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  • Der Steinsammler

    September 18, 2020 in Switzerland ⋅ ☀️ 12 °C

    "Der Weg ist das Ziel" habe ich eigentlich auf allen meinen Reisen verinnerlicht. Heute habe ich jedoch nur noch ein Ziel. Stempel sammeln - und Steine. Doch dafür bin ich spät dran. Mein Weg führt über viele Kilometer durch die alten Dorfkerne nach Reckingen. In Niederwald ist ein guter Ort für die nächste Pause. Ein Rundweg lädt auf den Spuren von Cesar Ritz ein. Vom Niederwäldler zum Hotelmillionär in einem Leben. Seinem Dorf ist er stets ein bisschen treu geblieben. Und so führt auch die Radstrecke nicht durch den Fußweg des Dorfes, nein man wird seit jeher Verkehrstechnisch umgeleitet. Hinter dem Dorf muss man das Rad vom Feldweg querfeldein durch die Kuhweide bergauf schleppen um auf dem Radweg weiter zu kommen. So viel Macht eines Hoteliers auf Ruhe muss schon sein... Endlose zehn Kilometer steil bergauf. Oben Bellwald, der letzte Stempel, der letzte grandiose Ausblick über das Wallis auf meiner Radrunde. Mittlerweile ist es schon Abends halb sieben Uhr. Eigentlich wollte ich zum Kaffeetrinken eine heiße Schokolade zu Ehren meiner Steinsammlung trinken. Meine Steinsammlung, das sind mittlerweile drei. Das sind jedes Mal 4000-5000 Höhenmeter an zwei Tagen, das sind Zähne die knirschen, das sind Momente in denen ich mich Frage warum ich das eigentlich schon wieder tue. Und das ist dieses überwältigende Glücksgefühl etwas zu Ende gebracht zu haben und dabei jede Menge Eindrücke für die Ewigkeit mitzunehmen. Eigentlich falle ich nur noch auf meine Matratze und schlafe ein...
    Mit dem Sonnenaufgang verlasse ich das Wallis am nächsten Morgen wieder in Richtung Furkapass. Ich muss den Heimweg antreten. Auf dem Pass treffe ich Adrian Spannagel. "Auf welchen Gipfel möchtest du heute?" Lächelnd meint er nur - Ich will nicht hoch, ich will runter! Ich werde stutzig. Warum fährt jemand hoch auf den Pass, lässt sein Auto da stehen und läuft dann runter ins Tal? Gleich entwickelt sich ein wunderbares Gespräch über Motive in die Berge zu Reisen, über Kameras und über seine Bucket-List als Fotograf. Das ist so etwas wie eine Liste der Orte die man selbst im Leben einmal besucht haben will, oder der Motive die man einmal im Leben fotografiert haben will. Er zeigt mir ein Foto von vorgestern im Gotthartmassiv. Über den Gipfeln thront die Milchstraße. Ein Bild, wie ich es in Europa nie erwartet hätte. Der Sternenhimmel ist alles andere als leer. Heute möchte er zum Bahngleis der Furkabahn. Eine Dampflock will er fotografieren. Die Furkabahn fährt noch heute als Zahnradbahn durch den Pass und bringt sechs Mal am Tag einen Autozug über den Berg. Die bequeme Art des Reisens. Doch Bequemlichkeit ist bekanntlich purer Hohn wenn man etwas erleben möchte.
    Wenn ich schon auf dem Rad gerade keine Lust mehr zu strampeln habe kann ich wenigsten ein paar Stündchen wandern gehen. Auf der Karte liegt gleich nebenan das kleine und das große Furkahorn. So ein Spaziergang zum Auswandern quasi - und zum Gletscher gucken. Ein Tag ohne Auslauf ist wie ein Tag ohne Lächeln! Eigentlich hätte ich es aus den letzten zwei Tagen besser wissen müssen. Das Profil trügt in den Alpen. Meist sind sie steiler und steiniger als sie von unten aussehen. Stein um Stein beiße ich mich durch. Bis ich oben ankomme treffe ich noch einige Wanderer. Manche haben in dieser Woche trotz des schönen Wetters schon den zweiten Anlauf auf den Gipfel. Andere raten mir umzukehren. Runter sei viel leichter wie rauf. Ha-ha! Nach gut zwei Stunden bin ich die gut sechshundert Höhenmeter vom Pass oben auf 3046m. Für Europa ist das schon zeimlich weit oben! Der Blick schweift, der Gletscher liegt weit unter mir. Hautnah kann ich miterleben wie das Glück unfassbar groß wird. Schön dass ich das noch erleben darf. Als ob mir die Mutter Natur herzlichen Glückwunsch sagen will zeigt sich zum Abschluss ein majestätischer Steinbock. Genussvoll und kein bisschen hektisch klettert er 15m neben mir auf den Berg. Seine Hörner zeigen mir, dass er nicht mehr der Jüngste ist und geprägt von vielen Strapazen. Doch er wird nie aufhören umherzustreifen so lange es etwas zu erkunden gibt. Ebenso wie ich. Auf meiner persönlichen Bucket-list kann ich heute jedenfalls wieder zwei Haken setzen.
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