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  • Day 90

    Gefängnisse und Hexenmärkte in La Paz

    December 28, 2017 in Bolivia ⋅ ⛅ 17 °C

    Wir erreichten La Paz mit dem Nachtbus bereits eine Stunde früher als erwartet, um 4:30 Uhr. Wir mussten nur kurz auf den Transport warten, der uns zum Hotel bringen sollte, wo wir glücklicherweise bereits unser Zimmer beziehen konnten. Der Umstand, dass La Paz unsere letzte Station war, stimmte uns ein wenig wehmütig. Erst gegen 9:00 Uhr wachten wir wieder auf und machten uns dann fertig, um einmal durch die Stadt zu gehen. Pili zeigte uns den Hexenmarkt, den Platz und die Kirche San Francisco und einen kleinen Part der Innenstadt. La Paz ist auf dem ersten Blick keine schöne Stadt und sie wird es auch nicht beim tieferen Einblick. Sie bietet aber einen einzigartigen Charakter, der an jeder Straßenecke etwas aufregendes zu bieten hat. Oftmals erschließt sich dies auch nicht auf den ersten Blick, sondern man muss ein scharfes Auge entwickeln, um die Kuriositäten der Stadt sehen zu können. Hierzu aber dann genauer. Die Stadt ist wuselig und überall finden sich Straßenverkäufer, die Essen, Gemüse und alles andere anbieten, was man sich vorstellen kann. Die Läden bieten exakt gefälschte Klamotten, Taschen und Fussballtrikots, die man für umgerechnet 2-20 € kaufen kann. Und selbstverständlich werden überall Lama oder Alpaca-Sachen angeboten, die günstiger sind als Sachen aus Schafs- oder Baumwolle (Lamas und Alpacas gibt es halt im Überfluss). La Paz liegt auf knapp 3900 Meter Höhe (variiert aber stark) und ist dicht bebaut, sodass auf den umliegenden Bergen und Erhebungen nur noch die aus rötlichen Material gebauten Häuser zu sehen sind. Der Verkehr in der Stadt ist mörderisch und man steht mehr im Stau, als sich fortzubewegen. Charakteristisch finden sich die vielen 1950er Jahre Buse, die bereits seit Jahren abgeschafft werden sollten, aber natürlich noch in vollem Betrieb sind. Dank dieser Buse und den Autos, die hier herumfahren, ist die Abgasbelastung sehr hoch. Wir gingen mit Pili dann auch im Café del Mundo frühstücken, welches einer Schwedin gehört, die auf Weltreise war und sich Bolivien verliebt hat. Anschließend und nach einem kurzen Spaziergang gingen wir dann unsere Tour für den nächsten Tag buchen: die Todesstrasse. Danach gingen wir ins Hotel, um uns ein wenig auszukurieren (Steffi mit Schnupfen und Chris mit Magen). Gegen 14:30 Uhr gingen wir los, um Pili ein kleines Abschiedsgeschenk zu kaufen (es war unser vorletzter Tag mit der Tour) und eine geführte Tour durch die Stadt zu machen. Jorge war unser Guide, den wir am Platz San Francisco trafen. Er erzählte uns, dass die Bolivianer sehr abergläubisch waren. Als die Spanier kamen, wurde das Land (was zu der Zeit noch kein richtiges Land war) zwangsweise katholisch. Zum Anfang taten sich die spanischen Eroberer jedoch sehr schwer damit, bis die Franziskaner die Missionierung übernahmen. Diese schafften es die abergläubische indigene Bevölkerung nach und nach zu bekehren, wofür sie angeblich auch den Aberglauben ausnutzten und die indigenen Vorstellungen mit den christlichen Vorstellungen vermischten. Die erste Kirche von San Francisco stürzte jedoch ein und die indigene Bevölkerung bat darum, die Errichtung einer neuen Kirche vorzunehmen. Diese - noch heute erhaltene Kirche - ist daher einzigartig, wenn man dann auch genauer hinsieht. Es finden sich verschiedene indianische und christliche Symbole vermengt, wie z. B. eine nackte Frau und Schutzgeister. Der Glaube an die Mutter Natur ist ebenfalls bis heute stark und vermischte sich ebenfalls stark mit dem Katholizismus. Es ging dann weiter zum Hexenmarkt. Auf den ersten Blick werden