• Central Curious

    April 24 in Hong Kong ⋅ ☁️ 25 °C

    Und wieder vor lauter Begeisterung: Dim Sum Here. Heute aber auch ein paar neue Leckerlies: Hühnerfüße, dunkle Beancurd Buns, knusprige Frühlingsrollen. Sehr fein.
    Dann steht Shoppen auf dem Programm. Den Souvenierladen haben wir gestern schon gescannt, jetzt arbeiten wir hier unsere Einkaufsliste ab, selten dass so eine Art von Shop wirklich cooles Zeug im Regal hat. Die volle Tüte bringen wir erst einmal wieder ins Hotel. Dann aber marschieren wir straight zu den Piers, von Pier Nr 7 legt die Starferry nach Central ab. Die Starferry, noch ein Hakerl auf der touristischen Bucketlist von Hongkong.

    Nach 10 Minuten Meeresbrise in den Nasen legt die Fähre auch schon an, eineurozwanzig kostet die Überfahrt für zwei btw. Den verschlungenen Weg über diese Walkways zur Metro finden wir auf Anhieb. Unser erster Spot in Central ist das Viertel Soho. Hier befindet sich der Man Mo Tempel, der älteste taoistische Tempel der Stadt, soweit ich das gelesen habe.
    Der Eingang ist teilweise eingerüstet, ein dunkles, mystisches Inneres empfängt uns. Rot und Ruß sind seine Farben. Die Luft ist geschwängert vom Rauch der Räucherspiralen, die über unseren Köpfen hängen. Tageslicht findet nur sporadisch seinen Weg durch wenige Öffnungen in der Decke. Ein sehr spiritueller Ort, eher klein und verwinkelt. Der Tempel erinnert mich schwer an indische Tempel. Immer wieder finden sich Gläubige ein, die beten wollen und ihre Wünsche loswerden.

    Der Stadtteil in dem der Tempel steht wirkt auf uns normal, geerdet, unspektakulär, sehr sympathisch. Nicht die bisherige Hektik, eher gemächlich passiert hier der Alltag, Graffitis fallen uns immer wieder auf, mal die belanglosen Schmierereien, mal richtige Kunstwerke. Nette kleine Cafés und Bars gibt es hier, besonders gestaltet, liebevoll im Detail, individuell, szenig, designig, fast schon ein bisschen Untergrund. Wir sind in Soho. Es ist anders hier, menschlicher, wärmer, kreativer, alternativer. Es gefällt uns, hier zu spazieren. Ein bisschen haidhauser, bürgerliche Spießigkeit, ein bisschen friedrichshainer Freigeist.
    Unseren Hunger stillen wir in einer bürgerlichen Küche, etwas zusammengewürfelt improvisiert im Interieur, mit Kinderzimmertapete, wohl weils keine billigere gab. Die Klebefolie mit Bambusdekor ist falschherum auf die Glastrennwände geklebt, die Bamben wachsen hier halt mal nach unten.
    Das Essen ist richtigrum, trotzdem ein bisschen schräg, wie die gesamte Speisenkarte, Chinese Fusion of International and Mystery, Unser Hühnerschnitzel Wiener Art mit Pak Choi und Reis und dieser klebrig-süßen Chilisoße aus der Flasche mundet vorzüglich, Panade können sie einfach, die Chinesen.

    Gut gesättigt erkunden wir das Viertel weiter. Die verbindenden Querstraßen führen bergauf oder bergab, je nach Blickrichtung. Antiquitäten und Trödelläden ploppen mit zunehmender Dichte auf. Tolle Antiquitäten, Devotionalien aus der Maozeit, Kurioses aus jüngerer Vergangenheit und natürlich olle Souvenirs. Straßenstände gesellen sich dazu, wir beginnen amüsiert zu stöbern. Bruce Lee Filmplakate, Porzellanstatuen von Mao und auch von unbekannten Helden der Arbeit, Maobibeln, Geschirr, oller Schmuck, Flaggen, alte Postkarten und Fotos - faszinierend das alte Hongkong - , so Kram gibt’s, mal ranziger, mal gut erhalten. Wir erstehen bei zwei verschiedenen Ständen kleine Porzellanschüsselchen für Sojasoße, mit kleinem modellierten Koi am Boden, entzückend.

