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  • Day 98

    Eine wahrhaftige Farm Experience

    February 2, 2018 in New Zealand ⋅ 🌙 18 °C

    Da alle guten Dinge drei sind, begaben wir uns am 16. Januar zu unserer neuen WWOOFing Stelle auf Greg und Sue Rines Schaf- und Rinderfarm, die in der Nähe von Stratford auf einem Hügel mit Blick auf einen gigantischen Vulkan namens Mount Taranaki gelegen ist. Was wir dort in den letzten zwei Wochen erlebten, war für uns eine vielleicht einmalige oder hoffentlich nur erstmalige Erfahrung, denn die beiden leben so weit wie möglich selbstversorgend. Ihre Energie beziehen sie größtenteils aus Wind und Sonne und das Leitungswasser ist Regenwasser, das in großen Tanks gesammelt und zum Abwaschen oder Duschen mit Feuer erhitzt wird. Frisches Obst und Gemüse ernten sie aus den eigens von Sue angelegten Gemüsebeeten und dem Food Forest, einem kleinen Wald mit allerlei essbaren Pflanzen, der den Stockwerkaufbau des natürlichen Ökosystems Wald imitiert und gleichzeitig einige Hühner und Meerschweinchen beherbergt. Die Idee des Food Forests entstammt dem Konzept der Permakultur, das in Sue eine begeisterte Anhängerin gefunden hat und in Neuseeland allgemein immer mehr an Popularität gewinnt. Grob gesagt zielt dieses Konzept auf die Erschaffung von nachhaltigen Kreisläufen, die sich an der Natur orientieren und auch oder vor allem auf lange Sicht effizient sind, ab. Es wird folglich versucht, alles zu verwerten, auch, was anderswo als Abfall gelten würde. Einige Dinge wie zum Beispiel die Wanne, in der Sue Würmer züchtet, Schweineblut im Auflauf und die Komposttoilette im Haus erschienen uns zuerst etwas befremdlich, doch man gewöhnte sich schnell daran und fragte sich dann wieso eigentlich. Sue ergänzte nämlich, dass alles bei der Denkweise anfange und ich denke damit liegt sie sehr richtig. Nur, weil diese Lebensweise hier ganz anders ist als die zu Hause, die einem irgendwie immer wie der Standard vorkam, weil man es nicht anders kannte, muss sie ja keinesfalls schlechter sein. Eher das Gegenteil ist der Fall: Ökologisch gesehen ist Greg und Sues Lebensweise unserer sicherlich in vielen Aspekten überlegen und hat man erst einmal seine Denkweise geändert, hat man vielleicht mehr Möglichkeiten seine Lebensweise dementsprechend mit zu verändern als man eigentlich denkt.
    Unsere Unterkunft, die wir mit unserem schwedischen Mitfreiwilligen, Henrik, teilten, war eine noch etwas weiter oben auf dem Hügel neben dem Eselgehege platzierte Hütte ohne Strom und mit ausgelagerter Komposttoilette. Ein abendlicher Toilettengang wurde also zu einem abenteuerlichen Waldspaziergang mit Kopflampe, der einem Horrorfilm würdig gewesen wäre. Im Kerzenschein fühlte man sich wie in ein anderes Jahrhundert zurückversetzt und wie so häufig merkte man erst in deren Abwesenheit, was für ein Luxus Elektrizität und warmes Wasser eigentlich sind.
    Die Arbeit fühlte sich gar nicht wie Arbeit, sondern vielmehr wie Lernen an, da Sue die meiste Zeit half und alles erklärte und es zwischendurch immer mindestens zwei Teepausen gab. Jeden Morgen fütterten wir die Gänse, Truthähne, Hühner und Enten und sammelten die Eier der beiden letzteren ein. Danach gab es immer etwas anderes zu tun: Wir buken Brot und Müsli, stellten Seife her, jäteten Unkraut, bepflanzten Saatkästen, stutzten Bäume, putzten Gehege, das Nutzfahrzeug und hier und da mal ein wenig im Haus, versuchten die Hufe der Esel zu stutzen, die aber sprichwörtlich stur wie Esel waren und halfen Sue und dem Farmhund Turbo, der seinem Namen alle Ehre macht, Schafe und Rinder auf andere Weiden zu treiben. Einige Aufgaben wie das Auseinanderschneiden von Schweineköpfen und das Rupfen von Hühnern und Truthähnen bei Countrymusik waren zwar anatomisch gesehen vielleicht ganz interessant, ließen meinen Kindheitstraum von einem Bauernhof aber endgültig der Vergangenheit angehören, da ich so etwas nie wieder machen möchte. Umso schöner war es, dass wir am Tag nach dem, an dem wir zugesehen hatten wie Leben durch einen Axthieb endeten, überraschend neues Leben in Form von elf winzigen, flauschigen Küken fanden, die wir sogleich in ein kleines Hühnerhaus und damit in Sicherheit brachten. Obwohl wir es nur gut meinten, forderte die Henne uns daraufhin in der Hühnersprache, die wir bei der Gelegenheit ein wenig kennenlernten, vehement dazu auf, zu verschwinden und befahl ihren Küken durch gurrende Laute, unter ihre Flügel zu schlüpfen.
    Greg und Sue trugen Sorge dafür, dass wir auch in unserer Freizeit Land und Leute kennenlernten. Sue nahm uns eines Morgens mit zu einem Crop Swap in Stratford, einer von Farmern organisierten Tauschveranstaltung, zu der jeder eigene Erzeugnisse mitbringt und dafür welche der anderen mitnehmen darf. Es war schön zu sehen, dass die Farmer sich gegenseitig so gut unterstützen und nach dem Startschuss ausnahmslos respekt- und rücksichtsvoll blieben. An unserem Tag in Stratford sahen wir außerdem das bekannte Glockenspiel und eine Kunstausstellung, die sich kritisch mit dem Weltgeschehen und der Gesellschaft der letzten zwanzig Jahre auseinandersetzt, bevor wir uns abends mit Greg und Sue zum Sommerfest mit Musik- und Comedyprogramm der Topp Twins, zwei mit Süßigkeiten um sich werfenden, singenden und tanzenden Seniorinnen, im Park trafen. Damit wir dort durch den Wald und zu steinernen Becken mit natürlicher Wasserrutsche, die von den Einheimischen aufgrund des heißen Sommertages wie eine Badeanstalt genutzt wurden, wandern konnten, fuhr Sue uns an einem Tag sogar zum Mount Taranaki. Außerdem verbrachten wir zwischendurch zwei Tage in New Plymouth, wo wir uns aufgrund der Hitze hauptsächlich im Park und am Wasser aufhielten und abends das Lichterfest im Park besuchten. Die schönsten Lichter, die ich an dem Abend sah, waren aber die der in Neuseeland heimischen Glühwürmchen, die wir auf dem Rückweg zum Hostel im Gebüsch entdeckten. Die letzten paar Tage auf der Farm, die zu den heißesten des bisherigen Sommers zählten, mussten wir ohne Henrik auskommen, da er nicht wieder mit zurück zur Farm kam sondern gleich von New Plymouth aus weiterreiste.
    Der Aufenthalt bei diesen beiden gutherzigen und klugen Menschen, die überzeugt und leidenschaftlich ihren Lebensstil führen, war eine wahre Inspiration, hat zum Nachdenken angeregt und mir viele Anreize für mein Leben nach der Neuseelandreise gegeben.
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