.
    Es reiht sich Massengrab an Massengrab bei den Killing Fields.
    Ein anderer Baum, genannte der „Magic Tree“ diente dazu „Stimmung“ zu machen. „Musik damit das Arbeiten leichter fällt.“ Durch die Lautsprecher kamen Hymnen wie zu den Nazizeiten, dazu hörte man den ganzen Tag den Mähdrescher, was wirklich eine grausames Gemisch von Klängen ergab.
    Dieses Geräusch/ diese Musik wird dem Besucher durch den Audioguide abgespielt und verfehlt seinen Effekt nicht. Man hat das Gefühl, man ist wirklich da und es geht einem/respektive, ging mir, nahe.
    Im S-21 Gefängnis wird man dann noch weniger verschont. Der Besucher wird mit Unmengen von Bildern und Gesichter der Insassen konfrontiert. In ihren Augen kann man Angst, Abneigung und Leiden erkennen, bei Gewissen ist der Blick nur noch leer.
    Das S -21 Gefängnis war einst eine Schule, die nun umfunktioniert wurde. Turnstangen wurden als Foltergalgen gebraucht und Klassenzimmer zu Gefängniszellen umstrukturiert.
    Ich konnte die Gänge des Gefängnis nicht lange durchgehen. Bald überkam mich ein Gefühl der Enge und dass ich jeden Moment ebenfalls zur Gefangenen werden würde.
    Als die Herrschaft der Khmer 1979 beendet wurde, wurden noch 8 Gefolterte gefunden. Alle tot.
    Wenn man heute die ehemaligen Folterräume dieser acht betritt, findet man den Raum noch genau so vor wie damals. Nur befindet sich keine Leiche mehr darin, stattdessen hängt pro Raum ein grosses Foto von der Leiche und dem Zimmer, in dem Zustand, indem sie vorgefunden worden sind, an der Wand.

    Ihr merkt, es ist kein leichter Besuch. Das ist den Machern dieses Museums aber bewusst und so werden den Besuchern viel Möglichkeiten geboten, sich zu setzten oder Teile auszulassen. Am Schluss wird dazu ermutigt mit anderen über das Gesehne zu sprechen.( Was ich auch gemacht habe, da ich mit Pia und Michelle, den beiden Schweizerinnen, dort war. Dazu später.)

    Aber eben: Ich sitze nun im Bus von Phnom Penh nach Kampot und verarbeite die Bilder und das Erlebte der letzten Tage. Die Reise in die Vergangenheit von Kambodscha und Vietnam war bedrückend, doch auch interessant, und wichtig um ein besseres Verständnis für die Länder zu erlangen.
    Historisches Wissen und Kultur ist ein Teil des Reisens, der mir auch wichtig ist und den ich, auch wenn es teils noch so schrecklich ist, nicht missen möchte.
    Wenn ich nun aus dem Fenster des Bus blicke, sehe ich neben schönen Landschaften viele Baustellen und viel Abfall.
    Das Land versucht sich definitiv am Aufbau, hat aber noch einen weiten Weg zu gehen.
    Bedenkt man jedoch, dass die Gebildeten einer ganzen Generation ausgelöscht wurden und dass die schrecklichen Ereignisse nicht einmal 50 Jahre her sind, so finde ich es unglaublich, wie weit die Leute hier schon gekommen sind.
    Mein Aufenthalt hier hat gerade erst begonnen. Noch kann ich nichts über den Grad der Zerrissenheit der Menschen aussagen. Ich kann noch nichts darüber sagen, inwiefern die Vergangenheit ihr heutiges Leben beeinflusst. Und ich bin gespannt, ob ich das nach meinem Aufenthalt in Kambodscha kann.
    Was mir bereits aufgefallen ist(Villeicht stosse ich hier auch auf andere Meinung, aber das sind meinebisherigen Beobachtungen.), ist, dass die Bevölkerung hier trauriger wirkt als die in Vietnam.
    Es scheint als hätte Vietnam sich mit ihrem Schicksal auseinandergesetzt und den Blick nach vorne gerichtet, wobei Kambodscha noch immer zerrissen ist und noch nicht abschliessen/Friede finden, konnte.
    Auf jeden Fall denke ich ein Jeder betrachtet das Land mit anderen Augen nachdem er besser über das tragische Schicksal von Kambodscha Bescheid weiss.
    Wenn ich nun weiter aus dem Busfenster schaue und die Einheimischen beobachte, würde ich sie am liebsten umarmen, mein Mitgefühl für die schrecklichen Ereignisse ausdrücken, ihnen helfen und mehr über die Geschichten und Schicksale Einzelner erfahren.
    Vielleicht mag das mit dem Umarmen etc. merkwürdig rüberkommen, aber hat man einmal die Killing Fields oder das S - 21 gesehen, kann man mich, glaube ich, gut verstehen.

    Vielleicht fragt ihr euch jetzt auch, weshalb ich so genau über das Gesehene berichtet habe oder was dieser geschichtliche Kontext hier verloren hat. Die Schattenseiten gehören nunmal auch dazu.
    Für mich waren diese Besuche wertvoll. Sie gaben mir mehr Wissen über das Land, aber regten auch generell meine Gedanken an. Grundsatzfragen wie;
    Weshalb wusste keiner davon? Weshalb kann in unserer Welt immer wieder so etwas Schreckliches passieren? Und weshalb muss in manchen Fällen zuerst etwas so Tragisches passieren damit nachher eine Revolution zum Besseren stattfindet?
    Und die Frage, die mich auch beschäftigte;
    Wie ist es möglich, dass diese Leute, wie Paul Pot, seine Gefägnisdirektoren und alle Mitbeteiligen, nie genügend zur Rechenschaft gezogen werden?
    Denn beispielsweise Paul Pot, ob ihr s glaubt oder nicht, bekam nur Hausarrest und konnte noch ein glückliches Leben mit einer zweiten Frau leben, hatte Enkelkinder und starb mit 82 an Altersschwäche(Wobei über sein Tod dann doch unterschiedliche Informationen zu finden sind- trotzdem).
    Wo ist die Gerechtigkeit??
    Eine Frage, welche leider nicht mit einer befriedigenden Antwort kommt.
    Den Footprint abschliessen möchte ich noch mit dem Erwähnen des Mahnmals, das in der Mitte des S-21 steht. Es soll die Leute daran erinnern, achtsam zu sein. Achtsam zu sein, dass so etwas nicht noch einmal passiert. Ein Miteinander statt ein Gegeneinander.
    Um die Skulptur in der Mitte sind di Namen aller ehemaligen Insassen in den Stein graviert und am 20. Mai findet jeweils der Gedenktag statt. Kambodscha wird nicht vergessen, was am 17 April passierte.
    Als ich mir das Mahnmal angeschaut habe, haben daneben friedlich kambodschanische Kinder gespielt, was der beste Mittel ist, um es einem wieder etwas leichter um s Herz zu machen.

    Vielen Dank für s Lesen
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