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  • Day 179

    Die Tausend Eingänge zur Unterwelt

    July 6, 2019 in Mexico ⋅ ⛅ 30 °C

    Mérida, Yucatan: Zu den 45°C kommt jetzt noch 70% Luftfeuchtigkeit dazu. Hätte man das Meer, einen See, einen Fluss oder meinetwegen eine Glungge zum Baden verfügbar, wäre die Sache geniessbar. Yucatan ist zwar eine Halbinsel und somit von viel Meer umgeben, doch der nächste Badestrand liegt erst innerhalb einer Stunde Autofahrt. Alain befällt eine halbe Lebenskrise und ich muss sie aushalten. Ideen wie „hurti schnell nach Kuba“ kann ich ihm knapp ausreden, da ich finde Yucatán hat noch genug Schönes zu bieten. Damit wir nicht mit den Touristenmassen im teuren Ausflugsbus mitreisen müssen, mieten wir ein Auto.

    Und das macht Yucatán so besonders: Die ganze Halbinsel, inklusive Belize sind übersäät von „Cenotes“ (=Dolinen, wobei dieses Wort wahrscheinlich auch nicht hilft... ;-)) Der Begriff aus der Mayasprache bedeutet „Heilige Quelle“. Die durch Einsturz der Höhlendecke entstandenen Kalksteinlöcher sind gefüllt mit Süsswasser und dienten den Mayas als Wasserversorgung und religiösen Opferstätten. Diese mysteriös schönen Cenoten galten als Sitz von Göttern der Unterwelt. Man schätzt die Anzahl der Cenoten insgesamt auf 10‘000, wobei nur circa 1000 davon bekannt sind. Die Tiefe einer Cenote variiert von knapp einem Meter bis zu 100 Metern. Viele Cenoten in Yucatán sind unterirdisch miteinander verbunden und zählen vermutlich zum grössten zusammenhängenden Unterwasserhöhlensystem der Erde. Während einige Cenoten völlig kommerzialisiert wurden für Schwimm-/ Tauchtouristen, gibt es viele kleinere, versteckte Cenoten, die es zu finden gilt.
    Cenote Mucuyche/Yaal Utzil ist eine davon. Die Aussicht runter auf das schwarze Wasser lässt die Fantasie furchterregende Bilder auferstehen. Mich da reinstürzen, wo bestimmt tausende Skelette und mutierte Menschenfresserfische auf Frischfleisch warten? Nein danke. Aber ich bin froh, kann sich Alain endlich abkühlen und seine Hitzkrise überwältigen. Weil Alain gerne in Gesellschaft mit mir schwimmen würde, verspreche ich ihm, bei der nächsten Cenote auch mit ins Wasser zukommen, in der Hoffnung, dass jenes Wasser etwas klarer ist.
    Cenote Abalá besitzt tatsächlich hellblaues, kristallklares Wasser. Sie liegt jedoch in einer Höhle voller nervöser schwalbenähnlicher Vögel, die unzivilisiert überall hinsch******. Es graust mich zwar, doch Versprechen ist Versprechen. Völlig unentspannt schwadere ich paar Minuten um Alain und bin dann schnell wieder draussen. Jemand muss ja auch fotografisch festhalten, wie „idyllisch“ dieses Örtchen ist.

    In den nächsten Tagen inspizieren wir diverse Strände in der „Nähe“, wie Playa Progreso, Playa Sisal und Playa Celestún, wo das Wasser zwar wunderbar warm ist, doch weit weg von einem Traumstrand. Und doch verbringen wir mehrere Stunden im Wasser und versuchen zu „Schwehen“ bzw. zu „gehimmen“. (Eine Wortkreation von mir, um die Aktivität zu beschreiben, die man in einem wellenvollen Meer ausführt. Eine Mischung zwischen gehen und schwimmen halt.) Und Sonnenuntergänge im Meer zu beobachten ist allemal traumhaft.

