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  • An der Werra

    May 18, 2019 in Germany ⋅ ⛅ 10 °C

    Mein Warmshowers-Gastgeber von heute Nacht ist gestern ein Brevet von 400 km gefahren - dagegen sind meine 590 der ersten acht Tage natürlich läppsch, aber er ging heute früh auch deutlich krummer als ich, obwohl ca. 15 Jahre jünger. Ich durfte in Kassel im Garten einer netten Radfahrerfamilie übernachten, wunderbar unkompliziert.

    Eine Woche... und schon ist das Zeitgefühl beinahe weg. Es fühlt sich anders an als Urlaub. Ich hab das Gefühl die Menschen begegnen mir anders, vielleicht sende ich auch anders aus... Ich werde so viel angestrahlt, ob’s am beladenen Rad liegt, den blauen Augen (das wär ja schön ;-)), oder doch daran, dass ich bei ordentlich Fahrtwind vermutlich aussehe wie Pumuckel, der in ne Steckdose gepackt hat.

    Viele Lebensgeschichten. Viele Menschen im Umbruch und voller Sehnsüchte...

    Ich hab an nem verschwiegenen Siegufer campiert, bei Radlerin Rena im Arbeitszimmer, die schon quer durch Canada und die Westküste der USA runtergefahren ist, eine beeindruckende Kochbuchsammlung hat und mich mit Spargel verwöhnte, auf nem Zeltplatz voller Angler, was vom Aufmerksamkeitsgrad ein bisschen so war wie als Frau Maschinenbau zu studieren... dort hab ich vor lauter Besuch am Zelt das Essenkochen irgendwann aufgegeben. Immerhin bekam ich Bier spendiert.

    Gastfreundschaft in Deutschland ist ein interessantes Thema. Es gibt so viel Offenheit und Hilfsbereitschaft, gestern hat mich ein Rennradfahrer ne halbe Stunde quer durch Kassel gelotst. Nun trag ich aber auch weder Vollbart noch Kopftuch...

    Habe heute halblang gemacht (Knie und Hintern sagen danke), bin an der Werra hinter Hann. Münden und will gleich entscheiden, wie es denn weiter geht. Die Option ‚Scheiss doch auf Berlin‘, anders als die ursprünglich geplante Route, steht im Raum, ich habe ein nettes Angebot in Tschechien, ein paar Tage für eine Frau ein Häuschen in den Bergen und zwei Katzen zu hüten, und eventuell eines in Polen, fast da wo mein Opa aufgewachsen ist - eine polnische junge Familie, die einen Selbstversorgerhof aufbaut, ich könnte mit der Tochter Englisch üben und zugleich ein paar Brocken Polnisch lernen, wenn ich da ne Woche bleibe. Ist mir beides eher zugeflogen, Internet vernetzt halt.

    Denke deshalb aktuell darüber nach, den geplanten Schlenker über Berlin bleiben zu lassen und ab morgen direkter östlich zu fahren... Erfurt, Leipzig vielleicht... kenne so wenig im Osten, muss es mir später noch auf der Karte anschauen.

    Auch wenn’s nicht schlecht war/ist, erstmal hier durchs eigene Land zu radeln, und deutsche Flussauen echt schön sind, ist die Neugier auf Unvertrauteres schon da.

    Und ich merke jeden Tag, wie stark dieser Drang doch noch ist, Dinge zu entscheiden, statt erst mal fliessen zu lassen, immer vorauszuplanen, Sicherheiten zu schaffen, den Deckel drauf zu machen... mal sehen, wann das nachlässt...

    Ansonsten ist das gefährlichste auf Reise gerade mein Hang zu ‚Pasta Wegesrand’ trotz spärlicher Botanikkenntnisse, wobei Bärlauch und Taubnessel wohl safe sind.

    Spannendere Reiseberichte als ‚ich bin an nem Pausentag auch ein Stück Rothaarsteig gegangen‘ demnächst.

    Ich danke der kalten Sophie, die mich ein paar Nächte in Armen hielt, dass sie jetzt in Sommerschlaf gegangen ist!

    Ich entschuldige mich beim Siegerland, ein ganzes Studium lang hab ich ignoriert, wie schön die Natur rundherum war/ist!

    Die ersten fast lauen fast Sommernächte machen Lust auf mehr!

    Kuckuck früh um fünf ist romantisch... noch schöner, wenn er dann halbsechs endlich fertig ist mit kuckkucken!

    Take care, Anna
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