auch hier nur Souvenirs verkauft. Sobald man jedoch auf die Details achtet, sieht man jedoch auch die ausgestopften Lamas, tote Lama-Babys, Kräuter und Pulver sowie die Bedeutung der kleinen Figuren, die man auch für Souvenirs halten könnte. Aberglaube und der Gedanke an die Beschwörung höherer Mächte sind bis heute in vielen Teilen der Gesellschaft verankert. Jorge zeigte uns ein typisches Beispiel eines Rituals, welches aus verschiedenen Kräutern, einem toten Lama (Lamas sind mit 1-4 Babys Schwanger, wovon aber nur 1-2 lebendig zur Welt kommen; auch Geburten bei Nacht enden aufgrund der Kälte im Hochland oftmals tödlich; die auf den Feldern gefundenen Körper werden dann für rituelle Zwecke genutzt) und Tafeln aus Zucker, die bestimmte Wünsche erfüllen. Dieses Gemisch wird beim Hausbau in einer Ecke des Hauses angezündet, um die damit verbundenen Wünsche zu erfüllen. Dies wird selbst bei Bolivianern gemacht, die daran nicht glauben, da sich ansonsten die Bauarbeiter weigern würden, den Bau weiter vorzunehmen. Die kleinen Figuren haben verschiedene Bedeutungen, die von Mutter Natur bis zu Schutzgeistern für Liebe, das Heim oder Erfolg reichen. Daneben gibt es Tränke und Pulver für jedes Wehwehchen und Bedürfnis. So muss z. B. das Liebespulver in den Nacken einer Person gepustet werden, sodass sie sich in die erste Person verliebt, die sie sieht. Nach dem Hexenmarkt liefen wir weiter durch die Stadt zum Platz San Pedro. Der Platz ist recht unspektakulär. Interessant ist vielmehr jedoch das Gefängnis, welches sich an diesem Platz befindet: das Gefängnis San Pedro. Dieses Gefängnis ist Ausgangspunkt vieler Geschichten, Dokumentationen und eines bekannten Buches. Dieses Gefängnis wurde nämlich - inoffiziell - den Drogenlords überlassen, die sich hier selbst verwalten. Die Regierung selbst hat knapp 6 Wächter für 2.500 Menschen abgestellt. Die Gefangenen leben dort mit ihren Familien und müssen für alles selbst aufkommen. Das Leben besteht dort aus drei Zahlungen: 1. Das Eintrittsgeld für ein Zimmer, da man ansonsten Dom freien schläft, 2. die monatliche Miete und 3. die laufenden Lebenshaltungskosten. Das Gefängnis ist in einen reichen Teil, mit Flatscreens, Internet, Strom, Computern und Whirlpools, und einen armen Teil aufgeteilt. Dementsprechend schwanken die Preise. Die Drogenlords, die hier „sitzen“, haben die totale Kontrolle und entscheiden, wer rein- oder rauskommt. Viele wollen auch gar nicht mehr entlassen werden und kaufen anderen die Strafen ab. Die Geschäfte werden auch weiterhin, ungestört, weiter gemacht und Drogen produziert. Wer mehr über das Leben vor Ort erfahren will, sollte sich das sehr interessante Buch besorgen. Ein englischer Journalist wollte einen Engländer interviewen, der in San Pedro sitzt. Anstelle eines Interviews entschied er sich für ebendieses Buch und ließ sich 1 Jahr in San Pedro (einsperren). Er berichtet dabei sehr detailliert über das Leben, die Gefangenen und wie der Engländer dort gelandet ist (er war Drogenschmuggler und bestach einen General, der ihn jedoch in den Rücken fiel). Dieser musste - ohne Geld (ihm wurde alles abgenommen) und den Umstand, dass die Botschaft ihm nicht glauben wollte, dass er für etwas im Gefängnis zahlen sollte - tagelang im freien Schlafen, bis eine Hilfsorganisation auf ihn aufmerksam wurde und ihm Geld der Familie und sein eigenes Geld geben konnte. Später bot er dann Touren durch das Gefängnis an und eine zeitlang bildeten sich lange Schlangen von Touristen um das Gefängnis, die dort drinnen mit den Insassen wilde Drogenparties feierten. Dies ging dann solange gut, bis eine Australierin für zwei Wochen in San Pedro verschwand, belästigt wurde und ihr alles abgenommen