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  • Evo, puto!

    September 4, 2018 in Bolivia ⋅ ☀️ 13 °C

    30 Stunden im Bus. Eine … interessante Erfahrung. Unterbrochen nur von einem 200 Meter Fußmarsch über die Peruanisch-Bolivianische Grenze, wo ich mal eben für einen Venezolaner gehalten wurde. Das mag wohl daran liegen, dass wir auf unserer Reise wahrscheinlich mit keinem anderen Volk so viel in Kontakt waren, wie mit den unzähligen Geflüchteten, die momentan weite Teile Südamerikas besiedeln. Dabei stoßen sie vielerorts auf Ablehnung (das leider so übliche „die nehmen uns unsere Arbeit weg und vergewaltigen unsere Frauen“). Wir hingegen haben ausnahmslos positive Erfahrungen mit den herzlichen, offenen, stolzen Leuten gemacht und zahlreiche Einladungen nach Venezuela erhalten. Naja, leider gibt es halt überall auf der Welt die gleichen ignoranten, beschränkten Idioten. Jedenfalls scheine ich mir ein wenig vom Akzent oder der Art des sympathischen Volks angeeignet zu haben, denn der Polizist zog erstaunt die Augenbrauen, als ich ihm seine Frage nach meiner venezolanischen Herkunft verneinte und sagte, dass ich Deutscher sei.

    Nach circa 2 Stunden Weiterfahrt kam ich dann abends in La Paz an und war fast froh darüber, keine direkte Busverbindung nach Santa Cruz zu finden, sondern gezwungen zu sein, die Nacht in einem unbeweglichen, horizontalen Matratzen-Bett zu verbringen.
    Den darauffolgenden Tag (gestern) schlenderte ich durch die höchste Hauptstadt der Welt, trotz Sonnenschein mit 3 Jacken ausgerüstet, und schwelgte in Erinnerungen an meinen letzten Besuch der Stadt vor knapp dreieinhalb Jahren. Viel hat sich gefühlt nicht verändert und man könnte fast meinen, die angefangenen Gebäude seien immer noch so halbfertig wie damals.
    Erwähnenswert war noch eine Demonstration, die in der Stadtmitte stattfand. Die circa 1000 Leute schwenkten zahlreiche Bolivien-Flaggen und sprachen sich lautstark gegen Evo, den Präsidenten Boliviens aus! Seit Jahren sind die Korruption und die diktatorischen Verhältnisse, mit denen die Landesspitze regiert, kein Geheimnis, doch Aufstände werden niedergeschlagen und Oppositionsführer weggesperrt. Derweil wird das Ganze mit einer „als-wäre-nichts-gewesen“-Propaganda übermalt, die sich meist in riesigen Plakaten äußert, auf denen ein strahlender Evo mal ein Baby auf dem Arm hält und damit die Mutter zur glücklichsten Frau der Erde macht, mal einem hart schuftenden Arbeiter gratulierend die Hand schüttelt oder ganz einfach vielsagend zuversichtlich in die Zukunft blickt. Seit der letzten Wiederwahl, bei der abermals manipuliert wurde, sind die Proteste jedoch lauter geworden und es hat sich national der Schlachtruf „Bolivia dijo no“ („Bolivien hat Nein gesagt“, bzw. das bolivianische Äquivalent zu „nai hämmer gsait“) gebildet. So war es für mich ein Hoffnung erweckendes Erlebnis, die Masse friedlich und ungestört protestieren zu sehen und Rufe wie „Evo, Verräter!“, „Unsere Zeit ist gekommen!“ und „Er soll zurücktreten, carajo!“ skandieren zu hören. Viel ist letzten Endes wohl noch nicht geschafft und der Weg zur Demokratie ist noch weit, doch ich hätte schwören können, es roch ein ganz kleines bisschen nach Umbruch.

    Mit diesen Eindrücken bin ich also gestern Abend gestiegen, in dem ich die vorerst letzte Nacht auf Rädern verbracht habe und von dem aus ich nun diesen Blogeintrag schreibe.
    In ein paar Stunden werde ich also in Santa Cruz ankommen. An genau dem Tag, an dem ich vor vier Jahren zum ersten Mal bolivianischen Boden betreten habe und meine neue Heimat für ein Jahr kennenlernen durfte. Allein bei dem Gedanken bekomme ich ein wenig Gänsehaut, muss ich gestehen. Ich bin zum Zerreißen gespannt auf das, was mich nun erwartet. In erster Linie das Wiedersehen mit den Heim-Jungs, außerdem mit alten Freunde und einer Stadt, die mir vermutlich total bekannt, aber irgendwo auch fremd vorkommen wird.
    Bis bald!
    Jan
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