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- Day 14
- Tuesday, December 18, 2018
- ⛅ 30 °C
- Altitude: 25 m
IndonesiaKoloh Senggigi8°29’44” S 116°2’42” E
10seconds
December 18, 2018 in Indonesia ⋅ ⛅ 30 °C
Das Handy vibriert... Einundzwanzig... nein, Moment, nicht das Handy... es ist der Boden... Zweiundzwanzig... der vibriert! ...nichts wie raus hier!!... Dreiundzwanzig... Der Boden brüllt jetzt... Vierundzwanzig... es ist unsagbar laut... Fünfundzwanzig... Stehen unmöglich... Sechsundzwanzig... die Welt schüttelt sich... Siebenundzwanzig... Aufstehn, Hinfallen... Achtundzwanzig... die Welt fällt in sich zusammen... Neunundzwanzig... Aufstehn, die Erde brüllt... Dreissig.
10 Sekunden.
Eine Ewigkeit.
Dann ist es plötzlich still, für den Bruchteil einer Sekunde.
Menschen schreien, rufen, weinen. Das ist kein böser Traum, das passiert gerade, Aris Welt gibt es nicht mehr, sein Dorf gibt es nicht mehr.
10 Sekunden.
Ich habe mir für Heute Mittag zwei viel gelobte Wasserfälle, Tiu Pupus und Tiu Pituq mit Namen, und für den Nachmittag ein Bergdorf vorgenommen. Entlang der Küste Richtung Norden lassen sich auf dem Weg viele schöne Buchten und Strände entdecken, teilweise unberührt und nur Fischerboote, teilweise ganz grauenhaft mit Hotelmonstern erschlossen. Links erscheinen im Meer langsam die drei Gilis. Viele schöne Erinnerungen an die Reise mit Fynn im letzten Mai kommen mir in Erinnerung. Das war ne tolle und ganz besondere Sache, zwei Wochen mit dem Sohn die Welt entdecken!
Am linken Straßenrand unweit vom Meer fällt mir ein größeres Haus auf, aus Backstein mit Fensterrahmen aus Teakholz, super schön, sehr geschmackvoll, aber total windschief. Sicher von einem sehr ambitionierten Menschen als Boutiquehotel konzipiert.
Die Risse sind unübersehbar, es ist leer geräumt, die Möbel stehen davor zu Haufen gestapelt. Das Haus steht so gebrochen, dass es jederzeit zu kollabieren droht.
Bis hierher hat das Beben gewirkt.
Ich fahre weiter, die Schäden werden immer präsenter. Der Schutt ist vielerorts schon weggeräumt, bergeweise am Straßenrand. Manche eingestürzte Häuser stehen noch unberührt, manche provisorisch abgestützt wie auf Krücken. Auf den Bodenplatten der ehemaligen Steinhäuser wurden oft Bambus- oder Blechhütten errichtet. Nebenan stehen oft noch Zelte.
Ein erschütterndes Bild von einer erschütterten Welt. Alles zerstört. Ich kenne die Bilder von einem solchen Ereignis nur aus dem komfortabel distanzierten Blick auf die Medienberichte. Jetzt ist es wahrhaftig, real, beklemmend. Ich werde immer stiller.
Es herrscht rege Bautätigkeit, ich habe das Gefühl, dass jeder jeden unterstützt, seine Existenz, sein Leben wieder einigermaßen herzustellen. Die Straße nach Norden wurde komplett neu gebaut.
Auf der fahre ich weiter, immer tiefer in die Katastrophe. Rechts geht es zum ersten Wasserfall ab. Schon auf dem Hinweg rufen mir die Leute zu, dass der Wasserfall kein Wasser hat. Ich fahre trotzdem hin. Er ist komplett trocken. Ein sehr beunruhigender Anblick, wenn man die Insta Bilder kennt.
Der Eingangsbereich mit Ticketcounter, WC, Souvenierständen, Warungs, Coffeshops - ein Lost Place, den sich die Natur offensichtlich schon seit längerem zurückholt. Ein paar Affen. Die leeren Gebäude sind schwer angeschlagen, tiefe Risse in den Wänden, leere Fenster, wie nach einem Dinosaurierangriff in Jurassic Park (Ja, der Film hat mich beeindruckt und ich mag ihn). Der Wasserfall war ein Highlight in Nordwestlombok.
Ich fahre weiter zum nächsten Wasserfall.
