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  • Day 62

    Das Grauen (Choeung Ek & Tuol Sleng)

    January 16, 2017 in Cambodia ⋅ ⛅ 27 °C

    Steffi brach am Morgen des dritten Tages in PP zu einem Wildlife-Sanctuary auf und so machte ich mich allein auf die "Hauptattraktion" der Stadt zu besichtigen: eine Tour zu den Stätten der schwärzesten Tage Kambodschas in den Herrschaftsjahren der Roten Khmer.

    Kurzer Geschichtsauszug:
    1975 putschten die Roten Khmer sich an die Macht und führten knapp vier Jahre lang eine Schreckensherrschaft in Kambodscha. Unter dem wahnsinnigen Anführer Pol Pot wollten sie einen Agrarkommunismus installieren und siedelten dazu sämtliche Bewohner der Großstädte (sogenannte "neue Menschen") in einer Nacht-und-Nebel-Aktion in ländliche Gebiete um. Das Heil lag in ihren Augen in harter Feldarbeit, wohingegen alle Anhänger moderner Errungenschaften (Bildung allgemein) ein unrechtes Leben führten. Feind der "Organisation" ("Angka") waren generell die neuen Menschen: größtenteils Akademiker und der vormalige Staatsapparat. Angehörige dieser Gruppen wurden unerbittlich verfolgt, gefoltert und auf sogenannten "Killing Fields" ermordet. Mithilfe brutalst agierender, ergebener (Kinder)-Soldaten (ungebildete Landbevölkerung; "alte Menschen") setzte Pol Pot seine Propaganda um und beging so Völkermord am eigenen Volk. Es starben binnen weniger Jahre mehr als zwei Millionen Kambodschaner (ein Viertel der Gesamtbevölkerung).

    Mit schon flauem Gefühl im Magen ließ ich mich per Tuk-Tuk zu Choeung Ek fahren, dem bekanntesten und größten Killing Field vor den Toren PPs (in ganz Kambodscha soll es hunderte davon geben, manche bis heute unentdeckt). Die dortige Gedenkstätte ist um die Massengräbern der organisiert ermordeten Häftlinge des Foltergefängnisses Tuol Sleng errichtet (ähnlich der KZ-Gedenkstätten).

    Ein hervorragend gestalteter Audio-Guide führte mich auf dem Arreal herum: Angefangen bei den nur noch als Grashügel erkennbaren Massengräbern (Bild 1) über die mit den sterblichen Überresten der Ermordeten gefüllte Gedenkstupa (Bilder 2-4) hin zu besonders grauenerregenden Tatorten wie dem "Killing Tree" (Bild 5).

    Insgesamt kamen auf diesem Feld mehr als 17.000 Menschen um. Die roten Khmer töteten dabei systematisch immer die gesamte Familie des "Verräters" - auch Frauen und (Klein-)Kinder - damit sich später niemand rächen konnte. Gemordet wurde immer nachts, zu lauter Propagandamusik (damit Anwohner und neu angelieferte Gefangene die Schreie nicht hörten) und mit Hiebwaffen (Messer, Äxte, Eisenstangen, etc.), um Munition zu sparen. Am Killing Tree wurden Kleinkinder erschlagen - an den Füßen gehalten mit dem Kopf gegen den Baum.

    Es fiel mir wahrlich nicht leicht allen Gräultaten zuzuhören und dabei neben teils ungeborgenen Gräbern vorbeizulaufen, an denen starke Regengüsse immer wieder (klar sichtbar) Knochen freilegen, die nur quartalsweise eingesammelt und in die Gedenkstupa gebracht werden.

    Die zweite angesteuerte Station war die mittlerweile als Unesco-Kulturerbe gekennzeichnete Gedenkstätte Tuol Sleng oder auch "Sicherheitsgefängnis 21" (S21, Bild 6). Dieser vormalige Schulkomplex wurde unter Pol Pot als Gefängnis für Regimegegner genutzt, in dem unter Folter Geständnisse erpresst wurden. Hatten die Insassen nach teils wochenlanger perfider Quälerei meist vollkommen irrsinnige (unwahre und erfundene) Taten gestanden, wurden sie mitsamt Familie zur Tötung nach Choeung Ek verfrachtet.

    Um nach S21 zu gelangen reichte der geringste Verdacht eines Verrates an der "Organisation" (z.B. Nichterreichen vollkommen überzogener Reisernte-Vorgaben), höhere Bildung (wobei schon das Sprechen einer zweiten Sprache oder das Tragen einer Brille einen des Betreffs "verriet") oder das Anschwärzen eines Nachbarn. So vernichteten die Roten Khmer unter Führung des S21-Gefängnisaufsehers Duch die geistige Elite des Landes und später auch wahllos ehemalige Anhänger der roten Revolution, also quasi eigene Leute, die sich (ausgedachten) Verrates à la "absichtlich zu viel Stoff für Schneiderarbeiten benutzen" oder "Verbindung zur CIA" schuldig gemacht hatten. Von tausenden Insassen überlebten nur rund ein Dutzend.

    Die Eindrücke des Tages waren einfach nur grauenerregend und gingen mir durch Mark und Bein. Aber wer das moderne Kambodscha verstehen und nicht nur "Friede-Freude-Eierkuchen-Tourismus" betreiben will, muss sich diesen Abgründen stellen. Um Völkermord zu verhindern hilft nur Bildung, Aufklärung und Erinnerung.
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