Ich nehme euch mit auf meine erste Drei-Tage-Hüttentour mit me, myself an I.🏔 Read more
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  • Day 1

    Abenteuer beginnt in 3… 2… 1…

    August 25, 2021 in Italy ⋅ ⛅ 18 °C

    So. Nun sitze ich hier zur Primetime mit einem kühlen Bier in der Hand und schaue grinsend auf die vom Sonnenuntergang rot gefärbten Dolomiten - endlich! Physisch bin ich demzufolge an meinem Tagesziel für heute angekommen. Meine Psyche hinkt allerdings noch etwas hinterher. Es ist noch alles etwas surreal. Denn ich sitze hier komplett alleine.

    Zugegebenermaßen nicht wirklich. Natürlich sind hier noch andere Leute, ich bin ja weiterhin in der Zivilisation. Aber ich habe niemanden auf meine Reise mitgenommen, den ich kenne. Ich reise zum ersten Mal mit mir selbst. Warum? Um es mal gemacht zu haben. Ob ich mir selbst eine gute Reisebegleitung bin? Keine Ahnung. Aber das finde ich nun heraus!

    Das führt mich auch zu dem Grund, warum ich dieses Reisetagebuch schreibe: Ich möchte meine Erinnerungen an dieses Abenteuer auf eine Art festhalten, die sicher stellt, dass sie nicht irgendwann verblassen. Darüber hinaus für den ein oder anderen interessierten Leser dort draußen meine Erlebnisse teilen. Ob dies nun zur Inspiration, Belustigung oder einem anderen Zweck dienlich ist, sei jedem selbst überlassen.

    Aber fangen wir doch ganz von vorne an: Bei der heutigen Anreise von Hannover nach Völs am Schlern (dort, wo ich gerade sitze). Ich kann vorwegnehmen: Eine Anreise komplett mit öffentlichen Verkehrsmitteln habe ich mir deutlich entspannter vorgestellt, als es schlussendlich war. Es fing schon damit an, dass mein Ursprungsplan mit der Bahn zu reisen, am GDL Streik zu scheitern drohte. Dies wurde mir zum Glück rechtzeitig bekannt, sodass ich meinen Zug stornieren und stattdessen einen FlixBus buchen konnte. Gleicher Preis, Fahrzeit plus sechs Stunden - da kommt Freude auf. Aber gut, mit einer streikenden Bahn wäre ich wohl nie pünktlich hier gewesen. Oder doch? In meiner Entscheidung, den Bus zu buchen, fühlte ich mich bestätigt, als ich kurz vor Verlassen der Wohnung - am Mittwoch, den 24. August gegen 23 Uhr - eine Mail empfing, die mich über den Ausfall meines ursprünglich gebuchten Zugs informierte.

    Als ich mit meinem besten Freund Nicolas abends nochmal alles durchgegangen bin - um ja nichts zu vergessen (übrigens meine größte Angst) - empfahl er mir noch eine Schlafmaske und Ohropax zu besorgen. Für die Schlafmaske schenkte ich ich einen etwas verwundeten Blick, so wusste er doch, dass ich beim zu Bett gehen nie ein Rollo schloss. Jedoch ergaben die Stöpsel für die Ohren für mich durchaus Sinn. Also machte ich noch einen Abstecher zur Drogerie im Bahnhof bevor es zum ZOB ging. Ich weiß nicht was mich dazu gebracht hat, die Schlafmaske zu kaufen (wahrscheinlich wieder die Angst etwas nicht zu haben) aber ich habe es getan. Mein Einkauf wurde vom Kassierer mit „Sie scheinen aber einen sehr erholsamen Schlaf zu benötigen.“ kommentiert, was ich mit einem beschämten Lächeln unter meiner Maske beantworte, bevor ich weiter zum Bus ging.

    Beim letzten Mal, dass ich so aufgeregt war, als es in Urlaub ging war ich noch ein Kind. Ich war original eine Stunde vor Abfahrt am ZOB. Ich verbrachte die Zeit damit nochmal die Einreisebedingungen sowie das Coronaupdate aus Italien zu studieren. Derweil war es kurz vor zwölf und mein Handy signalisierte mir eine weitere Mail: Mein Zug fuhr nun doch. Sehr witzig. Zwei Minuten vor Zugabfahrt kam die Info. Kurz dachte ich noch über einen Sprint nach. Verwarf diesen Gedanken dann auch schnell wieder. Ich hatte mich jetzt für den Bus entscheiden, dann bleibt es jetzt dabei, auch wenn er nicht mein bevorzugtes Reisemittel ist. Also begann ich mir vor Augen zu führen, dass ich jetzt alles hab und entspannt meinen Urlaub beginnen kann. Mit abfallender Anspannung wurde ich müde woraufhin mir die Kälte in die Knochen kroch. Glücklicherweise kam dann auch endlich der Bus. Mittlerweile war es Donnerstag, der 25. August, 0:35 Uhr.

    Meine Kollegin Freya gab mir noch mit auf den Weg ich solle gut auf mein Gepäck aufpassen, ihr Backpack wurde ihr mal aus dem FlixBus geklaut. Nach der Info hätte ich meinen Rucksack am liebsten an mich gekettet (da ist sie wieder, die Angst) aber in Ermangelung von Platz im Innenraum des Busses und mich übermannende Müdigkeit gab ich mein Backpack dann doch in Kofferraum. Ich musste an das Gute im Menschen glauben und wurde dabei nicht enttäuscht.

    Im Bus durfte ich zwei Plätze für die gesamte Fahrt mein eigenen nennen, sodass ich es mir so gut es ging gemütlich machte. Natürlich nicht ohne die kurz vorher errungenen Schlaf-Verbesserung-Gadgets zu verwenden. Wenn ich nicht so müde gewesen wäre, hätte ich mich dafür wahrscheinlich selbst ausgelacht. Endlich musste ich das Radio, surrende Geräusche und grelle Lichter nicht mehr wahrnehmen und war weg. Es hätte so schön sein können, wenn neben mir, nicht auch ständig sämtliche meiner Körperteile eingeschlafen wären. Allem voran Hintern und Beine. Ach und der Nacken war auch ganz groß darin sich zu verkrampfen (Nein, ich hatte kein Nackenhörnchen dabei, mein Kissen für die Wanderung musste reichen). Irgendwann hatte ich aber meine Position gefunden. Als ich aufwachte war es immer noch stockfinster. Ach nee. Ich hatte ich das lächerliche Ding auf den Augen. Und dann kam die Erleuchtung. Im wahrsten Sinne! Als sich meine Augen wieder an das Licht gewöhnt hatten, stellte ich fest, dass ich meinen doch recht langen Schlaf in diesem Bus dieser Maske zu verdanken hatte. Mittlerweile war es viertel vor acht. Ich war begeistert und recht fit dafür, dass ich gerade sieben Stunden, sitzend in einem Bus geschlafen hab.

    Um halb zehn trafen wir in München ein. Ab jetzt hatte ich zwei Stunden Aufenthalt. Diese waren überraschend schön. Gut, wie ich mich in meiner alten Wahlheimat auskannte, konnte ich gezielt sämtliche Besorgungen machen und mich dann entspannt in die Sonne setzen. Dort gabs dann erstmal ein Vicky-Frühstück: Kaffee mit Pizza, denn Pizza kann ich immer essen.

    Frisch gestärkt ging es dann um 11:30 Uhr weiter mit dem nächsten FlixBus Richtung Bozen. Die Fahrt war sehr angenehmen. Aufgrund eines Staus auf der Autobahn, den wir umfuhren, gab es landschaftlich einiges zu bestaunen. Darunter auch die bayrische Karibik: Den Walchensee.

    Nachdem wir in Innsbruck eine kurze Pause und ich mein erstes Bergselfie gemacht hatte, ging es weiter auf den Brenner. Zumindest war das der Plan. Jedoch kamen wir nicht auf die Autobahn, ein brennendes Auto war die Ursache für die Sperrung. Während ich beobachtet wie Autofahrer keine Rettungsgasse bilden konnten und sich der Stau bis sonst wo bildete kam mir der Gedanke „ Da macht der Brenner seinem Namen alle Ehre.“ Ist dem so? Ich hatte keine Ahnung. Google wusste mehr: Der Name Brenner geht gemäß meiner Recherchen auf den rätischen Volksstamm der Breconen zurück, die in vorchristlicher Zeit aus Nordtirol über den Pass nach Süden vordrangen. Seit 1288 ist dort urkundlich "der Hof eines Prennerius" bekannt, dessen Name sich prosaisch von seinem Gewerbe des Kohlenbrennens ableitet. Also tatsächlich hat es was mit dem Brennen zu tun.

    Nach einer halben Stunde ging es dann weiter und das schaukeln des Busses wog mich in einen seichten Schlaf. Dieser fand ein jähes Ende. Ich schreckte hoch als jemand höflich aber bestimmt sagte „Geben Sie mir bitte Ihren Personalausweis.“ Huch! Was? Ja, klar! Noch im Halbschlaf öffnete ich meine Tasche, um an mein Portemonnaie zu gelangen als ich feststellte, dass der Polizist, der im Bus stand gar nicht mich sondern den Mitreisenden vor mir meinte. Wir waren in Italien und direkt in einer Grenzkontrolle - die hätte ich mal eben verpennt. Kontrolliert wurde nur stichprobenartig, dies nahm aber auch eine halbe Stunde in Anspruch bevor wir unsere Reise fortsetzen konnten.

