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  • Day 12

    Tag 10: Von Reinbek nach Lauenburg

    April 19, 2022 in Germany ⋅ ☀️ 12 °C

    Die kommende Nacht werde ich doch tatsächlich auf dem Wasser verbringen! Ich hab mir einfach ein Boot gemietet und das Heck mit seinem schönen Sitzplatz erst verlassen, als die letzten Sonnenstrahlen verschwunden waren. Dabei merke ich, wie ich immer mehr loslasse und nicht ständig über irgend etwas nachdenke. Es tut so gut, einfach mal wirklich nichts zu tun.
    Das Boot ist wohl schon älter, aber es ist sehr urig und supergemütlich hier an Bord und dank Dieselheizung ist es auch kuschelig warm.

    Und ich hatte wieder einen superschönen Tag. Gestern abend ist es bei Sekt und viel Spaß verdammt spät mit meiner Tante Antje geworden und so komm ich heute morgen nur trödelig in die Puschen.
    Von Reinbek ist es durch die Marschlande nicht allzu weit bis an die Elbe, die ich bei dem kleinen Ort Howe erreiche. Dort erreiche ich auch die Vierlande, deren Obst und Gemüse schon seit Jahrhunderten auf den Hamburger Märkten verkauft werden. Auch soll der Blutegelhandel im 19. Jahrhundert ein wichtiger Erwerbszweig gewesen sein....Als ich beim Zollenspieker Fährhaus auf die Elbfähre warte, komme ich mit einem älteren Ehepaar ins Gespräch. Ist schon irre, was es für nette und spontane Menschen gibt. Als ich ihnen erzähle, dass ich keine festen Etappen geplant und keine Unterkünfte gebucht habe, laden sie mich gleich zu sich nach Hause in die Lüneburger Heide ein. Leider führt mein Weg dann dort doch nicht entlang....
    Auf dem Westufer der Elbe fahre ich kilometerlang am Deich entlang und habe wunderschöne Ausblicke auf den hier schon sehr breiten Strom. Auch die ersten Elbstrände sind zu sehen und die Gezeiten sind bis hier sichtbar. So gibt es tatsächlich Bereiche mit Watt! Dann entdecke ich auf den Dächern der alten aus Backstein erbauten und mit Reet gedeckten Gehöfte gefühlt Unmengen an Storchennestern. Und was ist da los! Immer wieder kann ich an- und abfliegende Störche beobachten, die ganz sanft und ohne Geräusche durch die Luft gleiten. Und im Vorbeifahren erfährt man sogar, wieviele Jungvögel in den letzten Jahren in dem Horst großgezogen wurden, so 2 bis 3 waren es demnach immer.
    Aber nicht nur über die Störche und die vielen anderen Vögel der Elbmarsch wird man informiert sondern auch über die Besonderheiten der Landschaft, so auch über die Auwälder. Das sind spezielle Überschwemmungsgebiete, die, wie leider so vieles, zu den besonders bedrohten Lebensräumen gehören. Während ich so vor einem Hartholzauwald stehe und die urwaldähnliche Landschaft entdecke, werde ich von einer alten Frau angesprochen, genauer gesagt von hinten beschallt: Der Wald gehe sowieso kaputt, von dem sei beim nächsten Sturm nichts mehr da. Und wer weiß, wann sie noch da sei, immerhin sei sie schon 88. Kurz bevor die Grenze geschlossen worden sei, sei sie in die Elbmarsch gekommen. Mit 14 habe dann ihre Mutter zu ihr gesagt: "Nix mehr Schule, jetzt wird gearbeitet". 1958 habe sie dann geheiratet und sei schwanger geworden. Ihr Mann habe aber keine Kinder gewollt, "aber was steckt er dann sein Ding auch bei mir rein..". Tot sei er seit vielen Jahren auch schon, "war wohl die Strafe Gottes".... Mir gelingt es nur bedingt, charmant weiterzukommen, irgendwie tut mir die alte Frau auch Leid. Was muss sie für ein Leben gehabt haben!
    In einem Waldgebiet kurz vor Lauenburg, in Tesperhude, fahre ich einem Hinweis zu einem "Totenhaus" nach. Tatsächlich ist es eine 3200 Jahre alte Grabanlage einer Frau mit einem Kleinkind. Spannend ist, dass es zu dem Grab eine mündliche Überlieferung gibt, die als älteste zuverlässig bewiesene Sage in Mitteleuropa gilt: "In disen Barg liggt een Scheiterhupen. Door hebbt in olen Tiden grote Füer brennt." Als Beleg gelten entsprechende archäologische Funde.
    Bevor ich dann mein Boot aufsuche, schlendere ich noch durch die wunderschöne mittalterliche Altstadt Lauenburgs und bewundere die Skulptur des Rufers - am Ufer der Elbe.
    Jetzt freue ich mich auf eine sanft schaukelnde, vom leisen Elbplätschern begleitete Nacht...
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