    Aussergewöhlich bezaubernd war auch unser Ausflug zum Naturreservat Ría Celestun. In einem Kanu dringen wir in die Tiefen des Mangrovenwaldes, den sie nach und nach neu aufforsten. Um Alligatoren, Ozeloten und exotische Vögel beobachten zu können, müsste man in den sehr frühen Morgenstunden unterwegs sein. Da wir wie gewöhlich für alles spät dran sind, sehen wir „nur“ einen Flamingo-Single, ein paar Kormorane und einen Vogel mit Tigermuster. Doch die Mangroven an sich sind schon lohnenswert zu sehen. Ein Guide in einem separaten Kanu erzählt uns über die Flora und Fauna der Umgebung und die Arbeit zur Erhaltung der Mangrovenarten.

    Die Mayakultur ist noch heute allgegenwärtig in Yucatán. Somit geht kein Tourist weg von hier, ohne auch nur eine der eindrücklichen Ruinenstätten zu bestauen.
    Chichen Itzá wurde 1988 zum Unesco- Weltkulturerbe erklärt und ist eine der bedeutendsten archäologischen Stätte der Mayahochkultur. Wir erhalten einen privaten Tourguide, der selber von den Mayas abstammt und Spanisch als Zweitsprache spricht. So erhalten wir eindrückliche Informationen quasi aus erster Hand. Wir sind sehr beeindruckt von ihrer tiefgründigen Architektur, ihrer hochentwickelten Schrift, ihren interessanten Entdeckungen zu unserem Sonnensystem und ihrem präzisen Kalender und komplizierten Zeitsystem, wobei wir Letzteres noch nicht ganz 100% begriffen haben.
    Während Chichen Itzá eher von zu vielen Touristen besucht wird, waren wir bei der Ruinenstätte Mayapán die einzigen. Sie war kleiner, aber genau so beeindruckend.

    Wir haben unsere ursprünglichen Reisepläne ziemlich abgeändert. Nach dem 17. mal Gepäckpacken, wünschen wir uns langsam aber sicher wieder mal einfach zu „wohnen“... So bleiben wir eine Woche länger in Mérida und wechseln in ein Hostel mit traumhaftem Pool und melden uns an der Spanischschule ¡HOLA! an. Die darauffolgende Woche verbringen wir im Aussen-Klassenzimmer nebem dem Pool mit Matthew aus Los Angeles (der im Supermarkt von Beverly Hills schon Weinempfehlungen an Cameron Diaz gegeben hat) und Nidi, unserer lustigen Spanischlehrerin. Da bei uns Konversation auf Spanisch als oberstes Ziel steht, entstehen viele spannende Diskussionen über Kultur, Politik und Gott und die Welt. Der Unterricht ist sehr lebhaft, unterhaltsam und lehrreich und in den Pausen geniesst Alain jeweils das kühle Poolwasser.

    Unser Hostel heisst „Nomadas“ und bietet neben dem Pool auch Salsa- und Yogastunden, Kochkurse und Trovamusik am Abend an. Wir nehmen zwei mal am Kochkurs teil und lernen, wie man „Poc Chuc“ und „Nopales y Empanadas“ herstellt. Beides aus der typisch yukatanischen Cuisine. Deshalb war Alain sehr darauf erpicht, eine eigene „Maricona“ (Tortilla-flach-drück-Gerät) zu erwerben. Das Essen war göttlich und der Koch sehr sympatisch. (Nicht zuletzt, weil er aussah wie mein Bruderherz Shingo.)
    An unserem letzten Abend in Mérida gehen wir essen mit Matthew, Nidi und ihrem Freund Hiroshi (Seine Mutter ist angefressen von japanisch klingenden Namen, weshalb seine Schwester Tsunami heisst.) und danach in zwei verschiedene Bars, die daran Schuld sind, dass Alain am nächsten Tag mit Kater erwacht.

    Im Gegensatz zur Stadt Cancún, welche tatsächlich unterweltähnliche Züge besitzt, gleichen Mérida und ihre Umgebung eher dem Paradies. Aber inzwischen sind wir tatsächlich im echten Garten Eden gelandet. Doch dazu ein andermal.
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