    Um kurz vor fünf kam ich endlich in Bozen an. Bozen Süd um genau zu sein. Ich fand mich mitten im Nirgendwo zwischen einem Messegelände und Fabriken wieder. Ich suchte aber die Bahn. Google Maps half dabei zuverlässig wie eh und je. Wie ich eine Fahrkarte erwerben sollte erschloss sich mir allerdings nicht. Überall hingen Geräte zum scannen oder entwerten der gekauften Karten aber weit und breit kein Automat. Kurzum fragte ich einen Passanten. Dieser erklärte mir, dass ein Kauf in der Bahn erfolgt. Glücklich über diese Auskunft wartete ich bis entsprechende eintraf und schaute mich nach einem Automaten oder SchaffnerIn um - nichts. Was soll ich sagen, letztlich bin ich die Strecke schwarz gefahren. War nur eine Station aber wohl fühlte ich mich nicht. (Und für die Klugscheißer unter uns: Nein, online konnte ich auch kein Ticket erwerben) in Bozen angekommen fand ich nach kurzem Orientieren einen Fahrkartenschalter und den Bus für meine heutige, letzte Etappe. Dieser brachte mich bis fast kurz vor die Tür meiner Pension, bei der meine eigentliche Reise beginnt und endet. Völlig erschöpft aber glücklich war ich um 19 Uhr endlich angekommen.

    Nach meiner Dusche lief ich ein paar Meter zum nächstgelegenen Restaurant in dem ich nun besagtes Bier und ein Risotto genieße. Den Abenteuerbeginn hatte ich in meinem Kopf eigentlich erst auf morgen gebucht. Doch damit lag ich falsch, mein Abenteuer inkludiert die Anreise. Morgen geht’s dann aber richtig los mit meiner Hüttentour. Drei Tage wandern durch die Dolomiten. Morgen um diese Zeit gucke ich mir die Berge bereits aus einer ganz anderen Perspektive an.

    Erkenntnis des Tages: Eine Schlafmaske ist ein von mir komplett unterschätztes Gadget - nie wieder ohne!
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  • Day 2

    No WiFi? I found a better connection.

    August 26, 2021 in Italy ⋅ ☀️ 11 °C

    Während ich im Bett lag und meinen gestrigen Tagebucheintrag beendete, musste feststellen, dass die Zimmerwände in meiner Pension nur zur optischen Trennung dienten. So hörte ich beim zu Bett gehen meinen linken Zimmernachbarn schnarchen und meine rechten Zimmernachbarinnen unaufhörlich kichern. Was auch immer so lustig war um halb eins war’s das nicht mehr. Auf einmal war Stille. Ich hatte bereits daran gedacht meine Ohropax wieder zum Einsatz zu bringen war aber dann doch dankbar meinen Ohren davon einen Pause gönnen zu können und schlief ein.

    Mein Wecker war auf acht gestellt. Wann war ich wach? Um sieben. Ein hoch auf die innere Uhr! Ich weigerte mich der Biologie hinzugeben und zwang mich nochmal in den Schlaf, während ich bei mir dachte „Du wirst mir dafür noch dankbar sein.“
    Um acht schälte ich mich dann aus dem Bett und als ich gerade die Augen geöffnet und mich in einen einigermaßen sicheren Stand gebracht hatte, klopfte es an meiner Tür. Was sollte das denn jetzt? Hat sich jemand verirrt? Ich sagte erstmal nichts. Kurz darauf wurde versucht die Tür zu öffnen, ohne Erfolg, denn ich hatte von innen abgeschlossen. Erneutes klopfen. Schien ja sehr wichtig zu sein. Ich rief also „Moment“ während ich zur Tür ging und sie öffnete und daraufhin in einen leeren Flur starrte. Was war das denn jetzt? Klopfstreich am Morgen? Naja, immerhin war ich jetzt wach.

    Ich ging zurück in mein Zimmer, um mich fürs Frühstück fertig zu machen. Aus Gewohnheit riss ich meine Balkontür weit auf, erstarrte vor Kälte und blickte auf dunkle Wolken über den Dolomiten. Na toll. So hatte ich mir das aber nicht vorgestellt. Schnell wieder zu die Tür - aus den Augen aus dem Sinn.

    Der Frühstückssaal hatte seine Fenster direkt auf der gegenüberliegenden Seite des Hauses, hier war die Welt wettertechnisch in Ordnung - weshalb ich die erste Mahlzeit meines Tages „with a view“ genoss. Das Buffet war sehr gut ausgestattet allerdings gab es zu meiner großen Enttäuschung keinen Kaffee. Lediglich die Variante zum Auflösen, doch auch dafür fehlte das heiße Wasser. Krise. In dem Moment in dem ich beschloss mir auf meinem Weg zum Startpunkt, einen Kaffee beim Bäcker zu holen, tauchte neben meinem Tisch plötzlich eine Bedienung auf. „Was darf ich ihnen zum Trinken bringen?“ Mein Morgen war gerettet.

    Nach dem Frühstück lief mir die Zeit davon. Bis 10 Uhr musste ich ausgecheckt haben, was wiederum bedeutete, dass ich eine halbe Stunde Zeit hatte, um meinen Rucksack sowie die Tasche mit den Sachen, die in der Pension bleiben sollten, zu packen. Ich wollte nochmal, zu meiner eigenen Beruhigung, alles entspannt durchgehen. Seien wir ehrlich: Die Ruhe selbst stand da gerade nicht in meinem Zimmer. Zu allem Überfluss krümelte ich beim Anmischen meiner Elektolyte. Die weißen krümeligen Rückstände sahen eher aus als würde ich mir mit illegalen Mitteln Energie zuführen wollen. Ich versuchte die Krümel zu beseitigen aber in meiner Hektik machte ich es eher schlimmer als besser. Sollen die Reinigungskräfte doch denken was sie wollen. Kurz nach 10 nahm ich meine sieben Sachen und ging mit einem Abstecher über die Rezeption zur Bushaltestelle.

    Nun war ich wieder voll im Zeitplan. Beim Warten auf den Bus füllte sich die Bushaltestelle. Kurz vor seiner Ankunft war es brechend voll. Diese Tatsache störte mich weniger als jene, dass ich schon wieder kein Ticket hatte. Ursprünglich war geplant, dass ich von meiner Pension einen Wochenpass für die öffentlichen Verkehrsmittel ausgehändigt bekomme. Normalerweise ist das hier so üblich, wenn man dem Internet glauben schenken durfte. Vertrauen ist gut, Kontrolle besser. Weswegen ich mich bei meiner Pension vorab per Mail absicherte. Aus welchen Gründen auch immer hatten sich die Bedingungen kurz vor meiner Ankunft wohl geändert oder ich hatte eine falsche Auskunft bekommen. Alles ist möglich. Das Outcome blieb: Keine Fahrkarte. Im Bus sollte ich allerdings eine erwerben können, sodass ich mich zwang ruhig zu blieben. Tatsächlich. Nach kurzen Verständigungsproblemen mit dem Busfahrer bekam ich ein Ticket. Zudem hatte ich sogar das Glück einer der letzen Sitzplätze im völlig überfüllten Bus zu bekommen - premium!

    Auf der Fahrt machte ich mir nochmal Gedanken über meine Unterhaltung mit dem Busfahrer. Interessanterweise sprach dieser ausschließlich italienisch und bat mich um den Namen meiner Destination auf seiner Sprache. Geografisch waren in Italien, demzufolge sein klares Recht. Ich war nur etwas überrascht, da mich bis dato jeder auf Deutsch ansprach und alles mindestes zweisprachig (Deutsch und Italienisch), wenn nicht sogar dreisprachig (Englisch) war. Ich hatte es gar nicht weiter hinterfragt und fühlte mich kurzzeitig sehr egoistisch. Ich sollte mich unbedingt nochmal belesen welche Landessprache Südtirol hat und wie die historischen Hintergründe sind. Aber dazu später, sonst verpasse ich womöglich noch meinen Ausstieg.

    Dies war eine gar nicht so weit hergeholte Befürchtung. Ich durfte feststellen, dass die Anzeige der Halte defekt war und der Bus nur dann hielt, wenn jemand drückte. Super! Wie sollte ich denn jetzt wissen wann ich drücken muss? Es fiel mir sehr schwer einen klaren Gedanken zu fassen, da die Fahrt etwas von einen Ausflug in den Freizeitpark hatte. Die Serpentinen nahmen wir sehr schwungvoll und das flaue Gefühl wie bei einer Achterbahnfahrt schlich sich in meinen Magen. Zu allem Überfluss kam das Gefühl auf, dass der völlig überfüllte Bus die Berge nicht mehr hochkommen würde. Es sah weder vertrauenserweckend aus noch klang es so. Mir war schlecht. Ich redete mir ein, dass der Busfahrer schon wissen würde was er tue und konzentriere mich wieder auf mein Ziel und darauf meinen Halt nicht zu verpassen. Google Maps half mir dabei zuverlässig.

    Ich war da. Station Jagertal in Tiers, Weisslandbad. Von hier aus sollte es losgehen. Ich nahm noch ein paar Sicherheitseinstellungen an meiner Garmin Uhr vor, sodass man mich im Falle eines Falles orten konnte (nicht, dass ich davon ausging das es von Nöten sei, nichtsdestotrotz gab es mir ein besseres Gefühl) und dann ging es los. Es waren wolkenlose 17 Grad bei Sonnenschein - bestes Wanderwetter. Ich startete bei 1.140 Höhenmeter und mein Ziel waren 2.140. Heute würde ich demzufolge genau 1000 Höhenmeter machen, auf einer Distanz von 7,3 Kilometern, ob ich mir das gut überlege hatte?

    Mit Blick auf mein getaptes Knie und belustigt über den Spruch meiner Freundin Franzi „Ich sehe schon die Bräunungssttreifen!“ stapfte ich meines Weges. Keine 200 Meter weiter hatte hielt ich das erste Mal an. Mein Rucksack war nass. Oh nein. Innerlich setzte ich Stoßgebete ab, lass es bitte nicht meine Wasserblase sein. Bitte, bitte nicht! Fehlalarm. Ich hatte völlig umsonst meinen Rucksack einmal aus und wieder eingeräumt. Augenscheinlich hatte ich den Rucksack nur in etwas Nasses gestellt. Aber besser so als anders.

