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  • Day 3

    Beschwerliches Feuerland

    November 3, 2017 in Chile ⋅ ⛅ 9 °C

    Der weitere Weg führte uns nun nach Porvenir. Noch auf dem Schiff liefen wir zufällig einem local guide in die Arme, der gerade von Feuerland und der chilenischen Geschichte erzählte. Zu meiner Freude nicht auf Spanisch, sondern Deutsch. Wir gesellten uns dazu und erfuhren von einer Pinguinkolonie etwa 120 Kilometer von Porvenir entfernt. Diese Information sollte unseren Tag bestimmen.
    Nachdem wir am Hafen anlandeten, schlüpften wir in unsere Wanderkleidung und starteten die wenigen Kilometer in Richtung Ortskern. Weit kamen wir nicht, denn ehe wir uns versahen, hielt eine freundliche Chilenin mit ihrem Auto und nahm uns die vier Kilometer mit. Sie erzählte ein wenig mit Josephin und ich schaute aus dem Fenster, ohne auch nur einen Schimmer zu haben, um was es ging.
    Porvenir stellte sich als schmuckloses Dorf heraus, nicht sehr groß und nicht sehr schön. Ein paar Hotels, ein Hostel, einige Restaurants und Minimärkte machen es zu einem lokalen Hotspot.
    Von den Pinguinen geblendet und von Porvenir erschlagen war der Plan des Tages klar: wir wollten die Tierchen besuchen und dorthin wandern und trampen.
    Ich muss an dieser Stelle einen Reiseratschlag verifizieren, den ich etwas stiefmütterlich behandelt habe: es kommt im Rucksack auf jedes Gramm an. Nach nur wenigen Kilometern meldeten sich meine Beine zu Wort und waren von ihrem bisherigen Trainingsstand nicht begeistert. Josephin litt mit, hatte aber keine Gnade. Es ging also weiter.
    Unser Weg kreuzte Scharen von frei lebenden Lamas, die am Wegesrand standen und uns fragend anblickten. Es schien für sie kein alltäglicher Anblick, zwei aufgeweckten Wandersleut zu begegnen.
    In der Zwischenzeit streckten wir hie und da unsere Daumen raus und baten um eine Mitnahme. Viele Möglichkeiten gab es nicht, die geschotterte „Hauptstraße“ ist nur spärlich befahren. Warum, das sollte uns erst später klar werden.
    Ein Großgrundbesitzer hielt an und lallte etwas auf einer mir unverständlichen Sprache. Josephin antwortete. Er erzählte, er sei Besitzer der Tiere in dem Bereich, so weit das Auge reiche. Also setzen wir uns dazu und gingen mit ihm auf die Jagd nach entlaufenen Schafen und Kühen. Nachdem wir gemeinsam ein Duzend Tiere von der Straße und dem nahenden Unfalltod bewahrt hatten, drehte der Viehhirte um und überlies uns unserem Schicksal. Es ging zu Fuß weiter. Die Landschaft und das Meer zeigten sich von ihren schönsten Seiten und wir genossen die Einsamkeit in dieser Umgebung.
    Noch drei mal wurden wir mitgenommen. Von einem Taxi (auf der Fahrt zu einem Kunden mitten in der Pampa), einem LKW (auf der Ladefläche mit leeren Düngemittelkanistern) und schließlich mit einem Pick-Up.
    Wir baten um die Mitnahme zur nächsten Stadt, die auf der Karte markiert war. Der Fahrer schien zu verstehen und die wilde Fahrt ging los, ganze 55 Kilometer auf der Ladefläche. Eine Wohltat für unsere geschundenen Füße.
    Am Chilenisch-argentinischen Grenzposten wollte er uns rauswerfen und deutete den Weg nach Argentinien. Wir mussten uns missverstanden haben, uns war nach etwas zu Essen und der nächsten Stadt bei den Pinguinen. „Pinguïnos“ brachte ich hervor und meine erste spanische Konversation war perfekt. Es ging weiter.
    Nach 15 Kilometern hielten wir. Weit und breit keine Pinguine und noch viel schlimmer: Keine Stadt.
    Wir wurden abgesetzt und der Pick-Up fuhr ohne uns weiter. So standen wir vor dem verschlossenen Eingang der Pinguinkolonie, es war mittlerweile lange nach Ladenschluss und es begann zu dämmern. Aber nicht nur dem Himmel dämmerte es, uns auch. Wir waren in einer gottverlassenen Gegend am Abend ohne Aussicht auf Rettung abgesetzt worden. Die vermeintliche Stadt schien in der vorgestellten Form nicht zu existieren und die Straße keine Fahrzeuge mehr hervorzubringen.
    Ein Plan musste her. Wir schlugen unser Zelt neben einer Düne auf und stellten uns auf eine Nacht unter freiem Himmel ein.
    Doch auch hier meinte es das Schicksal nicht gut mit uns. Eine aufziehende Brise machte Zelten unmöglich, zu groß war das Risiko des Totalverlustes unserer mobilen vier Wände. Kommando zurück, alles auf Anfang.
    Ein Dröhnen mischte sich plötzlich in die recht windige Szenerie und ein LKW fuhr heran. Wir setzen auf Altbewährtes und hielten erneut unsere Daumen raus. Es klappte. Der Fahrer hielt.
    Zu unserem Leidwesen musste Jose hören, dass es hier tatsächlich keine Stadt gab. Die zwei nächstgelegenen Dörfer nannten sich San Sébastian und: Porvenir. Ah. Unsere Karte führte uns in die Irre und benannte den Grenzposten, aber keine Stadt. Dieser Posten sei unsere einzige Chance, so der Fahrer. Er würde aber in einer Stunde schließen.
    Wir liefen also den Weg wieder in die entgegengesetzte Richtung, so schnell es unsere Beine zuließen.
    15 Kilometer mit gefühlten 100 Kilo auf dem Rücken bei Einbruch der Dunkelheit in einer Stunde war eine optimistische Schätzung. Pessimismus machte sich breit und wich dem Realismus.
    Die Uhr schlug zehn, wir setzen unsere Stirnlampen auf und suchten Windschatten in den Dünen. In voller Montur legten wir uns in den Schlafsack. Es war uns nach einer Mütze Schlaf.
    Die Nacht war ungemütlich, windig und sternenklar.
    Der Morgen graute und ein Blick auf die Uhr verriet, dass es Zeit zum Aufstehen war.
    Wir wollten an unserem Plan von letzter Nacht festhalten und am Grenzposten versuchten eine Mitfahrgelegenheit und etwas Wasser zu ergattern.
    Nach etwa einer Stunde Wanderung in Richtung Grenzposten (den wir natürlich nicht fanden) sahen wir in der Ferne einen Bus auf uns zukommen. Mit dem Daumen hielten wir ihn an und endlich hatten wir auch ein wenig Glück. Der Bus mit einer chilenischen Reisegruppe nahm uns bereitwillig an Bord, versorgte uns mit Doppelkeksen, einer Menge spanischer Musik und Gesang und einer Fahrt über 110 Kilometer nach Porvenir, der Ausgangsstadt unseres Abenteuers.
    Ich war heilfroh, eine Reihe Häuser mit geteerter Straße zu sehen. Wir waren da, am Ort unserer Träume. Plötzlich gar nicht mehr so hässlich, nahm sie uns trotz unserer abwertenden Worte am Tag davor auf und bot uns ein Bett, etwas zu Essen und Ruhe.
    Wir entspannen uns nun ein wenig und geloben eine bessere Planung für die kommenden Tage.
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