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  • Day 85

    Minenarbeit und höchste Großstadt

    December 23, 2017 in Bolivia ⋅ ☀️ 7 °C

    Am frühen Morgen ging es bereits mit dem Bus nach Potosi, wofür wir uns auch dicker anzogen, da es sich um die höchstgelegene Großstadt der Welt auf 4.000 Meter handelt. Die Höhe bemerkt man recht schnell und die Sauerstoffsättigung im Blut fällt erstmal ab. Der Körper muss sich tatsächlich erst einmal akklimatisieren, sodass wir es heute langsam angehen ließen. Die nächsten Tage soll es aber auch wieder einige Höhenmeter bergab gehen. Potosi ist vor allem bekannt für seine Kupfer-, Zinn- und Silberminen, die bereits im 16 Jhd. die Spanier anlockten und die Bevölkerung zur brutaler Arbeit in den Stollen zwangen. Legenden besagen, dass hier soviel Silber gefördert wurde, dass man daraus eine Brücke zwischen Europa und Südamerika bauen könnte. Diese enormen Mengen an Silber haben Potosi einst zur reichsten Stadt der Welt gemacht, wovon heute allerdings nicht mehr viel zu spüren ist. Die Minenarbeiter sind grösstenteils eigenständig tätig und die Technik zur Förderung stammt noch aus dem vorvorletzten Jahrhundert, was jedoch auch den Hintergrund hat, die Minen so lange wie möglich zu betreiben und die Arbeitsplätze zu erhalten. Die Minenarbeiter selbst sind aber weder Krankenversichert, noch irgendwie anders sozial abgesichert. Die Lebenserwartung liegt daher im Schnitt bei nicht mehr als 45 Jahren. Die arbeitstechnischen und gesundheitlichen Bedingungen könnte man als katastrophal bezeichnen. Hinzu kommt auch ein ziemlich ungesunder Lebensstil. Aber einfach mal der Reihe nach. In Potosi angekommen, hatten wir kurz Zeit einmal durch die Stadt zu laufen, bis uns Pedro abholte. Pedro war von seinem 10. Lebensjahr bis er 18 Jahre alt wurde, in den Minen tätig (offiziell ist das Arbeiten erst ab 18 Jahren erlaubt, aber das schert niemanden), bevor er zur Armee ging und dann anschließend Touren durch die Minen anbot. Pedro ist ein sehr witziger Zeitgenosse, der seine Backen mit Coca-Blättern vollgestopft hat (die Coca-Blätter helfen gegen den niedrigen Sauerstoffgehalt und halten wach). Pedro fuhr mit uns zunächst zum Minenmarkt, wo es alles gibt, was man als Minenarbeiter benötigt. Dazu gehören Pickel, Coca-Blätter (zum wachbleiben), Atemmasken (die aber kein „echter“ Mann benutzen würde), Dynamit (Potosi ist die einzige Stadt der Welt in der man legal Dynamit auf der Strasse kaufen kann), Bier und einen 96-prozentigen Alkohol. Wir wussten von Pedro, dass die Minenarbeiter sehr stolze Menschen und ziemliche Machos sind. Wir wussten auch, dass sie sich über Touristen auch immer freuen, da zum einen ausländische Frauen dabei sind, ein wenig Abwechslung in den Alltag kommt, die Männer stolz auf ihren Beruf sind und die Touristen Geschenke mitbringen. Am liebsten haben die Minenarbeiter Dynamit und den 96-prozentigen Alkohol. Da heute jedoch Samstag ist, sagten sie Pedro bereits im vornherein, dass Samstag ein guter Tag für Bier sei. Als Pedro uns die Sachen aus dem kleinen Laden zeigte, kamen auch immer mehr interessierte Minenarbeiter dazu, die uns dazu brachten den 96-prozentigen Alkohol zu probieren, welcher ziemlich brannte, aber alle Parasiten und Bakterien abtöten sollte. Die Männer fanden unseren Gesichtsausdruck witzig und waren sehr nett zu uns. Aber auch hier konnte man bereits an einigen die ersten Anzeichen der Lungenkrankheit sehen: schmale Körper (trotz der harten Arbeit), lila-Lippen, krächzende Stimmen und eine ungesunde Hautfarbe. Wir deckten uns mit Bier und Coca-Blättern ein (Chris Wunsch Dynamit zu kaufen, wurde von der Gruppe nicht erhört). Dann ging es zu Pedros Haus, wo wir unsere Minenkleidung anzogen und dann ging es erstmal in eine Fabrik, wo die Mineralien aufgearbeitet werden. Pedro erklärte, dass die Minenarbeiter mit den gefundenen Mineralien dorthin gehen und direkt - nach dem internationalen Preisen für die Mineralien (was im Endeffekt aber zum Nachteil der Minenarbeiter ist) verkaufen. Wir gingen durch das Werk und konnten dabei