    Es fiel mir schwer Ruhe zu finden. Ich redete mir ein ich sei entspannt, meine Handlungen ließen aber auf etwas Anderes schließen. Ständig zupfte ich an meinen Klamotten oder meinem Rucksack, alles wollte irgendwie noch nicht so recht sitzen. Erst drückte etwas hier, dann war da etwas nicht ok.. Meine Güte, man kann sich das Leben auch selber schwer machen. Endlich hatte ich die Position für meinen Rucksack gefunden und beschloss ihn jetzt einfach da zu lassen wo er ist. Ich konzentrierte mich auf meine Umgebung: Quellen rauschten, geschnittenes Holz am Wegesrand verströmte seinen Duft. Herrlich!

    Die Quellen, die ich passiere waren ein Traum. Wunderbar kühl und für eine kurze Erfrischung ideal. An der Dritten, ca. Auf der Hälfte meines Weges füllte ich meine Trinkblase auf. Ihr Name war „Hohen Steg“ und man sagte ihr eine heilsame Wirkung nach - Ich bin gespannt. Ich füllte meine Trinkblase. Die drei Kilo mehr auf dem Rücken waren Trinkmotivation genug.

    Wie eine kleine Dampflock machte ich Höhenmeter um Höhenmeter. Ich war zwar nicht schnell aber immerhin kam ich stetig voran aber mein Atmen wurde immer lauter. Ich sag ja Dampflock. Es lief soweit gut. Zwischendurch machte ich immer mal wieder kurz Halt, um die Aussicht zu genießen, ehrfürchtig die Berge zu bestaunen und hier und da ein Foto zu machen. Ich kam gut voran und das Ziel rückte näher.

    Doch dann kamen die letzen 800 Meter mit den letzten 100 Höhenmetern - es war die Hölle. Die Muskeln meines rechten Oberschenkels machten komplett zu. Es war einfach nur ein einziger Schmerz. Naja immerhin keine Knieschmerzen dachte ich, doch mein Galgenhumor half nur bedingt. Vieles kann man ignorieren aber Schmerz nicht. Ich schaute immer wieder vom Weg auf meine Uhr und wieder zurück von der Uhr auf den Weg. Ich bewegte mich, zumindest zeigten mir das die Schritte meiner Füße. Aber gefühlt stand ich. Es machte keinen Unterschied, ob ich stand oder ging, der Weg wurde nicht weniger vom Schmerz ganz zu schweigen. Ich hatte bereits meine Stecken ausgepackt aber auch das war mäßig hilfreich. Ebensowenig meine Dehnübungen, die für einen Dritten sehr lustig ausgesehen haben müssten - zum Glück schaute keiner zu. Weit und breit kein Mensch und ich war dabei mich zu fragen, ob man hier wohl auch Campen kann. Nein, natürlich nicht. Schwachsinnsidee. Man! Bei der Tour an meine Grenzen kommen? Okay, aber doch bitte nicht am ersten Tag! Ich begann mich selbst zu nerven. Hör auf zu jammern, das Stück wirst du ja jetzt wohl auch noch schaffen, wies ich mich in Gedanken zu recht. Mit mäßigem Erfolg. Ich merkte wie ich in eine Mimimi-Stimmung verfiel. Nun hatte ich auch noch Hunger. Ha! Was zu essen? Gibt’s erst auf der Hütte! Also reiß dich am Riemen und geh jetzt da hoch! Erpressung half erstaunlich gut. Ich kann nicht behaupten, dass ich weniger Schmerzen hatte aber sie interessierten mich abfallend. Ich konnte nur noch an etwas Warmes in meinem Bauch denken. Etwas, das ich mir auch wirklich verdient hab. Dann kam noch der Gedanke an die Dusche und saubere Klamotten, die Höhenmeter gingen sich auf ein Mal wie von selbst. Immer im Blick hatte ich eine Fahne am Gipfel. Dort war sicher das Haus. Endlich hatte ich ein mentales und ein optische Ziel, das war es was mir vorher fehlte. Und endlich stand ich neben der Fahne, am höchsten Punkt des Tages und hinter ihr zeigte sich die Grasleiterhütte - mein zu Hause für diese Nacht. Mein Gesicht bestand nur noch aus einem breiten Grinsen. Ich war so unendlich dankbar. Ein Blick zurück offenbarte mir, dass sich der Weg sowas von geloht hatte. Ich hatte eine traumhaften Blick ins Tal. Nun waren es nur noch etwas über 300 Meter bis zur Hütte, auf einem recht schmalen Schotterweg, an dem es rechts nicht unwesentlich in die Tiefe ging. Hallo Höhenangst. Ich verbot mir genauer darüber nachzudenken. Stattdessen wandte ich mein gelerntes Schulwissen an: Man kann nicht gleichzeitig Singen und Angst haben - somit besang ich meinen restlichen Weg. Das nächstbeste Lied, dass mir einfiel war aus Bären Brüder „On my way“. Angstfrei trällernd und gut gelaunt ging ich bis zur Hütte.

    Ich kann nicht sagen woran es lag aber sobald ich dir Grasleiterhütte betrat hatte ich das Gefühl Heim zu kommen. Es machte sich durch ein wohliges Gefühl im meiner Brust bemerkbar und wurde durch den herzlichen Empfang von den Gastwirten bestärkt. Hier war man willkommen. Man war nicht nur ein Gast, nein für die Zeit des Aufenthalts gehörte man zur Familie, die sich aus allen Besuchern dieser Hütte zusammensetze.

    Es tat gut mal wieder mit jemandem zu reden. Auch wenn’s nur über das Essen und die Abläufe im Haus waren. Mir fiel auf, dass ich heute außer „Hallo“ in allen möglichen Sprachen nichts groß gesagt hab. Verrückt! Dabei rede ich sonst so viel. Aus meinen Gedanken wurde ich mit der Beglückwünschung gerissen, dass ich ein Einzelzimmer bekam. Wow! Ich hatte gar keins gebucht - coole Sache.

    Dann ging’s auf mein Zimmer und unter die Dusche. Ich bekam eine Duschmarke, die mir 20 Liter warmes Wasser bescheren sollte. Hat sich jemand von euch mal Gedanken darüber gemacht wie viele Liter er beim duschen verbraucht? Ich auf jeden Fall nicht. Klar war mir zumindest, dass es eine kurze Duscheinheit werden würde. Können Frauen nicht? Von wegen! 20 Liter sind nicht die Welt, reichen aber vollkommen. Es hat mich auf jeden Fall für mein künftiges Duschverhalten sensibilisiert. Ein weiterer Luxus auf den ich verzichten musste war ein Fön. Bei meiner Haarlänge ist das wirklich ein schmerzlicher Verlust. Aber ich bin nicht im Sternehotel sondern auf einer Schutzhütte, also hieß es sich anzupassen. Viel Spülung hatte ich schon beim Duschen in die Haare gegeben, sie anschließen mit dem Mikrofasertuch gut getrocknet, dann noch ein bisschen geheadbangt und den Rest musste jetzt die Luft erledigen.

    Bevor es um 18.30 Uhr Abendbrot gab rollte ich mich mit meiner Mini Blackroll und einem Kochlöffel aus. Lustig sieht’s aus, schmerzhaft ist’s und geholfen hat’s. Das ich heile angekommen bin konnte ich niemandem mitteilen. Hier oben gabs kein Netz. Ein wirklich angenehmes Gefühl, da dasHandy zwangsläufig zur Nebensache wird. Aber dennoch komisch Familie und Freunden daheim nicht sagen zu können, dass man heile angekommen ist.

    Beim Abendessen saßen wir zusammen an Gruppentischen. Leider kamen die vier Personen, die zu meinem Tisch gehörten nicht. So saß ich dort zunächst allein. Am Nachbartisch beobachtete ich ein Gruppe Männer verschiedener Altersgruppen, die mir sehr sympathisch erschien. Wie der Zufall es wollte war noch ein Platz an ihrem Tisch frei. Ich fragte, ob besagter Platz noch frei sei und wenn, ob es okay wäre, dass ich mich dort hinsetze. Strahlende Gesichter blickten mit entgegen und meine Frage wurde wie selbstverständlich bejaht. Direkt wurde etwas Platz auf dem Tisch gemacht und schon gehörte ich dazu - besser hätte es nicht sein können.

    Es stellte sich heraus, dass ich meinen Tisch mit Johannes aus Lübeck seinen zwei Söhnen Jakob und Johann sowie seinem Patenkind Christian teilte. Ebenfalls beehrte und ein älterer Herr namens Anton. Wir unterhielten uns über unsere Touren, aßen, lachten und spielten Gesellschaftsspiele. Als wir wieder auf die Uhr schauten war es bereits 22 Uhr. Zeit fürs Bett.

    Wieder im meinem Zimmer stellte ich fest, dass es gewitterte. Regen prasselte unaufhörlich gegen mein Fenster und in der Ferne krachte der Donner. Glücklich wohl behütet in diesen vier Wänden zu sein kuschelte ich mich in mein Bettchen und schlief ein.

    Erkenntnis des Tages: Hunger versetzt Berge.
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  • Day 3

    Slowly, slowly.

    August 27, 2021 in Italy ⋅ ☀️ 10 °C

    Es weckten mich klappernde Türen und Getrampel auf dem Flur. Sechs Uhr - Leko mio. Nein, nein, nein, ich bin noch nicht bereit für den Tag. Um 7.30 Uhr war ich es dann allmählich. Ich stand auf und es trat ein was ich befürchte, meine rechte Hüfte hatte über Nacht leider keine Wunderheilung erfahren. Gut, dann eben Schmerzbekämpfung durch Unterdrückung. Ich schmierte eine ordentliche Ladung Voltaren auf die entsprechende Stelle und humpelte erstmal zum Frühstück. Nach einem Kaffee sieht die Welt meist schon wieder ganz anders aus.

    Im Essenssaal traf ich dann auf die gewohnten Gesichter von gestern Abend. Die Wirte hatten mich bereits diesem Tisch zugewiesen, sodass dieser Tag begann wie der gestrige endete: Mit guten Gesprächen bei leckerem Essen.

