Satellite
  • Day 33

    Ciudad Perdida - die Verlorene Stadt

    September 16, 2016 in Colombia ⋅ ⛅ 15 °C

    Kaum Etwas besitzt eine derart mystische und geheimnisvolle Aura wie eine verlassene Stadt einer früheren Hochkultur. Über 400 Jahre lang wusste niemand von der Existenz der Ciudad Perdida, die sich im dichten Dschungel des Tayrona National Park verbirgt, bis Mitte der 1970er Grabräuber auf die verlassene Stadt stießen. Die Nachricht verbreitete sich rasch und rief weitere Plünderer auf den Plan, so dass sich kurz darauf ein gewaltsamer Konflikt um dort vermuteten Schätze entwickelte. Erst 2008 marschierte das kolumbianische Militär ein und machte das Gelände für den Tourismus zugänglich. Seitdem bieten mehrere Agenturen geführte Trekks zur Ciudad Perdida an; der einzige Weg dorthin führt über eine 4-6 tägige kniescheibenbelastende Wanderung durch bilderbuchmäßige Dschungellandschaften. Diese Gelegenheit wollte ich mir nicht entgehen lassen und buchte einen Platz mit Wiwa Tours, eine von Indigenen geführte Agentur mit Guides aus der Region.

    Mit insgesamt 9 Teilnehmenden aus England, den USA, der Schweiz und Spanien hatten wir eine lustige und angenehm kleine Gruppe beisammen und mächtig viel Spaß. Ein kleiner Bus führte uns von Santa Marta aus nach El Mamey, von wo aus nach einem Mittagessen der 4-tägige Trekk startete.

    Nachdem wir 2 Stunden in der unerbittlichen Sonne einen steilen, steinigen Bergpfad hinauf gepilgert waren, begann ich mich ernsthaft zu fragen, welch geistige Umnachtung mich zur Teilnahme an diesem Trekk bewogen hatte. Die erste Pause brachte die beste Wassermelone meines Lebens und mehr Zuversicht, als das Terrain zunehmend schattiger und bergab ging. Nach etwa anderthalb Stunden verwandelte sich der lehmige Boden des Pfades in ein sattes Rostrot (der Boden im Regenwald enthält oft besonders viel Eisen) und während der Abstieg schlammiger wurde, baute sich vor uns ein spektakulärer Anblick auf, mit dicht bewaldeten Berghängen. Zwischen 4 und 5 Uhr nachmittags erreichten wir das erste Camp, gelegen in einem Tal an beiden Ufern eines Flusses. Ich war einigermaßen baff, als das erste, was ich im Camp erblickte ein Pool-Billard-Tisch war (wie haben die den hierher transportiert?) und allgemein überrascht, wie gut ausgestattet das Camp war. Es gab hervorragenden frisch gefangenen Fisch zum Abendessen und bequeme - wenn auch kleine - Betten zum Schlafen.

    Der zweite Tag war der brutalste und begann dank einer schwierigen Flussüberquerung mit kalten, nassen Füßen (uäh) gefolgt von einer mehrstündigen Aufstieg an Muli-Karawanen vorbei und durch schweißtreibende Dschungelhitze. Der Trekk war hart, der Schmäh in der Gruppe derb (und sehr sehr lustig) und meine Füße (bzw eigentlich mein restlicher Körper ebenso) triefend nass. Die Mittagspause gab uns die Gelegenheit, unsere Sachen ein wenig in der Mittagssonne zu trocknen und uns im Fluss abzukühlen. Ein natürliches Becken lud dazu ein, den Dschungeldreck abzuwaschen und das wuchernde Gestrüpp sowie bunte Singvögel zu bestaunen. Ich schwang mich von einem Felsvorsprung wenig elegant mit einer Liane ins kühle Nass. Leider verschwand jeglicher Videobeweis mit Jason's GoPro in der Strömung des Flusses (er wollte seine Tarzaneinlage aus der ersten Person filmen, als die GoPro aus seiner Hand rutschte).

    Meine Freude war wachspalmengroß, als meine Wanderschuhe nach der Mittagspause annähernd trocken waren - die Freude währte aber nur kurz, weil 5 Minuten später erneut ein Fluss durchquert werden musste und meine Füße wieder getränkt wurden. Eine Stunde später war mir das aber egal, da es sintflutartig zu regnen begann (hier ist gerade Regenzeit) und sich der Pfad in einen knöchelhohen Bach verwandelte. Seltsamerweise freute ich mich aber ungemein über den Regenguss - vielleicht weil er jeglichen Widerstand gegen die Nässe obsolet machte; vielleicht aber auch, weil ich die Landschaft und die Wanderung selbst (obwohl das ständige Auf und Ab körperlich eine extreme Herausforderung war) seht genoss. Zum Abschluss des Tages mussten wir einen auf Grund des Regens auf Hüfthöhe angeschwollenen Fluss überqueren, bevor es nochmal eine Stunde bergauf ging zum Camp des 2. Tages.

