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  • Day 9

    Im Dschungel

    August 23, 2016 in Colombia ⋅ ⛅ 21 °C

    Bevor es losgeht in die “grüne Hölle“ mussten noch einige zentrale Dinge besorgt werden: Gummistiefel, um im schlammigen Morast nicht plötzlich von seinen Wanderschuhen befreit zu werden (und, vielleicht noch wichtiger) um einigermaßen gegen Schlangen, Spinnen und anderes Krabbeltier (Ameisen! Die wahren Herrscher im Dschungel und der Albtraum eines jeden, der am Waldboden dem Ruf der Natur nachgehen muss) geschützt zu sein; Hängematte (bei zuvor genannten möchte man nicht unbedingt am Boden und damit quasi auf der Straße der Waldbewohner schlafen) sowie dazu passendes Moskitonetz (diese gnadenlose Menschenfresser sind die tödlichsten Tiere des Planeten!) und Wasserentkeimungstabletten (wenn man nicht gerade 20l Trinkwasser durch den Dschungel schleppen will, trinkt man eben das Wasser aus dem Fluss - entkeimt mit Micropur, tolle Erfindung). All diese Utensilien erstanden wir günstig auf Leticias Markt. Eigentlich wollte ich ein wenig meine Fertigkeiten im Feilschen schulen, aber die Preise schienen von Anfang an sehr vernünftig, sodass Verhandeln überflüssig war. Vielleicht hatten die milde (oder wissend?) lächelnden Händler Innen auch einfach Mitleid mit den Gringos, die offenbar nicht so recht wussten, worauf sie sich einließen.

    Am nächsten Tag ging's mit Sonnenaufgang los und in einer einige Kilometer entfernten indigenen Siedlungen trafen wir unsre beiden Guides Pikach (kein Witz, aber keine Ahnung ob man's wirklich so schreibt) und seinen Neffen Chutty, beide Angehörige der Huitoto. Pi (so offenbar die Kurzform) wuchs im Dschungel auf und erlegt schon mal nen Kaiman, wenn's sein muss (oder der Appetit es verlangt). Nachdem wir den Bus verpassten, ging's etwa 15km mit dem Taxi an indigenen Malocas (Gemeinschafts- und Ritualgebäuden) und Leticias Mülldeponie vorbei Richtung Dschungel. Die letzten 2 Kilometer mussten wir zu Fuß bestreiten, da die Straße nur mehr aus einer durch einen Bulldozer durch die Landschaft gefrästen Schneise bestand. In der brütenden Vormittagshitze verlangte uns dieses kurze Stück bereits einiges an Kraft ab und ich verfluchte mich dafür, keinen Hut erstanden zu haben.

    Beim Rio Tacana bogen wir schließlich ein in den Regenwald. Chutty warnte uns, dass wir genau hinsehen sollten, bevor wir uns an irgendetwas festhalten wollten: hier stehen die Chancen nicht so schlecht, dass die Liane eventuell doch eher eine Schlange ist (und die empfindet eine zärtliche Umarmung eher als Bedrohung). Grundsätzlich jedoch meiden Schlangen - wie das meiste andere Dschungelgetier - Menschen wie Donald Trump die Wahrheit und machen einen großen Bogen, sobald sie menschliche Gesellschaft registrieren. Außerdem besitzen viele Spezies im Dschungel mehr oder minder subtile Mechanismen, unliebsame Kontakte zu verhindern (siehe etwa Bild 6).

    Etwa eine Stunde lang war noch so etwas wie ein Pfad und einige Zeichen menschlicher Zivilisation wie Brücken erkennbar. Dann aber betraten wir dichten Primärwald, mit über 50m hohen Urwaldriesen und dichtem Gestrüpp, die das Vorankommen deutlich langsamer gestalten. Obwohl Chutty unermüdlich seine Machete schwang, um uns den Weg freizuhacken, war das Terrain alles andere als ein Spaziergang zum nächsten Würstelstand. Umgestürzte morsche Bäume, Lianen, mit Dornen übersäte Pflanzen aller Art und aus dem Boden ragende Wurzeln prägten den Weg. Einen Moment lang fühlte ich mich wie ein Teilnehmer des Hürdenlaufs in Rio. Nach etwa einer Stunde fühlte ich mich offenbar so weit, mir eine kleine Abkühlung zu gönnen und fiel mit einem wenig eleganten Halbsalto in den Fluss. Der morsche Baumstamm wollte mein Gewicht nicht so ganz akzeptieren, brach unter mir teilweise auseinander und ließ mich mit einem beeindruckenden (so die Guides) Platschen in die braune Brühe eintauchen. Bei der Olympiade hätte ich wohl desolate Haltungsnoten erhalten, aber Sabrina und die Guides dankten mir für den herzlichen Lacher. Gut, dass ich gerne Leute zum Lachen bringe. Zum Glück war das Wasser tief genug und somit passierte mir - außer dass ich klatschnass war - weiter nichts. Auch meine Sachen (ja, auch deine Kamera, Mama) blieben allesamt unversehrt - der kluge Mann sorgt vor und packt alles Empfindliche in Plastiksackerl.

    Abgesehen von meiner bescheidenen artistischen Erheiterung verlief der weitere Trekk ohne größere Zwischenfälle. Wenn es der Fluss erlaubte, kühlten wir uns mit einem kurzen Bad ab, staunten über die mystisch anmutende Fauna und bewunderten die unzähligen riesigen und spektakulär farbenprächtigen Schmetterlinge. Abgesehen von ebenjenen ließen sich leider nicht besonders viele Tiere blicken - allerdings sind diese auch nicht gerade scharf darauf, mit der Spezies abzuhängen, die regelmäßig ihr Zuhause in gigantische Monokulturen oder Betonwüsten verwandelt; im dichten Regenwalddickicht generell schwer zu erkennen. Hie und da huschte ein Kaiman vor unseren Augen unter die Wasseroberfläche, oder kreuzten Ameisenkolonien unseren Weg (bzw wir ihren), aber das war's auch schon.