    Es zeigte sich, dass Johannes schon viele Touren in dieser Gegend gemacht hatte und dadurch auch sehr vertraut mir dieser Region war. Aus diesem Grund stellte ich ihm meine gestrige Frage zum Thema Sprache in Südtirol und wurde nicht enttäuscht. Er erklärte mir sehr anschaulich, dass Südtirol eine eigene Provinz, die zusammen mit der Provinz Trient die autonome Region Trentino-Südtirol bildet. Geografisch gehört sie zu Italien aber die meisten Südtiroler fühlen sich als „Pass-Italiener“, weshalb überwiegend österreichische Kultur gelebt wird. Die historischen Hintergründe dafür liegen im ersten Weltkrieg. Er meinte es sei auch eher die Ausnahme, dass man, wie ich bei meinem Busfahrer, auf Personen trifft die ausschließlich italienisch sprechen. Ich nahm mir vor mich dazu nochmal genauer zu belesen, die Geschichte interessierte mich nun umso mehr.

    Nach dem Frühstück verabschiedet wir uns, wünschten uns gegenseitig eine gute Weiterreise und jeder ging wieder seiner Wege.

    Mein Weg führte mich zunächst zurück in mein Zimmer. Um neun mussten diese geräumt sein, sodass ich mein Wanderoutfit zusammensuchte und den Rest überraschend routiniert in meinem Rucksack verstaute. Von dem gestrigen Unwetter war heute nichts mehr zu erkennen, es war wunderbar sonnig bei wanderfreundlichen, frischen 10 Grad. Demzufolge entscheid ich mich für leichte aber lange Kleidung. Im Anschluss an das Packen verließ ich mein Zimmer, putzte Zähne und machte mich auf den Weg zurück zu den Gemeinschaftsräumen im Erdgeschoss. Es war kurz nach neun und bis auf die Hausangehörigen, die gerade fleißig die Hütte reinigten, war niemand mehr da. Ich bin wohl heute ein late bird… Während ich am Empfang meine Rechnung beglich, wurde mir klar, dass ich noch nicht bereit war weiterzulaufen. Vor allem nicht körperlich. Ob ich mir wohl noch eine Pause erlaube? Kaum, dass sich dieser Gedanke einschlich begann ich mich innerlich dafür zu rechtfertigen. Ich ärgerte mich über meine Schwäche. Ich kann doch jetzt durch eine Pause nicht einfach zugeben, dass ich nicht in der Lage bin weiter zu gehen. Aber wem war ich denn Rechenschaft schuldig? Richtig! Niemandem außer mir selbst! Niemand wartete im Ziel auf mich und niemandem musste ich erklären, dass ich noch nicht weiter gehen kann und will. Also was soll’s: Meine Wanderung, meine Regeln. Ich hatte keinen Zeitdruck, somit peilte ich als neue Aufbruchszeit 11 Uhr an. Wenn schon late bird, dann auch konsequent!

    Hinterm Haus waren ein paar Hängeschaukeln aufgehängt in denen ich es mir gemütlich machte. Ich bereute es keine Sekunde. Was für eine Aussicht! Von hier konnte man direkt ins Tal und auf die gegenüberliegenden Berge blicken - absolut atemberaubend! Zusätzlich schien die Sonne direkt auf meinen Platz. So ließ es sich schaukelnd, berieselt von meinen Lieblingsliedern und gut eingepackt einige Zeit aushalten.

    Gegen halb zwölf fand ich dann auch meinen Weg „back on Track.“ Ich war zwar weit weg von schmerzfrei aber eine ordentliche Dröhnung Ibu in Kombi mit der Voltarencreme machten einen guten Job. Außerdem war ich nun auch mental bereit für meine heutige Herausforderung: Aufgeben ist keine Option!

    Meine heutige Tour war kein Spaziergang. Es ging direkt in die Vollen. Kein Einlaufen kein Herantasten. Ich startete auf dem sogenannten Molignonpass: 440 Höhenmeter auf einer Distanz von 1,8 Kilometern bei einer Steigung von bis zu 45 Prozent - Ciao Kakao, das wird ne Challenge. Ich ging ein paar Schritte als ich beschloss, dass ich das Ganze Unterfangen besser von Anfang an mit meinen Stecken bewältigen sollte. Somit bleib ich stehen und während ich mich neu sortierte überholte mich ein italienisches Pärchen. Sie grüßten höflich (weshalb sich auch die Nationalität erschloss) und alsbald machte ich mich drauf ihnen zu folgen. Es dauerte nicht lange, da hatte ich sie wieder überholt. Ihn traf ich kurze Zeit später vor meiner ersten Herausforderung des Tages. Ein kleines sehr schmales Stück. Links der Felsen mit einem Stahlseil zum festhalten, rechts kilometerweiter Abhang. Es kam kurz Panik in mir hoch. Was zur Hölle hatte ich mit bitte dabei gedacht? Ich blieb stehen und starrte den Weg an. Das bleibt ihm nicht verborgen. Er begann mir auf Englisch und mit Gesten zu erklären was zu tun war. Die Stecken beide in die rechte Hand, mit der Linken das Stahlseil anfassen und rechts mit beiden Stecken stützen. Er lächelte mir aufmunternd zu und bedeutete mir auf seine Freundin zu warten. Ok. Half ja alles nichts. Es gab nur dieses Weg. Ich tat wie mir geheißen und es ging erstaunlich gut.

    Dann eröffnete sich mir die eigentliche Challenge des Tages. Ich stand einem von Bergen gesäumten Tal in dem es nichts gab außer Steine und steile Abhänge. Irgendwo hier musste ich hoch. Das ist ja wohl ein Scherz! Ich weiß nicht was ich erwartet hatte als ich mich vorab mit der heutigen Tour befasste. Steiler Anstieg? Okay. Aber doch bitte nicht so! Naja, vielleicht ist ja auch alles nicht so dramatisch wie es scheint. Meinen Weg in diesem Geröllfeld hatte ich schließlich noch nicht gefunden. Ich ging ein Weilchen geradeaus und hielt Ausschau nach dem Aufgang. Die Karte auf meiner Uhr bedeutete mir, ich sei nicht mehr ganz auf der Route aber ich konnte sie auch nirgends entdecken.

    Plötzlich pfiff es hinter mir. Nicht despektierlich. Im Gegenteil, es war eher ein auf sich aufmerksam machen. Ich fühlte mich angesprochen. Gut, bei der Masse an Menschen, die hier rumliefen (nicht) war das auch naheliegend. Ich drehte mich also um. Es war wieder mein italienisch Freund. Er winkte mir zu und zeigte mir, dass der Weg auf seiner Höhe begann. Gut, also wieder zurück.

    Er warte wieder auf seine Freundin. Also schenkte ich ihm ein dankbares Lächeln und machte mich an den Aufstieg. Der hatte es in sich. Ich gab mir keine Chance groß darüber nachzudenken was ich hier eigentlich gerade mache. Stattdessen gab ich auf meinen Untergrund acht und setze einen Schritt vor den anderen - es musste ja voran gehen. Der Weg führte in Serpentinen hinauf. Zwischendurch hielt ich immer mal wieder kurz inne, trank einen Schluck, beruhige meine Atmung und setzte meinen Weg fort. Weiter unten konnte ich beobachten, dass die beiden Italiener es mir gleich taten.

    Kurze Zeit später, es wurde immer steiler und ich immer langsamer, holten die beiden mich ein. Er begann sofort ein Gespräch, welches er mit „Slowly, slowly“ einleitete. Er erklärte mir, dass seine Freundin ebenfalls Angst hätte, da es hier so steil runter ging. Moment mal. Sagte ich, dass ich Angst habe? Niemals hätte ich das vor einem Fremden zugegeben aber offenbar stand mir das ins Gesicht geschrieben. Sie gingen an mir vorbei und er sagte wieder „Slowly, slowly and go left (also auf der Innenseite vom Weg).“ ich rief ihn hinterher „ Thank you. I keep that in mind.“ Ich hörte noch wie er seiner Freundin auf italienisch Mut zu sprach und ihr Tipps gab was sie bestmöglich machen soll - sehr süß! Als sie außer Hörweite waren tat ich wie mir geheißen und machte mich wieder langsam auf den Weg. Es dauerte nicht lange, da stand er wieder vor mir. Er hatte seine Freundin vorgeschickt, um ein Foto von ihr zu machen. Also wartete ich. Auf einmal drehte er sich zu mir und sagte er würde mir helfen. Ich solle ihm bitte meine Hand reichen. Er erklärte sich noch, dass es nur für einen kurzen Abschnitt ist und er mir lediglich helfen wolle. Doch er hatte schon viel weiter unten am Berg mein Vertrauen gewonnen. Ich empfand absolut kein Misstrauen ihm gegenüber (völlig untypisch für mich) weswegen er meine Hand noch vor Beendigung seiner Erklärung in seiner hielt. Ich musste einen Schritt nach oben gehen und dann um eine Rechtskurve. Der Weg war nicht breit und ein flüchtiger Blick nach links verriet mir außer diesem schmalen Grad gibt hier nur endlose Tiefe. Ich lies mich von seiner Hand führen und tat was er tat. Es dauerte keine 20 Sekunden und wir hatten die kritische Stelle passiert. Er lies meine Hand wieder los, fragte mich ob ich okay sei und wir gingen weiter. Wow. Ich hatte nicht um Hilfe gebeten. Ich hatte mich nicht mal innerlich darum gehofft, dass ich welche bekomme und dennoch war es genau das was ich brauchte. Ich war unendlich dankbar.

    Der Berg war noch nicht geschafft. Als würde er meine Gedanken lesen rief es auf einmal „Only fifty minutes left. Maximum. Go slowly, slowly!“ Okay, weit war es folglich nicht mehr. An einer relativ steilen Stelle, welche aber verhältnismäßig leicht zu absolvieren war hatten wir Gegenverkehr. Die Italiener gingen voran. Danach wartete ich bis die entgegengekommenen Personen den Weg passiert hattet, sodass ich mich in Ruhe an das Stück wagen konnte. Easy. Auf einmal fand ich mich alleine in den Bergen wieder. Die Italiener waren nicht mehr zu sehen und auch den gerade durchgelassen Gegenverkehr konnte ich nicht mehr erspähen. Ich beschloss einen Schluck zu trinken ein Foto zu mache und mich dann wieder an den Weg zu wagen. Plötzlich erblickte ich ein bekanntes Gesicht vor mir, welches mir zurief „Are you okay?“ Ich musste schmunzeln, er hatte es wieder geschafft mich zu überraschen. Diesen Mann schickte echt der Himmel. Während ich ihm versicherte, dass es mit gut ging kam er bis zu mir zurück, um auch das letze Stück mit mir gemeinsam zu absolvieren.