    Glücklicherweise traf unsere kleine Gruppe zuerst ein, was uns erneut Betten (yesssss!) statt Hängematten für die Nacht sicherte. Nach und nach trafen alle anderen Gruppen ein und mit rund 100 Leuten breitete sich eine Stimmung wie auf einem Festival aus. Bier floss, Spielkarten flogen über die Tische und nach Einbruch der Dunkelheit stolperten alle mit Stirnlampen durch die Gegend. Angesichts der frühen Tagwache (4:30) waren allerdings um 21h die letzten im Bett.

    Tag 3 begann mit nassen Füßen (Flussüberquerung zum Frühstück) und 1200 moosüberwachsene Steinstufen hinauf zur Ciudad Perdida. Oben angekommen breitete sich auf einer Lichtung die erste von hunderten Steinterrassen aus. Hier bat uns unser Guide José darum, symbolisch Eintritt zu bezahlen (mit Konzentration und guten Absichten), bevor wir zum Hauptkomplex vordringen durften. Von der Stadt selbst ist außer den Terrassen, Treppen, die sie miteinander verbinden und einigen in Stein gehauenen Umgebungsplänen nicht mehr viel übrig. Dennoch verbreiten die moosbewachsenen Terrassen eine mystische und geheimnisvolle Atmosphäre und der Ausblick auf die umliegende Sierra Nevada erfreut jeden Naturliebhaber.

    Über die Stadt und ihre Erbauer - die Tayrona - ist relativ wenig bekannt. Offenbar im 7. Jhdt gegründet, fungierte sie offenbar als Hauptstadt und bot bis zu 4.000 Menschen Unterkunft. Die Tayrona war die erste indigene Bevölkerungsgruppe, auf die die spanischen Eroberer trafen und ihre zahlreichen goldenen Artefakte werden als Stein des Anstoßes für die Legende von El Dorado vermutet. Auf Grund ihrer entwickelten sozialen und ökonomischen Organisationsform boten sie den Conquistadores zähen Widerstand, mussten sich den militärisch überlegenen Eindringlingen aber letztlich geschlagen geben und ihre Hauptstadt verlassen. Laut José war die Stadt aber tatsächlich nicht verloren; für die 4 heute in der Sierra Nevada lebenden indigenen Gruppen (die Nachkommen der Tayrona) war und ist die Ciudad Perdida ein heiliger Ort, der regelmäßig Schauplatz sozialer wie spiritueller Zeremonien ist. Faszinierend ist, dass weite Teile dieser indigenen Gruppen bis heute relativ autonom und isoliert im Tayrona National Park leben - viele von ihnen sprechen kein Spanisch. Hängen blieb mir überdies, wie faszinierend anders die Weltsicht dieser Gruppen ist, die jegliche Form von Krieg ablehnen und eine Hochachtung für Pachamama (Mutter Erde) aufbringen.

    Nach etwa 3 Stunden als Mosquito-all-you-can-eat in der Ciudad Perdida stiegen wir hinab, überquerten erneut den Fluss und begannen den Rückweg. Mittendrin zeigte der Regenwald so richtig, was er draufhat und das heftigste Gewitter, das ich je bezeugen durfte tobte über unseren Köpfen. Der ohrenbetäubende Donner und die unglaublichen Wassermassen, die den Pfad erneut in einen schlammigen Bach verwandelten war eine einschüchternde, aber auch extrem beeindruckende Erfahrung. Kurz vor Ende des Trekks des 3. Tages stellte sich der Fluss als ohne Seil unpassierbar heraus. Das Gewitter hatte ihn binnen Stunden in einen reißenden Strom verwandelt. Einer der Guides musste in einem riskanten Manöver den Fluss durchschwimmen und aus dem Camp ein Seil holen. Nachdem unsere Rucksäcke mit dem Seil ans andere Ufer transportiert wurden, mussten wir eine/r nach der anderen durch den mittlerweile brusthohen Strom durchqueren. Letzten Endes kamen alle mit nassen Klamotten und der Erinnerung an ein erstklassiges Abenteuer heil im Camp an. Großartig war der Moment, als José das Seil lockerte und wieder einpackte, obwohl noch mindestens eine weitere Gruppe die Überquerung vor sich hatte (er meinte lapidar, die hätten eh ein Seil dabei...)

    Die letzte Nacht verbrachten wir feierlich und der 4. und letzte Tag verlief ohne nennenswerte Zwischenfälle. Unendlich kaputt kamen wir in Santa Marta an, von wo aus die meisten von uns gleich weiterreisten in den Strandort Taganga - auch ich brauchte erstmal Erholung und schmiss mich dort gleich mal ins Meer.
    Read more