An einer Abzweigung hilft mir ein Mann den richtigen Weg zu finden, er lädt mich zum Kaffee ein, wenn ich dann wieder zurück bin.
Der Eingang zum Gelände vom Wasserfall steht noch, er ist sehr asiatisch-happy-hippiemässig aus Holz zusammen gezimmert. Nicht aus Stein. Handgemalte Schilder, improvisiert inszeniert, sehr nett. Ein älterer Junge begrüßt mich gut gelaunt und geht einfach mit mir mit. Das übliche freundliche Begrüßungsritual.
Der Wasserfall, eine Abfolge von drei Kaskaden, von einem Pool in den nächsten und schließlich in einer Höhle endend. Alles bebadbar. Eine weitläufige, Anlage in wunderschönem Ambiente, Naturluxus, fast schon wildromantisch und tollem Blick.
Wenn Wasser da wäre, die Pools sind nur noch Tümpel.
Mein Guide erzählt mir, dass das Wasser seit dem Erdbeben weg ist, einfach weg.
Und es will nicht regnen, es ist doch Regenzeit. Das Dorf hat kein Wasser mehr, die Reisfelder haben kein Wasser mehr. Es ist eine zweite Katastrophe. Die Regierung schickt zwar gelegentlich Wasser, aber viel zu wenig.
Und dann ist da noch die dritte Sorge: Landslides, die hatten sie schon einmal. Das Erdbeben hat den Boden und den Fels gelockert. Wenn der Regen dann endlich kommt, wird das ganze eine schlammige, instabile Masse, die irgendwann mit ihrer zerstörerischen Kraft von den Bergen stürzt. Und der Regen wird kommen.
Wie lange schlendern wir durch das verwaiste Gelände und reden? Eineinhalb Stunden sicher. Er sucht uns noch eine Mango von den vielen Bäumen, die wir dann mit den Zähnen schälen und verspeisen. So lecker. So berührend, so ohne Filter. Irgendwann Abschied. Er holt aus dem Counter noch das übliche Gästebuch, in das man einträgt, wieviel man freiwillig abdrückt. Auf meine Frage, wer am Ende das ganze Geld bekommt, erzählt er mir, dass es für die Moschee sei. Die geben es dann zB an die Schulen weiter, für Unterricht und Essen, jetzt Wiederaufbau oder Wasser. Ein Teil davon ist natürlich sein Lohn. Aber es ist gerade sehr ruhig am Wasserfall. Ich hoffe der Regen kommt bald, hoffentlich ohne weitere Katastrophe.
Ich sehe auf mein Googlemaps für die nächste Etappe. Dummer Weise hatte ich nicht genau hingesehen und somit übersehen, dass es von hier aus gar keinen direkten Weg um den Berg herum zum Dorf am Hang des Gunung Rinjani gibt. Typisch, echt. Wenn, dann müsste ich die ganze Strecke fast ganz wieder zurückfahren, zwei Stunden bis ich da wäre. Egal, Planänderung.
An der Abzweigung von vorhin wartet schon der Mann, der mich zum Kaffee eingeladen hatte. Es ist schon Zwei Uhr, ich lass das Bergdorf Bergdorf sein und nehme seine Einladung an.
Ein freudiges Hallo und gleich Reden, viel Reden.
Er bietet mir an, dass wir zusammen eine Kokosnuss für mich schneiden gehen.
Mit einer langen Stange mit einem Messer vorne dran zeigt er mir dabei sein Land, das auch sein Supermarkt ist. Er macht mir die Kokosnuss trinkfertig und erzählt. Natürlich vom Beben. Sein Name ist Ari. Während er erzählt weicht die Fröhlichkeit aus seinem Gesicht. Dann erzählt er von seiner großen Familie, die alle auf dem selben Grund wohnen. Bruder, Schwester, Tante, Schwägerin, Nichten, Neffen, alle. Ich sehe die Bodenplatte, wo früher sein Steinhaus stand. Irgendwann baut er es wieder auf. Bis dahin leben die Familien in Bambushütten, wie die meisten. Sein Dorf ist komplett zerstört, ein Schuttberg. Das Dorf, von dem man in den Nachrichten gehört hat, dass es Tage von der Aussenwelt abgeschnitten war und Hilfe wartet? Das war es, eines von denen.
Um die 400.000 haben am 5. August ihr Zuhause verloren, fast 8.000 wurden verletzt, fast 500 Menschen sind gestorben.