    Oben angekommen sagte er „You did it! Take a short break and enjoy the view!“ Ich bedankte mich für seine Hilfe aber er winkte es wie selbstverständlich ab. Seine Freundin, die kein Englisch sprach saß nun neben mir. Da ich zwar marginal italienisch verstehe aber nichts sprechen kann tauschten wir uns mit Gesten über unsere gerade gemachte Alpine-Erfahrung aus. Das ging erstaunlich gut. Wir waren beide sehr stolz und erleichtert und gratulierten uns gegenseitig zu dieser tollen Leistung.

    Während der „Unterhaltung“ fiel mein Blick auf das Schild hinter ihr. Dort war neben den üblichen Wegweisern ein weiteres Schild angebracht auf dem „Skymarathon“ stand. Ist das zu fassen? Es gibt nicht nur Leute, die diesen Weg in Form einer Wanderung absolvieren, nein auch welche, die ihn laufen. Als Teil einer 42 Kilometer langen Strecke. Auf Zeit. Verrückt!

    Ich wurde aus meinen Gedanken gerissen als meine italienischen Freunde zum Aufbruch ansetzten. Bevor sie gingen erkundigte ich mich noch nach ihren Namen. Meine Begleiter hießen Oskar und Nadja. „Bye“ war das letzte Wort, welches wir austauschten bevor jeder seiner Wege ging.

    Auf dem Weg zur Tierser Alp, meinem kulinarischen Zwischenziel für heute, kam ich ins Nachdenken. Es war schon verrückt. Hätte mein Körper heute Morgen keine Startschwierigkeiten gehabt, hätte ich Oskar nie getroffen. Ich weiß nicht wie es mir auf dem Molignonpass sonst ergangen wäre, denn rückblickend kann ich nur sagen: Ich hatte keine Angst. Keine einzige Sekunde. Oskar sei dank. Er wusste was ich brauchte bevor ich es selber wusste. Mir von einem Fremden helfen zu lassen? Eigentlich undenkbar. Eigentlich… Keine Ahnung wie er das gemacht hat. Am Ende des Tages auch vollkommen egal. Ich bin einfach nur dankbar, dass wir uns begegnet sind.

    Ein fröhliches Pfeifen hinter mir holte mich wieder zurück ins Hier und Jetzt. Ich kraxelte gerade umständlich den Hang zur Tierser Alp runter während ich hinter mir die Quelle für das Pfeifen ausmachte. Einer dieser verrückten Marathonläufer in Training. Was auch sonst? Er hüpfte, als wäre es das Leichteste auf der Welt, den Berg runter. Ich hielt an und klammerte mich leicht verkrampft am Stahlseil fest, damit er mich überholen konnte. Wenn ich’s nicht besser wüsste, würde ich behaupten er stammt von einer Bergziege ab. Belustigt über diesen Gedanken absolvierte ich nun auch noch das letzte Stück und im nächsten Moment saß ich bei einem warmen Apfelstrudel mit Vanillesoße und einem Cappuccino auf der Tierser Alp.

    Bei einem Blick auf meine Uhr blieb mir fast das Stück Kuchen im Hals stecken. Die ETA (kurz für estimated time of arrival, also die voraussichtliche Ankunftszeit) zeigte 18.30 Uhr. WTF? Um spätestens 18 Uhr hatte ich den Check in meiner Hütte für heute Nacht zugesichert. Das kann nicht sein. Selbst mit sehr großzügigem Rechnen konnte ich für den bevorstehenden Abschnitt nicht mehr so lange brauchen. Es war kurz nach zwei. Meine ganze Etappe war für knapp vier Stunden angesetzt. Wie sollte ich nachdem ich bereits das härteste Stück absolviert hatte nun noch mehr als die ganze Etappenzeit benötigen? Ich versuchte mich zu beruhigen. Es half nicht. Hatte ich einen Fehler gemacht? Hatte ich etwas übersehen? Ich hab die Tour selbst geplant also war das nicht ausgeschlossen. Aber auf Komoot (die Wanderapp mit der ich arbeite) war sonst immer Verlass. Ich schaute also nochmal aufs Handy. Die Prognose hier stimmte. Okay. Dann spinnt vielleicht die Technik in meiner Uhr? Tatsächlich. Es war ein Blick auf den Serviettenständer vor mir, der mir endlich wieder zur innerer Ruhe verhalf. Auf jeder Serviette war etwas ausgedruckt. Bei genauerem hinsehen zeigte sich es waren alle Etappenziele, die von hier zu erreichen sind inklusive Wegzeit. Schlernhaus: 2 Stunden. Ich machte einen innerlichen Freudensprung, alles war gut.

    Ich besann mich den Apfelstrudel, zumindest das Bisschen, dass ich in meiner aufkeimenden Panik noch nicht in mich hineingeschlungen hatte, zu genießen. Dabei schmeckte so gut, als sei es ein Ganzes gewesen.

    Weiter geht’s! Der zweite Abschnitt meiner Tagestour war landschaftlich sehr schön. Öfter hielt ich an um die Aussicht zu bestaunen und die Atmosphäre in mich aufzunehmen. Wie schön ist es hier bitte? Ich machte mal hier ein Foto, mal dort eins. Zwischendrin hielt ich nochmal an und packte meinen Selfiestick aus, welcher auch als Stativ zu verwenden war. Interessanterweise war mir das dann doch recht unangenehm als Leute vorbei kamen. Im Grunde war es ja nichts anderes als würde jemand anders ein Foto von mir machen, nur das dieser jemand eben ein Stativ ist.

    Nach meinem Mini-Fotoshooting empfand ich das letzte Stück sehr zäh. Die Hütte konnte Man schon lange im der Ferne erblicken aber sie wollte verdammt nochmal nicht näher kommen!

    Um kurz nach fünf war ich dann da. Endlich! Ehrlicherweise reichte es mir auch für heute. Am liebsten hätte ich nur noch geschlafen. Ich wollte auch niemanden mehr sehen. Ich war völlig erschöpft. Aber es kam dann doch etwas anders. Schön anders.

    Nach dem Check in und Erwerb einer Duschmarke für 3,50€ gönnte ich mir erstmal eine heiße, dreiminütige Dusche ohne Haare. Die sahen noch okay aus und außerdem wars auch mit trockenen Haaren schon kalt genug. Refreshed und mit sauberen Klamotten setzte ich mich noch auf die Bänke vors Haus, um die letzten Sonnenstrahlen des Tages einzusammeln. Hier hatte ich dann auch mal wieder ein bisschen Empfang, sodass ich die ein oder andere Nachricht beantworte und versuchte meinen Tagebuch von gestern hochzuladen. Der Upload sollte er Stunden später abgeschlossen sein. Aber immerhin.

    Im Essenssaal teilte ich meinen Tisch mit drei Herren im Alter um die 60. Völlig untypisch für mich bedachte ich sie lediglich mit einem „Guten Abend“ widmete mich der Karte, bestellte und schwieg. Ich hatte keine Lust auf Konversation. Doch damit ließen sich die drei nicht abspeisen. Nach einer Weile des Schweigens wurde ich in einem tiefen (wie sich später rausstellte Augsburger) Dialekt gefragt, ob ich mich noch an die drei erinnerte. Ohje. Ich hatte keine Ahnung. Verlegenes Lächeln meinerseits. Sie erzählten mir, dass sie gestern auch in der Grasleiterhütte waren und heute den Tisch neben meinem auf der Tierser Alp verließen als ich kam. Ich hatte sie überhaupt nicht wahrgenommen. Ich versuchte das zu überspielen, kannte mich aber, meine Augen verreiten mich. Sie schienen es mir nicht zu verübeln. Puh.

    Ehe ich mich versah schafften sie es aus unserer Runde eine nette Gemeinschaft zu machen. Sie hatten viel zu erzählen und es machte Spaß ihnen zuzuhören. Ich musste, wie es mein heimlicher Wunsch war, kaum etwas sagen und das tat so unglaublich gut. Zwischendurch verabschiedete ich mich in die Kälte nach draußen, um den Sonnenuntergang mit Augen und Kamera einzufangen. Dies tat das der angenehmen Atmosphäre keinen Abbruch. Im Gegenteil. Bei meiner Rückkehr hatten sie mittlerweile Bilder ausgekramt, die den Erzählungen noch mehr Farbe verliehen. Seit 2015 gehen die drei jedes Jahr, zur selben Woche gemeinsam auf eine Kletter-/Wandertour. Kennengelernt haben sie sich auf der Arbeit und alle waren sich einig: Es ist nie zu spät für irgendwas. Sie hatten erst mit 50 begonnen zu Klettern und das hat mich sehr beeindruckt. Ich erzählte von meiner Höhenangst und sie ermutigten mich im Rahmen der Vernunft auch zu schauen was das Leben noch für mich bereit hält. Schließlich säße ich ja jetzt auch hier bei ihnen am Tisch, weil ich eine Wanderung alleine geplant und durchgeführt hatte. Ob ich das vor ein paar Jahren gedacht hätte? Sicher nicht. Mit viel Inspiration für weitere Touren verabschiedete ich mich gegen 22 Uhr ins Bett. Meine Schlafenszeit war begrenzt, ich wollte Morgen den Sonnenaufgang am Gipfel sehen. Sie wünschten mir dafür einen wolkenlosen Himmel und eine erholsame Nacht.

