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  • Day 44

    Ich sehe einen Hügel! (Monte vi eu)

    February 21, 2019 in Uruguay ⋅ ☀️ 32 °C

    Stadtkoller. Nach gut einem Monat Hardcore-Grossstadtleben, sehnen wir uns nach Natur, guter Luft und Ruhe. (So erwachsen...) Deshalb haben wir uns wahnsinnig auf unsere Uruguaywoche gefreut, welche wir schon aus der Schweiz gebucht hatten.
    Nach einem ähnlichen Prozedere wie am Flughafen suchen wir uns ein Plätzchen auf der riesigen Fähre, welche uns in 2h über den Rio de la Plata nach Colonia del Sacramento bringt. Kaum ausgestiegen (Gepäck deponiert und Busfahrt nach Montevideo organisiert), bemerken wir, dass das ständige Grosstadtverkehrsrauschen fehlt, plötzlich Lu(s/f)t zum Atmen auftaucht und riesige Bäume und gesunde Vögel die Strassen säumen. Colonia del Sacramento, ein UNESCO Weltkulturerbe, ist ein sehr romantisches kleines Städtchen. Da Alain immer nach dem Meer durstet, suchen wir gleich die Strandpromenade auf und sind vor lauter guter Luft und kitschigen Meeresausblick noch ein bisschen verliebter. Endlich kann Alain zu den Fischchen ins Wasser und ich habe derweil zu meinem glücklichen Glück einen Kolibri entdeckt. (Ich liebe Kolibris!) Vom Leuchtturm aus geniessen wir den idyllischen Sonnenuntergang mit Sicht auf Buenos Aires in der Ferne.

    Unser uruguayanisches AirBnB-Zimmer liegt in Montevideo, 3h Fahrt entfernt in einem zu stark klimatisierten Bus. Wir teilen die Wohnung mit dem Vermieter. Meine Vorfreude auf Uruguay wird jäh gedämpft als ich am nächsten Morgen mit mühsamen Grippesymptomen verwache. So verbringe ich die folgenden zwei Tage vor allem im Bett, während Alain alleine die Stadt erkundet, beziehungsweise die Strände. Nachdem Alain dreimal schwimmen war, erfahren wir im Fernsehen, dass das Meer teilweise von Cyanobakterien befallen ist und fürs Baden ungeeignet sei. (Wie unfair, dass trotzdem ich die Kranke war.) Später sehen wir auch grünliche Strände mit toten Fischen...

    Bei jeder Taxifahrt liegt mir Alain in den Ohren, was für ein genialer und viel besserer Taxifahrer er selber wäre. Nun haben wir entschieden ein Auto zu mieten, damit wir ein bisschen herumkommen und Alains Bedürfnis nach Autöli-fahre gestillt wird. Wir fahren zum zwei Stunden entfernten „Casapueblo“, das Haus des Künstlers Carlos Paez Vilaró. Ein riesiges Anwesen an der Küste, ganz in weiss, ohne Ecken und Kanten, mit Aussicht auf das Meer. Seine farbigen Bilder im Museum zeigen viele Szenen aus der afro-uruguayanischen Kultur. Nebst Maler war er auch tätig als Bildhauer, Schriftsteller, Komponist und Architekt. Das an griechische Dörfer erinnernde Gebäude hat er als Hommage an seinen Sohn gebaut, welcher einen Flugabsturz zwei Monate im Schnee der Anden überlebt hat. Nach dem wunderbar kitschigen Bilderbuch-Sonnenuntergang fühle ich mich schon fast wieder kerngesund.

    Am nächsten Tag fahren wir nach Punta del Este, wo Alain ein bisschen Pachanga zum Besten gibt. (s. Video auf Facebook) Wenig beeindruckt von dem Touri-Zeug fliehen wir nach Las Flores, ein winziges Örtchen an der Küste. Wie viel geniessbarer es doch ist, wenn man nicht mitten in der kamerageilen Masse steht. (Ja, ich weiss, wir machen auch gerne Fotos und ja, wir sind auch Touristen.) In einem winzigen kleinen Garten essen wir eine köstliche glutenfreie Lasagne, Biosalat, Bananenkuchen und Meringue (oh Alain war glücklich) mit Dulce de Leche. Inmitten von Biogebüsch mit Milliönchen von Bioläuse-eierchen überall. Nichts ist perfekt.

    Nach gefühlt ewigen vier Tagen ohne Tangotanzen, brauchten wir wieder ein Dosis Bandoneon und dramatischen Gesang. In der Altstadt Montevideos spielte eine Band in einem alten Busdepot, wo die Menschen dazu tanzten. Erstaunlich, wieviel Tanztraining Kein-Training ersetzen kann. Wir waren beide sehr erstaunt, wie gut sich unser Tanzen plötzlich anfühlte, nachdem wir „so lange“ (für unsere Verhältnisse) keinen Tangounterricht genommen und auch nicht geübt haben. Ein bisschen tanzfreie Zeit erlaubt eben dem Körper das Gelernte zu festigen.

    Heute besuchten wir eine Milonga im „Mirador de la Intendencia“, eine Aussichtsplattform auf 80m Höhe mit Blick auf fast ganz Montevideo. Noch nie habe ich meine Turnschuhe mit Tanzschuhen bei so eindrücklichem Panorama getauscht.

    Während unserem Mittagessen im gedeckten „Mercado del Pueblo“ ergoss sich strömender Regen über die Stadt. Deshalb sitze ich jetzt zu Hause und komme endlich wieder zum Schreiben.

    PS: Montevideo zählt zu den sichersten Städten in Lateinamerika und ist zudem die südamerikanische Stadt mit der höchsten Lebensqualität. Die Stadt und ihre Bevölkerung zeigen sich beeindruckend fortschrittlich in vielen Hinsichten. Das Frauenwahlrecht gibt es schon seit den 1920er Jahren, der Anbau und Gebrauch von Marihuana ist straffrei, die Ehe gleichgeschlechtlicher Paare ist erlaubt und 95% der Elektrizität stammt aus erneuerbaren Energien. Zudem ist Montevideo sehr touristenfreundlich, da man im Gegensatz zu Buenos Aires fast überall mit der Kreditkarte bezahlen kann und nicht teuer Bargeld abheben muss. Ausserdem ist (bei meinem Stand der Beobachtung) dieses Land noch überhaupt nicht von nordamerikanischen und europäischen Backpackern bevölkert. Uruguay ist bestimmt eine längere Reise wert.
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