    Gegen 3 Uhr nachmittags erreichten wir eine Flussbiegung und Pikach entschied, dies sei ein geeigneter Ort für unser Lager. Ich schmiss mich völlig fertig in die Hängematte und lauschte den Gesängen des Dschungels, während Pikach und Chutty aus dem Nichts in kürzester Zeit ein beeindruckendes Camp zimmerten.

    Ein deftiges Mittagessen, Kaffee und ein noch deftigeres Abendessen rundeten den Tag ab, bevor es gegen 17:30 ziemlich rasch stockfinster wurde (so nah am Äquator sind Tag und Nacht stets fast genau gleich lang).

    Die Nacht erweckt die Fauna des Dschungels und erhöht die Lautstärke um ein Vielfaches. Es surrte, klackerte, fiepte, quietschte, gluckste, fauchte, schnappte und zirpte rund um uns, während es so dunkel wurde, dass man nicht die Hand vor Augen sah. Ein ziemlich beeindruckendes Konzert, aber auch ein wenig beängstigend. Eine beruhigende Wirkung übte das Geschnarche Pikachs aus, während Chutty mich über Politik und Religion in Europa ausfragte.

    Nachdem ich nicht ans Schlafen in Hängematten gewöhnt bin, war es eine lange und anstrengende Nacht für mich. Die kurzen Schlafphasen waren durchzogen von seltsamen realistischen Traumsequenzen. Immer wieder erwachte ich in der festen Überzeugung, dass nur wenige hundert Meter entfernt eine idyllische Dschungeloase erfrischend kühles Bier bereit gestellt hatte. Das Seltsame war, dass ich den ersten Tag - außer der enormen Anstrengung in der feuchten Hitze - ziemlich cool fand und mich auf den nächsten Tag freute (okay, ein Bier hätt' ich schon großartig gefunden). Außerdem waren diese Träume ungewöhnlich realitätsbezogen - normalerweise träume ich viel abstrakteren und abgedrehteren Shit. Wie auch immer.

    Am nächsten Morgen erwachte ich mit starken Kopfschmerzen, Knieschmerzen und Durchfall (je mehr ich darüber nachdenke - es muss der verdammte Saft gewesen sein! Die Typen tranken einfach so das Wasser aus dem Fluss, mit etwas Sirup vermischt. Einmal dachte ich nicht nach und nahm ihr Angebot an). Ich fühlte mich ziemlich elendig und verbrachte den Großteil des Tages mit meinen seltsamen Halbträumen in der Hängematte. Sabrina und Pikach erkundeten für eine Stunden die umliegende Gegend, während ich geschwächt in meiner Hängematte vor mich hin döste.

    Die zweite Nacht im Dschungel verlief etwas angenehmer; irgendwann in der Nacht begann es sintflutartig zu schütten, was Chutty dazu zwang immer wieder das Wasser von unserem Planendach abzuleiten. Nach einiger Zeit mündete das Gewitter in ein einlullendes Pit-Pat und ich konnte einigermaßen schlafen. Nur die Turbulenzen in meiner Magen-Darm-Gegend nötigten mich immer wieder, das Camp zu verlassen und den Waldboden zu besudeln. Das war immer wieder ein Abenteuer für sich. Ein Mal verwendete ich wohl eine Genossin der Brennnessel als Klopapier, was mir für eine Stunde ein juckendes Hinterteil bescherte - ODER es waren diese #&%€?@¥‰# Ameisen!? Ich werde es nie erfahren. Ein anderes Mal hätte ich mich beinahe verlaufen (obwohl ich eine Taschenlampe dabei hatte und maximal 15 Schritte vom Lager fortging), da die Orientierung nachts im Dschungel praktisch unmöglich ist. Eine ziemlich einschüchternde Erfahrung.

    Am nächsten Tag erging es mir deutlich besser, fühlte mich aber noch, als hätte in meinem Magen-Darm-Trakt eine polnische Hochzeit samt Mitternachtspolka stattgefunden. Der Weg zurück aus dem Dschungel kam mir dennoch deutlich kürzer vor, als am ersten Tag. Das lag womöglich auch daran, dass es aufgrund des bewölkten Wetters deutlich kühler war. Offen gesagt war ich sehr erleichtert, als uns der Dschungel nach mehr als 48 Stunden wieder ausspuckte und wir bei einer nahe gelegenen Finca auf den Bus zurück zum Refugio warteten. Es war eine unvergessliche Erfahrung, leider etwas getrübt durch einen 2. Tag der mich zum Rasten zwang.

    Die Dusche (und die Toilette!!) fühlte sich sagenhaft an, und nach einem leichten Abendessen in Leticia fielen wir beide ziemlich erschöpft gegen 19 Uhr ins Bett.

    Jetzt befinde ich mich am Schnellboot nach Puerto Nariño, einem kleinen, etwa 80km flussaufwärts gelegenen Ökodorf. Dort möchte ich vor allem entspannen und die örtliche Flora und Fauna (die lokale Besonderheit: rosa Fluss-Delfine!) genießen.

    Kleine Anmerkung: die gesamte Amazonas-Region ist - wie man bestimmt sehen kann - am Arsch der Heide und die Internetverbindung gleicht demnach einem tropfenden Wasserhahn - ich weiß also nicht genau, wann diese Zeilen eure hoffentlich amüsierten Augen erreichen!
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