    Ach hatte ich erwähnt, dass ich schon wieder ein Einzelzimmer bekommen hab? Ich hatte wohl einen run. Selbiger hätte mir wohl gerade gut getan, denn ich fror. Nicht nur ein bisschen. Nein, ich stand zähneklappernd in meinem Zimmer. Ich feierte mich für die Entscheidung, meine Haare trocken gelassen zu haben doch änderte das wenig an meinem Temperaturempfinden. Es war wohl Zeit für meinen Schlafsack. Diesen hatte ich neben meinem Hüttenschlafsack eigentlich nur mitgenommen, da ich vorher darüber informiert wurde, dass die Coronabedingungen die Ausgabe von Decken und Kissen untersagte. Das hatte sich vor meiner Abreise aber wohl nochmal geändert, denn sowohl hier als auch in der gestrigen Hütte hatte ich beides. Jetzt zeigte sich, dass er definitiv kein unnötiger Ballast (wenn auch nur 450g schwer, läppert sich aber) und mit seinen 90€ jeden Cent wert! Es kostete kurz Überwindung die langen Sachen gegen kurze zu tauschen, um dann in den Schlafsack zu schlüpfen. Decken drüber, Mütze auf, alles zuziehen und so lag ich dann da. Ein Würmchen mit Nase unter einem Berg von Decken. Was soll ich sagen? Gefroren hab ich nicht mehr lange und konnte endlich einschlafen.

    Erkenntnis des Tages: Hör’ auf deinen Körper, er wird dir deinen Weg weisen.
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  • Day 4

    Ende gut, alles gut.

    August 28, 2021 in Italy ⋅ ⛅ 13 °C

    Um kurz vor vier schreckte ich hoch. Der Grund: irgendein blödsinniger Traum… An Schlaf war nun nicht mehr zu denken, ich war hellwach. Knappe fünf Stunden schienen meinem Körper zur Regeneration vollkommen zu reichen. Ich wollte meinen Tag zwar planmäßig früh beginnen aber so früh nun auch wieder nicht. Zum Glück war es kuschelig, warm und gemütlich in meinem Schlafsack-Kokon. Ich entschied mich deshalb fürs Liegenbleiben und füllte meine Zeit mit dem Schreiben an meinem Tagebuch, der Wecker würde eh bald klingeln.

    Offiziell begann mein Tag um fünf Uhr. Der Gipfel war lediglich einen Fußmarsch von 20 Minuten entfernt und die Dämmerung sollte um sechs Uhr einsetzen, weshalb ich um 5.40 Uhr aufbrach. Aber nicht ohne mich vorher dick eingepackt zu haben. Es hatte um die null Grad und ich kann nicht behaupten, dass ich kleidungstechnisch darauf vorbereitet war. Ich zog alles an was ich noch an sauberen Klamotten besaß: ein Top, ein Thermo-T-Shirt, ein Fleece, noch ein Fleece, eine lange Sporttight und darüber eine kurze Hose (in der Hoffnung, dass diese meinen Hintern vor dem Wind und damit vor dem Erfrieren bewahrt), dicke Socken, ein Stirnband darüber eine Mütze und über alles zog ich noch meine Wind- und Regenjacke – ich war die Königin des Zwiebellooks. Mein kugeliges Aussehen rundete ich mit einer Headlamp, meinen beiden Stecken sowie meinen Fingerlosen Handschuhen ab. Für Letztere schämte ich mich ehrlicherweise seit Anfang meiner Reise. Ohne sie war ein Benutzen meiner Stecken ohne Blasenbildung in den Handinnenflächen aber schlichtweg undenkbar – ein Hoch auf empfindlichen Bürohände – gerade war ich aber einfach nur dankbar überhaupt eine Art Handschuh dabei zu haben. „Ich bin hier nicht auf einer Modenschau!“ rief ich meine Eitelkeit zur Ordnung und stapfte im Lichtkegel meiner Headlamp gen Gipfel. Niemand war zu sehen, niemand war zu hören. Sollte ich tatsächlich die Einzige sein, die sich heute auf den Weg macht, um den Sonnenaufgang zu sehen?

    Nach meiner Ankunft am Gipfel aß ich als erstes, wie ich es seit meiner ersten Wanderung zu tun pflege, eine Tomate. Meine geliebte Gipfeltomate. Zugegeben es war nur eine getrocknete, aber ich wollte mit meiner kleinen Tradition nicht brechen, sodass ich um kurz nach sechs, im Dämmerlicht die leckerste getrocknete Tomate der Welt verzehrte. Das Hochgefühl des Genusses hielt leider nur kurz an, denn war es hier oben arschkalt. Im wahrsten Sinne des Wortes! Meine winddichte Jacke hielt was sie versprach, aber diese Tatsache war für meine restlichen Körperregionen, insbesondere abwärts der Hüfte, wenig zufriedenstellend. Ich suchte mir zwischen Gipfelkreuz und Geröll einen einigermaßen windgeschützten Platz und starrte Richtung Osten in den einsetzenden Sonnenaufgang. Gegen viertel nach sechs gesellten sich noch weitere Frühaufsteher zu mir. Die Ruhe endete und es entstand ein reges Treiben. Vor allem als die Frau eines älteren Pärchens kurzfristig mit ihrem Handschuh an einem Pfeiler festfror. Ich sag ja: ARSCHKALT!

    Es zeigte sich schnell, dass wir nicht viel vom Sonnenaufgang haben werden, denn dort wo sich die Sonne über den Horizont erheben würde, hatten bereits Wolkenmassen ihren Platz eingenommen. Das war nicht zwingend was ich erwartet hatte. Ich war darauf eingestellt, dass eventuell Wolken die Sicht versperren könnten, nichtsdestotrotz wurde der Anblick von Minute zu Minute frustrierender. Denn nicht nur das optische Schauspiel sollte mir verwehrt bleiben, sondern auch die Wärme, die ich so bitter nötig hatte. Ich lenkte mich damit ab die anderen zu beobachten. Zwei machten unaufhörlich Selfies, bei denen ich mich fragte, was man am Ende darauf erkennen sollte, denn außer ein bisschen Dämmerlicht war ja nichts zu sehen. Aber gut, ein Selfie mit einer Geschichte ist immerhin ein Gesprächsaufhänger. Die nächsten, die kamen brachten ebenfalls ihre Kamera mit und bei dem Montageversuch auf dem Felsen unterm Gipfelkreuz, dachte ich kurzfristig, dass die Besitzerin gleich nen Abgang macht – kein schöner Anblick! Sonst passierte nicht viel. Dann drehte der Wind. Halleluja! Jetzt wars mir eindeutig zu frisch. Ich wollte eigentlich noch aushalten, damit ich wenigstens behaupten konnte ich hätte den Sonnenaufgang auf dem Gipfel beobachtet aber am Ende hatte davon wieder nur mein Ego was. Also entschied ich mich umzudrehen und zu gehen. Das war die beste Entscheidung! Warum habe ich das nicht schon früher gemacht? Im Westen erstrahlten alle Wolken in den schönsten Lilatönen. Die Sonne sorgte zwar nicht für das erwartete Spektakel aber dennoch für ein beeindruckendes Lichtspiel im Zusammenhang mit den Wolkenmassen. Ich war begeistert. Das mir kalt war hatte ich prompt vergessen. Wie ein aufgeregtes Kind hüpfte ich hinter meiner Nische hervor und schaute mir das Farbenspiel genau an. Die in den Osten starrenden Wanderkollegen entschieden sich nach und nach für den Abstieg, sodass ich schlussendlich um viertel vor sieben wieder komplett allein am Gipfel war – schön! Nun lies auch ich es mir nicht nehmen ein paar Fotos zu machen. Saugte den Moment nochmal bestmöglich in mir auf und machte mich dann auch an den Abstieg.

    Um kurz nach sieben saß ich am Frühstückstisch. Ich war richtig stolz auf meinen heutigen Early-Bird-Lifestyle durfte aber feststellen, dass das hier oben am Berg nichts Besonderes ist. Meine Sitznachbarn von gestern Abend waren bereits beim zweiten Teller ihres Frühstücks angelangt. „Was stimmt nicht mit denen?“ Fragte mich mein Unterbewusstsein als ich registrierte, dass ich schon wieder spät dran zu sein schien. Ganz komisch. Aber gut, es war ja zum Glück kein Wettbewerb und so genoss ich den Luxus bereits warmen Kaffee am Tisch zu haben und ihn nicht erst noch bestellen zu müssen.

    In unserem Essenssaal war die Heizung defekt. Wir witzelten am Tisch darüber, dass damit der Einzige unterschied zu Draußen sei, dass es in unserem Saal windstill ist. Verrückt, vor ein paar Minuten dachte ich der Wind sei mein größtes Problem, hier drinnen sah das schon wieder ganz anders aus. Gut, ich war auch deutlich dünner bekleidet. Aber beim Frühstück frieren ist auch nicht wirklich das Gelbe vom Ei. Die Unterhaltung mit meinen Tischkollegen (von denen ich nie erfuhr, wie sie heißen) entschädigte dies jedoch recht schnell. Sehr interessiert wurde ich dazu befragt, ob ich meine Pläne von gestern Abend umgesetzt habe und den Sonnenaufgang am Gipfel beobachten konnte. Ich berichtete von meinen Erlebnissen. Im Gegenzug wurde ich über die Sage vom Zwerg Laurin und dem Rosengarten (in dem wir uns befanden) aufgeklärt:

    Es begab sich zu einer Zeit, da verliebte sich der Zwergenkönig Laurin in die wunderschöne Similde. Diese Schönheit war bereits einem anderen versprochen, weshalb der Zwergenkönig sich gezwungen sah sie zu entführen. Simildes Zukünftiger zog los, um sie zu retten. Laurin, der in einem Kampf unterlegen gewesen wäre schnallte sich seinen Zaubergürtel um, der ihm die Kraft von sieben Männern gab und setze zusätzlich seine Tarnkappe auf. Er bedachte jedoch nicht, dass man ihn zwar nicht sehen könne seine Bewegungen, durch die sich neigenden Rosen im Rosengarten aber durchaus sichtbar werden. Deshalb verlor er den Kampf. Erzürnt darüber belegte er den Rosengarten mit einem Fluch: Weder bei Tag noch bei Nacht sollte ihn jemals ein Menschenauge erblicken. Dabei vergaß er die Dämmerung und so kommt es, dass der verzauberte Garten auch heute noch seine blühenden Rosen für kurze Zeit erstrahlen lässt. Das Rotglühen der Felsen zur Dämmerung ist heute als Enrosadira (Alpenglühen) bekannt.