10 Sekunden.
Es gab noch hunderte Nachbeben, die teilweise noch einen drauf gesetzt haben, noch mehr Zerstörung.
Wenn der Boden, auf dem man lebt, geht, arbeitet, schläft, liebt, der einen trägt, plötzlich keinen Halt mehr gibt, versucht dich abzuschütteln - was passiert dann mit deinem Urvertrauen? Wie, mit welchen Gefühlen, lebt man dann darauf weiter?
Er macht mir einen Kaffee und gibt mir rohe, weiche Kakaobohnen frisch vom Baum zu probieren. A bisserl bitter, aber essbar.
Die Kommunikation klappt, weil ich jetzt Indonesisch spreche. Echt jetzt, die Google Übersetzungsapp machts möglich, das funktioniert genial. Wir sind beide begeistert, weil wir richtig miteinander sprechen können und uns verstehen.
Es ist eine sehr herzliche und intensive Begegnung. Ich hatte erst große Bedenken in die Erdbebenregion zu fahren. Ich habe deshalb vorher gefragt. Die Einheimischen haben mir aber klar zu verstehen gegeben, dass es sogar wichtig sei, wenn wir Touristen wieder in den Norden kommen, es ist ein Signal, Hoffnung, zurück zur Normalität, Einnahmen. Ich habe das Gefühl, dass es den Leuten hier ein regelrechtes Bedürfnis ist, über die Ereignisse zu sprechen.
Ein Abschiedsselfie und auf Wiedersehen, Ari, Danke für deine Offenheit und deine Gastfreunschaft! Irgendwie sind wir beide gerührt. Ich drücke ihm ganz am Ende noch ein Geschenk in die Hand, ich hoffe er bekommt dafür ordentlich Ziegelsteine.
Ich bin mit einem dicken Kloß im Hals hierher gefahren, durch all die Trümmer, aber auch den Neubeginn, der Kloß ist immer noch da, aber ich habe jetzt das Gefühl, dass es richtig war hierher zu kommen.
Es gibt auch eine ganz andere Art von Kloß, die ich im Gegensatz zum Erlebten sehr genießen kann: Bakso. Teigknödel, groß, klein, aus Fisch, Huhn, Rind, in Suppe mit Nudeln und Gemüse. Und die gönne ich mir jetzt, bevor ich weiter Nachhause fahre. Soto Bakso, für mich DAS Indonesische Gericht. Immer anders, immer lecker, ausser am Flughafen.
Es ist später Nachmittag, ich mag noch nen Kaffee. An einen Viewpoint mit Lombok Kopi über einen Strand halte ich an. Das dramatische Licht über dem Meer und die zauseligen Palmen sind wie ein Gemälde, vor dem ich gerne eine Weile verharre.
Stop and go. Schon bei der Hinfahrt ist mir eine kleine Abfahrt zu einem ungewöhnlichem Strand aufgefallen, da biege ich jetzt ein. Eine riesige Wiese mit großzügig gestreuten Kokospalmen drauf, weit vorne der Strand, hohe Brandung, ein Surfer Beach. Nur einheimische Burschen im Wasser. Der Sand ist Schwarz, richtig Schwarz. So ein toller Kontrast zum weissen Schaum des Meeres und zum Treibgut. Ich bin begeistert und spaziere ihn lange entlang. Am Strandrand zur Palmenwiese hin wächst eine gedrungene Palmenart, ähnlich Yuccapalmen, nur dicht gewachsen wie Geschwülste, dramatisch schön. Auffallend ist, dass neben Treibgut viele verlorene einzelne bunte Flipflops herumliegen. Bunte Flipflops in schwarzem Sand. Das schreit zwar nach einem Foto, war aber kein schönes Motiv, leider.
Die Sonne geht unter. Episch. Wie immer. Ein Junge, der hier wohnt, setzt sich neben mich auf eine Holzbank - aus Treibgut - und versucht sich in Englisch. Am Ende tauschen wir Instagram-Adressen. Er liebt seinen Strand.
Als es fast dunkel ist, fahre ich endgültig in mein einziges richtiges Hotel auf dieser Reise und genieße noch einmal für eine letzte Nacht den Komfort.
PS. Die Bilder, die ich hochgeladen habe, sollen das Erlebte nicht banalisieren. Ich habe kaum Fotos von der Katastrophe gemacht, wir kennen alle diese Bilder, und die mag ich hier nicht zeigen.Read more






