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  • Der Fürst und der Zaunkönig

    September 15, 2020 in Liechtenstein ⋅ ☀️ 20 °C

    Gestern Abend habe ich einen Zwischenstop in Lindau gemacht. Erstmal die Hände in den Bodensee stecken und den Sonnenuntergang genießen. Mein erster Eindruck, während die Altstadt auch bei Nacht zum bummeln einlädt sind ringsum alle Läden schon ab 20 Uhr geschlossen. Willkommen im Nirgendwo. Keine Supermärkte, keine Tankstellen, nicht einmal mehr der Dönerladen um die Ecke. Auch wenn ich mich nicht wie gewollt für die nächsten Tage nocheinmal bevorraten kann gibt es erstmal gute Hausmannskost aus dem Camping-kocher. Nebenbei erwähnt riecht man in jeder Gasse dass Cannabis und andere Grassorten gerade stark in Mode sind. Gedanken an die Gute Zeit in Kanada kommen auf. Auch wenn ich selbst nicht rauche assozieiert dieser Geruch Fernweh in mir. Also ab über die Grenze zu den Nachbarn in die Schweiz und nach Liechtenstein.
    Während ich in Österreich immer meine liebe Not habe die Schilder zu Ende zu lesen bevor ich in der Sackgasse lande (oder ungewollt in einer Fußgängerzone mit mehr Blitzern wie Anwohnern) werde ich in Liechtenstein fürstlich begrüßt. Um Mitternacht ähneln all die Serpentinen einer voll ausgeleuchteten Rennbahn ganz für mich allein. :) Nur geht es eher sehr schleppend anstatt sportlich bergauf und zugegeben will man hier auch keinen Gegenverkehr haben denn FastSchweizer bauen ihre Straßen nicht breiter nur weil sie noch mehr ProKopf-Einkommen haben als die wirklichen Schweizer.

    In Gaflei endet der Weg. Das letzte Trinkwasser vor dem Gipfel. Von hier an beginnt früh am Morgen der Fürstensteig. Aus dem Einwandern wird ziemlich schnell 'steigen'. Das kleine Fürstentum bietet von allem reichlich. Während untem im Tal der Rhein fließt und mit ihm Wein, Kunst und bei Nacht ein Lichtermeer bis an den Bodensee, genießt man hier oben die Ruhe. Noch haben die ersten Busse keine Wanderer ausgekippt die zum zehn Minuten entfernten Aussichtsturm laufen. In den Morgenstunden spendet der Klettersteig reichlich Schatten und all die Anstrengung ist nur halb so strapaziös. Als Mensch wirkt man in dieser Wand wie eine Ameise. Rechts geht es fünfhundert Meter senkrecht hoch und links gut eintausend senkrecht hinunter. Immer wieder führt der Steig über schmale Brücken, an Seilen die man lieber auch benutzen sollte und über Geröllhalden. Der Blick schweift immer wieder grandios ins Tal. Von hier oben überblicke ich das gesamte Fürstentum. Oben auf der Gafleispitz erreiche ich den höchsten Punkt von Liechtenstein und fühle mich wie der König persönlich als ich mich ins Gipfelbuch eintrage. Ein Herr aus Baden-Würtemberg meinte dieser Steig war noch vor 30 Jahren gelinde halsbrecherisch und unpassierbar. Heute geht es aber es gibt eben kaum Sicherungen und er ist steil.
    Der Weg führt weiter entlang dem Gipfelgrat zu den Drei Schwestern nach Österreich. Dort bessert man gerade nach. Für die Bauarbeiter bei strahlendem Sonnenschein sicher kein schlechter Arbeitsplatz. Schweißgebadet hocken sie nahe dem Gipfel mit Bohrmaschine und Komponentenkleber. Doch bei so viel Steigeisen, Betontreppen und Seilen will ich gleich zurück in die Schweiz. Es zeigt mir wie schnell die Alpen ihre Natürlichkeit verlieren können. Beim Abstieg treffe ich Mario. Er ist Journalist und waschechter Liechtensteiner. Wir Reden über alles und jeden, über die Welt und ihre Ungerechtigkeit. Er hält viel auf die Europäische Union und ihre Friedensfunktion. Dennoch ist er froh selbst nicht Teil der EU zu sein. Ich fühle mich wie in einem Dejavue mit den Luxemburgern. Die Friedliebenden befürworten das Grundkonzept der EU, was sich daraus entwickelt hat möchte heute jedoch keiner kommentieren. Politik eben. Er ist überascht und zugleich hoch erfreut dass jemand der sein Erstes Mal in Liechtenstein ist nicht allein wegen der Kunst oder dem Geld hierher kommt. Es ist einfach auch ein schöner Flecken Erde. Besonders von oben.
    Mit dem Abend vergoldet mir die Sonne den Tag im Fürstentum dann aber auch noch. Die Berge für einen kurzen Moment in Flammen und der Himmel überzogen von gestrickten Teppich goldgelber Wolken. Liechtenstein lohnt sich!
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