    Eine schöne Geschichte wie ich fand. Sie gab meinen Sonnenunter- und aufgangserlebnissen nochmal einen gewissen magischen Touch. Beseelt durch diese Erzählung und ein leckeres Frühstück verabschiedete ich mich von meinen Wegbegleitern und ging zurück, um meinen Rucksack zu packen. Einer der Männer kommentierte meinen Gang mit „Na ganz rund läufst du aber auch noch nicht.“ Womit er recht hatte. Aber es waren lediglich Anlaufschwierigkeiten, es sollte sich herausstellen, dass ein bisschen Voltaren für den Tag reichen sollte. Ob das nun an der heilenden Wirkung der Quelle lag, von dessen Wasser ich gestern noch 1,5 Liter in meiner Trinkblase hatte, an der Blackroll Behandlung oder an etwas anderem war mir am Ende egal. Es zählte, dass ich meine Reise noch entspannt und fast schmerzfrei zu Ende bringen konnte.

    Als ich wieder zurück in meinem Zimmer war überfiel mich die Müdigkeit. Mit Blick auf die Uhr und mit dem Wissen über die heute zeitliche, überschaubare Etappe gönnte ich mir noch einen kurzen Nap bevor es dann um 9 Uhr los ging. Es war die letzte Etappe meiner Tour. Wahnsinn, wie kann etwas auf das ich mich so lange gefreut habe so schnell vorbei gehen? Aber langsam. Noch ist es nicht vorbei. Ich habe schließlich noch ein paar Höhenmeter vor mir. Wer hoch hinaus wandert muss am Ende auch wieder runter – so ist das eben. Anscheinend war ich diesmal die Einzige mit diesem Plan. Alle anderen wollten hoch. Ich hatte wohl das Memo nicht bekommen. Gabs auf der Hütte, die ich soeben verlassen hatte, heute etwas umsonst? Mir kamen bestimmt 100 Wanderer entgegen und eine Frau meinte im Vorbeigehen sogar sehr überrascht an mich gewandt „Schon wieder auf dem Weg nach unten?“. Scheinbar wird ein paar Höhenmeter tiefer die Early-Bird-Mentalität wieder relativiert und ich war wieder ganz vorne dabei – hehe.

    Während ich immer wieder anhielt, um eine Personengruppe an mir vorbeizulassen stellte ich fest, dass ich Gerüche intensiver wahrnahm als von mir gewohnt. Ein junges Mädel kaute Hubba Bubba Kaugummi und bevor ich sie sah, wusste ich es. Ich konnte mich sogar genau daran erinnern, wie das Gleiche künstlich, pinke Zeug von der Rolle früher stundenlang kaute. Ich war schon immer sehr geruchsempfindlich aber was ich auf meinem Weg runter wahrnahm überraschte auch mich. Ich befand, dass ich diese künstlichen Düfte nicht vermisst hatte.

    Bei meinem nächsten Stopp kam ich aus dem Staunen nicht mehr heraus. Schleppte doch tatsächlich ein Verrückter sein Bike hier hoch. Der Schweiß lief ihm in Strömen von seinem Körper und was er da oben mit dem Ding wollte ist mir bis jetzt schleierhaft. Aber Respekt, wenn er den Drahtesel bis ganz nach oben gebracht hat, mir wäre das ohne den Ballast schon anstrengen genug. Ich war froh, dass ich bergab und nicht bergauf ging. Auch wenn meine Knie sich nach über einer Stunde des stetigen Absteigens dieser Meinung nicht ganz anschließen wollten, war ich mir einer Sache sehr sicher: Hier hoch? Das wäre ein sehr nerviger Weg geworden. Also schaute ich in angestrengte Gesichter gab von Zeit zu Zeit Auskunft wie weit es noch nach oben ist und freute mich den entspanntesten Part von uns allen zu haben.

    Im Tal angekommen war es Mittag und ich hatte großen Hunger. Ich erlaubte mir demzufolge eine Pause und machte es mir mit Blick auf die Berge auf einer grünen Wiese zwischen ein paar Kühen gemütlich. Ich aß die Reste meines Proviants und einen (frischen!!!) Apfel, den ich seit Tag eins mit mir rumtrug. Mhh lecker!

    Frisch gestärkt machte ich mich an das letzte Stück Richtung Ski-Gebiet. Noch weniger Lust als auf den Kulturschock, der mich erwarten würde, hatte ich auf die langen und sehr zähen fünf Kilometer, die noch vor mir lagen. Es war ein asphaltierter Weg, der sich einfach nicht schön ging. Aber die Aussicht war ein Traum – die Beschaffenheit des Weges wurde schnell zur Nebensache. Bis zu dem Punkt als ich wieder Bergauf laufen sollte und dann auch noch so ein bescheuertes Stück. Ich guckte den Weg an und wartete darauf, dass meine Euphorie für Höhenmeter zu mir aufschloss, während ich einen Schluck trank. Schräg hinter mir beendete gerade eine vierköpfige Familie ihre Pause und machte sich bereit zum Weiterwandern. Der kleine Sohn schien wenig begeistert von diesen Plänen. Er hatte schließlich auch schon den Weg erspäht. Auf einmal hörte ich ihn sagen „Maaaaaaamaaaaa darf ich bitte ein Motivations-Gummibärchen? Nur eins! Biiiiitteee?“ Ich begann unweigerlich zu Grinsen. Jetzt wollte ich auch ein Motivations-Gummibärchen. Aber Mama war hart und verwehrte ihrem Sohn diesen Wunsch. Er versuchte es noch ein paar Mal mit „Wirklich nur eins... Bitte.“ Aber der Erfolg blieb aus. Dann musste es jetzt wohl ohne gehen. Ich nahm mir vor mit gutem Beispiel voranzugehen und zeigte dem Kleinen, dass es kein Motivation-Gummibärchen braucht, um dieses blöde Stück Weg zu absolvieren. Ich sollte recht behalten. Aber mit dem Bärchen wäre es halt schon schöner gewesen. Beim nächsten Mal. Gedanklich bereits auf die Packliste gesetzt.

    Kaum hatte ich mich am Ende des steilen Hügels wieder gesammelt sah ich auch schon mein heutiges Ziel: Die Panorama Seilbahn. Ganz winzig klein konnte ich sie in der Ferne erspähen. Die kleinen Gondeln waren aus meiner perspektive gerade mal so groß wie Kirschen und bewegten sich unaufhaltsam im Kreis. Eine Seite fuhr hoch, die andere runter. Es dauerte nicht mehr lang und ich fand mich mitten im Ski gebiet wieder. Es war sehr touristisch und voller Menschen – nach drei Tagen Ruhe ein Kulturschock, wie angenommen. Bei meiner Ankunft an der Seilbahnstation fiel ich wortlos auf eine Bank. Ich fühlte nichts. Keine besondere Euphorie es geschafft zu haben oder Trauer, dass es nun vorbei ist. Einfach nichts. Ich saß da starrte auf die Berge und musste erstmal klarkommen. Nachdem ich mich ein wenig gesammelt hatte, genoss ich noch einmal die Aussicht von hier oben und begab mich dann zum Ticketschalter. Mein Wanderrucksack und ich hatten eine Gondel komplett für uns allein und so konnte ich auf der 15-minütigen Fahrt nach unten bestaunen wie viele Höhenmeter wir die letzten Tage absolviert hatten. Es war ein großartiger Abschluss meiner Tour.

    Unten angekommen hatte ich – natürlich – mal wieder meine Differenzen mit einem Busfahrer. Von der Station fuhren Busse in jedwede Richtungen und somit auch zum Ort meiner Pension. Ich suchte mir die Station mit dem richtigen Bus aus und stieg vorne beim Busfahrer ein. Ich lächelte freundlich, nannte ihm meine Destination und wartete auf eine Reaktion seinerseits. Er starrte mich nur an. Okay, ich dachte er versteht mich nicht und begann mich erneut mit Händen und Füßen zu verständigen. Grummelig dreinschauend kommentierte er mein Gehampel (das gar nicht notwendig gewesen wäre) auf Deutsch mit „Ja und?“ Wow! Wie kann man so unfreundlich sein?! Ich setzte also erneut an und erklärte ihm, dass ich gerne ein Ticket bei ihm erwerben möchte. Er hatte alles was er dazu benötigte direkt vor meiner Nase. Die Antwort war jedoch „Nein, hier kann man kein Ticket im Bus kaufen. Das ist ein Shuttlebus.“ Natürlich! Liegt ja auf der Hand. Okay. Höflich bleiben Viktoria, du willst was von ihm nicht umgekehrt. Ich atmete tief durch und fragte ihn, wo ich stattdessen eins erwerben kann. Er erzählte mir, dass es dafür draußen einen Automaten gäbe. Mit Blick auf die Uhr fügte er hinzu: „Du hast noch 5 Minuten, viel Glück.“ Hatte ich das vermisst… nicht! Den Automaten fand ich zum Glück recht schnell und so saß ich innerhalb meiner Frist in dem Bus und war kurze Zeit später wieder in meiner Pension.