die chemischen Prozesse beobachten. Aber auch hier gilt wohl, dass die arbeitstechnische Sicherheit hier nicht wirklich gewährleistet ist. Während wir Atemmasken trugen, verzichteten die Arbeiter auch hier darauf. Dann ging es auf ziemlich abenteuerlichen Straßen dann zum Cerro Ricco, der über der Stadt thronte und in dem sich die Minen befinden. Es gibt insgesamt mehr als 400 Minen hier, die bis zu 5-6 Km lang sind. Dabei gehr Pedro von ca. 5.000 Minenarbeitern aus, die hier grundsätzlich 5-6 Tage je 8 Stunden arbeiten (da sie aber selbstständig sind, kann dies auch variieren). Auch vor der Mine fanden sich wieder Strassenhunde, in die sich Steffi wieder verliebte. Dann ging es in den Schacht und die ohnehin schon dünne Luft wurde noch dünner. Auch mussten wir uns hier teilweise sehr gebückt und kriechend voranbewegen. Insgesamt führten diese Faktoren (Höhe, dünne Luft usw.) dazu, dass wir (aber besonders Chris) ziemlich schnell k.o. waren. Pedro führte uns zu einer Kammer, in der sich das Abbild des Teufels mit einem riesigen Genital präsentierte. Das riesige Genital steht dabei für die Manneskraft in der Mine (wie gesagt ziemliches Macho-Gehabe). Die Minenarbeiter im Potosi Glauben daran, dass der Teufel unter der Erde das sagen hat und bitten ihn um reichlich Mineralien und darum, dass keine Unfälle geschehen. Hierfür hat sich auch ein Ritual festgesetzt, was jeden Freitag praktiziert wird. Gegen Abend trifft man sich vor dem Götzen und trinkt den 96-prozentigen Alkohol. Dabei wird immer immer mit dem Teufel geteilt und vor jedem Schluck gibt man ihm und Gott etwas ab. Dann opfert man ihm Coca-Blätter und Zigaretten. Die ersten Schlucke des 96-prozentigen Alkohols müssen die Jüngsten nehmen. Danach wird er nach und nach mit Saft aufgefüllt und verdünnt. Insgesamt wird daher jeden Freitag tierisch gebechert und alle sind sturzbetrunken. Das ist übrigens auch der Grund, warum am heutigen Samstag die Mine ziemlich ausgestorben war und die Minenarbeiter Bier als Katertrink wollten. Einer der Minenarbeiter gesellte sich dann auch zu uns und wir teilten uns mit ihm ein Bier und nahmen ein paar Schlucke vom hochprozentigen (Pili warnte uns jedoch davor, dass der Alkohol hier stärker wirkt). Pedro erzählte über den Alltag und was den Minenarbeitern wichtig ist (Frauen, Alkohol und viele Kinder). Wir gingen dann weiter in den Stollen hinein und konnten dann die Minenarbeiter bei der Arbeit beobachten. Dabei kamen wir auch an den Silber- und Zinnvorkommen vorbei, die sich von Nord nach Süd ziehen. Pedro meinte, dass er einmal gefragt habe, warum es so sei und nur die Antwort bekommen habe, dass nur Ingenieure solche Fragen stellen und die in der Mine nichts zu suchen haben. Er solle akzeptieren, dass es so ist. Wie kletterten und krochen durch andere Felsformationen und Pedro erzählte uns auch über die gesundheitlichen Folgen und den Alltag in der Mine, während seine Backen immer weiter mit Coca-Blättern wuchsen. Morgens essen die Minenarbeiter sehr deftig und viel, da während des Tages nichts gegessen wird. Am Abend gibt es dann Suppe, da die Arbeit in der Mine staubig ist und Flüssigkeit benötigt wird. Es handelt sich dabei um einen Beruf der in der Familie weitergegeben wird. Die aktuelle Generation möchte für seine Nachkommen jedoch nicht mehr dieses Leben und möchte die Kinder (auch die Mädchen, was sehr besonders hier ist) zur Uni schicken. Die Minenarbeiter selbst können hier sehr viel Geld machen und verdienen für Bolivianer sicherlich auch überdurchschnittlich. Der Staub und die allgemeinen Lebensbedingungen führen jedoch zu einem frühen Tod (Pedro hat erst seinen 37-Jährigen Cousin und 45-Jährigen Onkel verloren). Und wenn man dann mal auf seine Finger schaut und dort zufällig ein silbernes Schmuckstück findet, dann kennt man jetzt auch die Bedingungen hierfür. Nach der Mine waren wir auch ziemlich platt und haben dann auch nicht mehr soviel gemacht. Während Steffi am Abend wenigstens noch Essen war, kam Chris nicht mehr aus dem Bett. Erst langsam akklimatisierten wir uns an die Höhenluft.Read more