wurde. Bei der Ausreise - ohne Pass - verwies sie auf San Pedro und die wilden Zeiten waren vorbei. Heute hat sich die Mentalität auch innerhalb des Gefängnisses geändert und die Insassen haben eher das Gefühl in einem Zoo zu sein. Teilweise laufen Bolivianer über den Platz und schmuggeln noch heute Touristen nach San Pedro, die dann aber ihr böses Erwachen haben, wenn sie wieder hinauswollen. Denn dabei werden exorbitante Summen gefordert. Morde am Mitgefangen sind auch heute noch Alltag, insbesondere für Straftäter mit Sexualdelikten, kommt die Versetzung nach San Pedro einem Todesurteil gleich, da die dortigen Insassen ihre - auch dort wohnenden Familien - schützen möchten. Im Prinzip weiß ganz Bolivien, was dort abgeht, aber das Geld der Drogenlords führt dazu, dass sich der Zustand nicht ändert. Das Buch des englischen Journalisten ist in Bolivien sogar verboten worden. Jorge, unser Guide, war selbst noch nicht drinnen und würde heutzutage selbst als Einheimischer nur reingehen, wenn er einen Freund besuchen würde. Die Tour ging dann weiter auf die andere Seite des unterirdischen Flusses, der die ursprüngliche Kolonialstadt von dem nachgebauten Abbild trennt. Wir gingen noch bis zum Präsidentenpalast und dem Parlament. Hinter dem Präsidentenpalast befand sich ein riesiger Rohbau, der gegen jede städtische Bauvorschrift verstößt. Hier sollen Mitglieder der sozialistischen Regierung einziehen, deren Wohnungen dann direkt mit ihrem Büro und ihrer eigenen Tiefgarage jeweils per Fahrstuhl verbunden ist. Die Regierung um Evo Morales hat sich mittlerweile selbst eingesetzt und über die Verfassung hinweggesetzt, was auch offen ausgesprochen wird. In dem Präsidentenpalast, der traditionell auch als Wohnung des Präsidenten gedacht war, lebte aber seit den 1950er Jahren kein Präsident mehr. In diesem Jahrzehnt wurde ein Präsident von einem wütenden Mob aus dem Palast gezerrt und auf dem vorliegenden Platz hingerichtet. Ein paar Jahre später bereute man die Tat jedoch sehr (viele Maßnahmen hatten sich als richtige Entscheidung herausgestellt, was ihn bis heute zu einem der beliebtesten Präsidenten machte) und errichtete eine Statue ihm zu Ehren. Ein besonderes Augenmerk gilt auch dem Parlament bzw. der dort befindlichen Uhr. Bei genauem Hinsehen bemerkt man nämlich, dass sie gegen den Uhrzeigersinn aufgebaut ist und gegen den Uhrzeigersinn läuft. Die Bolivianer mit einem großen Fragezeichen auf dem Kopf wollten wissen, was das den bedeute. Die Regierung weigerte sich zunächst eine Stellungnahme abzugeben, gab dann schließlich nach. Morales sendete seinen Sprecher, der nur sagte, dass es ein Ausdruck des Widerstands gegen Kapitalismus sei. Er ging dann vom Podest und die Fragezeichen waren noch immer da. Unbefriedigt durch diese Antwort, sah sich Morales selbst in der Pflicht eine Antwort zu geben: Es handelt sich logischerweise, um die korrekte Uhr der südlichen Hemisphäre, da die Sonne sich hier anders dreht, als im Norden. Alle Staaten der südlichen Hemisphäre sollten eine solche Uhr einführen, da sie die einzig richtige sei. Er schlug zudem vor, dass jede Uhr auch mit seinem Gesicht versehen werden sollte. Die Bolivianer teilten jedoch (zu Recht) diese Auffassung nicht, sodass alle anderen Uhren noch immer im Uhrzeigersinn gehen und das Konterfei von Morales nicht auf den Uhren ist. Wir gingen anschließend zum Hotel und trafen uns Abends - zum letzten Mal - mit der Gruppe zum Abendessen. Chris ging dann noch mit der Gruppe in eine Bar und gemeinsam fuhren sie die Strecke von 4 Minuten zu Fuß in 15 Minuten mit dem Taxi zurück (der Verkehr ist hier höllisch). Nunmehr hieß es schlafen, denn die Abholung zur Death Road sollte um 7:30 Uhr erfolgen.Read more