    Es war 14.30 Uhr und ich konnte sogar verfrüht einchecken, der halbe Tag lag noch vor mir und die Sonne strahlte. Alles schien perfekt. Doch dann Platze meine Seifenblase. Mein Aufprall in der Realität war hart und äußerst unsanft. Bereits heute früh in den Berg bekam ich eine Mail von FlixBus, die mich darauf hinwies die Einreisebedingungen meines Landes zu beachten. Die drei G-regel galt wieder und meine Impfung lag noch nicht lange genug zurück. Ergo: Ich brauchte einen Test. Ich schob den Gedanken am Berg erstmal zur Seite, denn ändern konnte ich es gerade eh nicht, hier oben gab es keine Teststationen. Erst im Skigebiet begann ich mich wieder mit der Thematik auseinanderzusetzen. Erschreckenderweise konnte mir hier auch keiner so wirklich sagen, wo ich sich testen lassen konnte. Ich ärgerte mich kurz über mich selbst, denn darum hätte ich mich früher kümmern müssen – hatte es schlicht und ergreifend nicht auf dem Schirm. Mein Fehler. Kopfschüttelnd belächelte ich mich selbst: Die ganze Zeit mache mir Gedanken wie ich nach Italien reinkomme, aber wie ich am Ende wieder rauskomme, bleibt in meiner Planung unbeachtet. Es ist wie es ist, es musste eine Lösung her.

    In meiner Pension erklärte mir der Inhaber, dass er leider seit einem Monat nicht mehr dazu befugt sei Tests auszustellen. Ich fragte ihn also nach einer Alternative woraufhin er sehr still wurde. Ohje. Die Argumentation, dass schließlich Wochenende sei, half mir da auch wenig weiter. Es MUSSTE einfach eine Möglichkeit geben. Ich begann zu googlen, zu telefonieren und nach eine Stunde des Hin- und Hers fand ich eine Apotheke in Bozen, die des Rätsels Lösung sein konnte. Eine Einzige – es musste funktionieren! Ich zog mich fix um, tauschte die lang ersehnte Dusche gegen eine Deo-Wolke ein und machte mich auf den Weg zur Bushaltestelle. Unterwegs rief ich meine Mutter an. Wie schnell man wieder zum Kind wird, wenn nichts läuft, wie es soll. Ich war so unwahrscheinlich sauer, weil dieser ganze Mist mir mein entspanntes Ankommen zerstört hatte. Ich wollte, dass mich jemand in den Arm nimmt und dass das bitte gerade alles nicht wahr ist. Aber so ist das Leben nicht. Meine arme Mama. Die bekam meinen Unmut einmal volle Breitseite ab. Danke, dass du mir zugehört und nicht wieder aufgelegt hat, ich hätte mich selbst ungern am Telefon gehabt. Ich wusste, dass mir keiner helfen konnte und ich bereits auf einem guten Weg war mir selbst zu helfen, aber jetzt war der Moment gekommen, an dem ich nicht mehr allein sein wollte. Meine Mutter redete mir also gut zu aber so wirklich runter kam ich nicht. Ich weinte vor Wut. Wie kann man solche Regeln aufstellen und es dann fast unmöglich machen sich testen zu lassen? Ich hatte mir meinen Nachmittag ganz anders vorgestellt. Ich wollte meine Wanderung in Ruhe bei einem Drink in der Sonne Revue passieren lassen meine Erinnerungen aufschrieben und meinen letzten Tag genießen. Was tat ich stattdessen? Wie eine bekloppte, weinend zur Bushaltestelle hetzen, damit mir Morgen die Einreise in mein Geburtsland nicht untersagt wird. Wow.

    Zu allem Überfluss stellte ich, kurz bevor der Bus kam, fest, dass die Pensionsinhaberin beim Check-in meinen Perso einbehalten hatte, damit mich ihr Mann später in Ruhe anmelden konnte. Ohne ein Ausweisdokument zum Test? Das kann ich wohl knicken. Also schaute ich, ob ich es mit dem nächsten Bus auch noch pünktlich zur Apotheke schaffen würde und nahm meine Beine in die Hand.

    Unterwegs telefonierte ich noch mit meiner Schwester und meinem besten Freund und schaffte es nach und nach mich zu beruhigen. Insbesondere die trockene und pragmatische Art meiner Schwester erdete mich. Um kurz nach fünf war ich an besagter Apotheke angekommen und von meiner Ruhe war nicht mehr viel übrig. Die Tür zierte ein großes Schild mit roten Buchstaben: „Wir testen nur vorher angemeldete Personen.“ Lass das bitte nicht wahr sein! In Ermangelung an Alternativen ging ich in die Apotheke und wollte, wie ein erwachsener Mensch ganz sachlich meine Situation schildern und fragen, ob die Möglichkeit besteht hinsichtlich eines Tests ohne Anmeldung eine Ausnahme zu machen.

    Das war mein Plan. Die Realität sah so aus, dass ich in die Apotheke ging, den Apotheker noch fragte, ob er deutsch sprach und daraufhin komplett in Tränen ausbrach. Das war einfach zu viel. Während ich mich 1000-mal für meinen Gefühlsausbruch entschuldigte versuchte ich ihm unter Tränen zu erklären, dass ich einen Test für die Ausreise brauche, da ich andernfalls nicht wisse, wie ich morgen nach Hause kommen solle. Er blickte mich etwas verdattert an. Verständlich. Heulende deutsche Kundinnen hat er wohl nicht oft im Laden (Besser ist’s.) Über seine Antwort musste ich dann aber schon wieder etwas Schmunzeln „So gut spreche ich nun auch wieder kein Deutsch. Aber ich habe verstanden, dass Sie einen Test brauchen. Den können wir gerne machen. Kein Problem.“ Oh mein Gott, ich konnte es kaum fassen! Ich war überglücklich, bedankte mich, füllte das Formular aus und ging direkt weiter zum Testen.

    Das Verfahren der Ergebnisübermittlung war im Sinne des Datenschutzes sehr sicher. Aber dadurch auch sehr fehleranfällig: Das Ergebnis sollte ich in einem verschlüsselten PDF per Mail erhalten, das dazugehörige Passwort per SMS. Da kann einiges schief gehen. Ich bin kein Schwarzmaler, aber ich habe oft genug in meinem beruflichen Alltag Akkreditierungen durchgeführt und irgendwann ist man für solche Prozesse sensibilisiert. Eine weitere Berufskrankheit.

    Um 20 nach fünf stand dich wieder vor der Apotheke aber die erhoffte Erleichterung blieb aus. Um 18 Uhr machte sie zu und am Montag erst wieder auf. Das bedeutete, wenn ich mein Ergebnis bis Feierabend nicht habe, war der ganze Stress umsonst. Ich dachte an meinen ehemaligen Mitbewohner Janis, der mir meine (zugegebenermaßen manchmal wirklich, auch für mich selbst, sehr anstrengende) Oberkorrektheit versuchte abzugewöhnen. „Mach dich mal locker, Vicky!“ War immer sein Spruch. Doch so sehr ich es auch versuchte, ich konnte mich nicht locker machen. Es gab einfach zu viele Wenns und Abers die mich davon abhielten mich „locker“ zu machen.

    Es nervte mich, dass ich nicht aus meiner Haut konnte. Eigentlich wollte ich schon fahren, entschied mich aber dagegen. Es war mir zwar unangenehm 40 Minuten vor einer Apotheke herumzulungern aber besser das als Morgen nicht nach Hause zu kommen. Meine Entscheidung bekräftigte sich beim Blick über die Straße. Ich sah direkt auf eine Pizzeria und wie der Zufall es wollte öffnete diese punkt 18 Uhr. Meine geplante Belohnung nach dem Stress sollte ohnehin eine Pizza sein. Es schien sich nun doch noch alles zu fügen.

    Um fünf vor sechs hatte ich immer noch keine Nachricht erhalten – weder per Mail noch per SMS. Also bin ich nochmal rein - man gut! Der Mitarbeiter, dem ich vor einer knappen Stunde unter Tränen meine Leidensgeschichte erzählte, empfing mich mit einem freundlichen Lächeln. Ich erklärte ihm (diesmal sachlich und erwachsen), dass ich immer noch nichts erhalten hatte. Er nahm sich dem Fall sehr verständnisvoll an und stellte dabei fest, dass sich in meine Mailadresse ein Schreibfehler eingeschlichen hatte. Warum ich keine SMS bekam, konnte er sich auch nicht erklären, die Nummer war korrekt. Während ich ihn noch fragte, was ich tun könne, wenn nun doch nichts ankommt, streckte er mir bereits drei Ausgedruckte entgegen: „Das ist dein negatives Ergebnis auf Deutsch, Englisch und Italienisch. Damit solltest du ausreisen können.“ Mit diesen Dokumenten in meiner Hand setzte endlich das Gefühl der Erleichterung ein. Ich hatte es geschafft. Endlich. Meine Eintrittskarte nach Hause. Spoiler: Am Ende wollte niemand mein Ergebnis sehen, weder der Busfahrer noch wurden wir auf dem Rückweg von der Polizei kontrolliert. Aber ich wette, wenn ich nichts gehabt hätte, wäre es so gewesen. Murphys Law.

    Nach der ganzen Aufregung genehmigte ich mir wie geplant meine Pizza und ein sehr leckeres italienisches Craft Beer in der Pizzeria nebenan. Endlich verspürte ich die Ruhe über deren Ausbleiben ich vorhin noch so wütend war. Ich hatte es geschafft. Hier war ich im Ziel. Ein Gefühl von Zufriedenheit machte sich in meiner Brust breit - vielleicht war es auch nur die Wärme der Pizza. Im Anschluss an mein Dinner war mir nach Bewegung, schließlich hatte ich mich heute noch nicht ausreichend bewegt 😉 Es war ein Spaziergang von ca. 40 Minuten zurück zur Innenstadt, wo mein Bus zur Pension abfuhr. Klar hätte ich auch einen Bus dorthin nehmen können, aber ich hatte genug Zeit und die Strecke und das Wetter luden ein, noch ein paar Schritte auf den Tacho zu bringen. Ich hatte eine wunderschöne Sicht auf die Berge, welche sich genau mittig über der Straße, auf der ich spazierte, ausrichteten. Die langsam untergehende Sonne tat ihr Übriges für ein atemberaubendes Ambiente. Ich schlenderte musikhörend die Straße herunter und war endlich angekommen. Angekommen bei mir selbst.

    Erkenntnis des Tages: Pizza ist immer eine gute Idee!
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