    Der schon etwas ältere Besitzer eines dieser Stände fragt uns nach unserem Land und spannt in zackigem Chenglisch einen für uns nicht ganz nachvollziehbaren thematischen Bogen von Deutschland nach Italien, nach Mailand, die Scala, und fängt promt an, eine italienische Opernarie zu schmettern, die die ganze Strasse füllt, und er zieht die ganze Arie durch. Hui, damit hatten wir jetzt so gar nicht gerechnet. Der Gesang endet dann abrupt mit einem versteinerten, aber nicht unstolzen Gesichtsausdruck, als wären die Groschen, die wir vorher in ihn hineingeworfen haben, aufgebraucht. Brava, brava, brava!
    Zwei neue neugierige Touristen kommen hinzu und er hebt promt zur zweiten Arie an. Neben den Händlern der Nachbatstände sind wir die einzigen Zuhörer dieser exklusiven Gesangseinlage. Nicht unüberrascht applaudieren wir ein zweites Mal, diesmal nach einer Verbeugung des Künstlers.
    Wie schräg, wie witzig.
    Und genau so sind die Straßen um die Catstreet, offensichtlich von vielen, sehr eigenen Charakteren besiedelt und bewohnt. Ein sehr charmanter Kiez, der eines Tages vielleicht mit etwas mehr Zeit noch einmal eingehender erkundet wird.
    Die Catstreet steht als Sehenswürdigkeit in jedem Reiseführer und auch bei Google hat sie einen Eintrag, also kein Geheimtippp. Ursprünglich wurde auf der Straße Hehlerware vertickt, was sich im Laufe der Zeit zu einer sehr einträglichen Trödelei mit Touristen und einer kleinen Attraktion entwickelt hat. Heute jedoch sind nur wenige Touris unterwegs, unser Glück.
    Bei einem weiteren Stand kaufe ich tatsächlich ein Foto aus den Sechzigern, mit dem damaligen, sehr dekorativen Schilderverhau aus Chinesischen Schriftzeichen über einer Geschäftsstraße, die auch die Nathanroad sein könnte.

    Es ist jetzt Nachmittag, wir denken wir haben genug gesehen für dieses Mal, und verlassen dieses beschauliche und gemütliche Viertel.
    Die Metro bringt uns vier Stationen nach Central, wo wir gestern im Lichtermeer so erschöpft abgesoffen sind und heute mit neuem Elan hineintauchen wollen.
    Ein Tsunami aus Geschäftigkeit, Licht und Geflacker schlägt uns entgegen. Die Hongkonger Shoppingmeile ist schon heftig, und was ein Gegensatz zu Soho. Ein Konglomerat von Konsumtermpeln, die schrill um die Gunst der Käufer buhlen. Fashionwalk heißt hier ein Bereich, oder ist das nur eine Mall? Schwer einzuschätzen, wenn die Geschäfte neben, über, unter dem anderen gestapelt sind. H&M hat hier einen Flagshipstore. Ham wa auch noch nie gesehen, wollen wir sehen. Aber schon nach den ersten Metern stellen wir latente Lustlosigkeit fest, uns tiefer in dieses Gewusel zu begeben. Einmal die gesamte H&M Kollektion zu sehen, ist dann doch eigentlich ziemlich uninteressant.
    Um der Vollständigkeit der Hotspots halber möchte ich auch noch gerne den Hongkonger Timesquare sehen. Der Parcour durch shoppingfreudige TikToker und Instagrammer ist zwar sehr unterhaltsam, aber auch schlichtweg anstrengend, zumal wir überhaupt keine Ambitionen haben hier länger Schaufenster zu kucken oder einzukaufen.
    Das Geblinke, Geflimmer und Geleuchte ist in der Dunkelheit des Abends jetzt zu seiner Höchstform aufgelaufen, Der Timessquare ist nur ein weiterer leuchtender Shoppingplanet. Geblendet und vielleicht auch etwas überfordert flüchten wir uns in die Metro und lassen uns möglichst nah zu den Anlegern der Fähren bringen.
    Es wird merklich ruhiger, das Meer, die stummen Lichter beider Ufer, so ist das ok für uns. Starferry bringt uns hurtig etwas frische Meeresbrise und zurück nach Kowloon. Die eine Leuchtfassade wird kleiner, die andere größer.

    Gestern hatte ich beim solo Herumschlendern in unserem Kiez eine Straßenküche gefunden, die seit zwei Jahren für ihre Signature Shanghai Buns vom Guide Michelin ausgezeichnet wird. Hier wollen wir, hier müssen wir uns unser Abendessen holen. Wir bestellen Menüs mit diesen ausgezeichneten Signature Buns, Wantansuppe, Algensalat, Getränk und vier Buns extra, wenn schon, denn schon. Die Küche sieht aus, wie jede andere Straßenküche hier, einfach, praktisch und sauber. Es wird sehr konzentriert und akkurat, mit ernstem Blick gearbeitet. Ich fühle mich an den Gemüsedöner in der Yorkstraße erinnert. Vielleicht stehen hier ein paar mehr Touristen in der Wartereihe als bei anderen, wobei die Reihe sehr überschaubar ist. Nach kurzer Wartezeit bekommen wir unsere volle Tüte in die Hand.

    Ein paar Meter weiter ist der Aufgang zum Kowloonpark, unserem Open Air Diningroom. Am großen Springbrunnen nehmen wir auf einer der Betonbänke Platz. Es ist recht dunkel und schön ruhig, der Straßenverkehr dringt nur dumpf an unsere Ohren, eine Wohltat. Ein Pärchen macht noch ein paar Portraitshots. Ein Handydisplay erleuchtet das Gesicht einer einzelnen Ruhesuchenden gegenüber. Das war’s dann mit Menschen am Brunnen, dessen Wasserspiel promt abgestellt wird.

    Wir öffnen unsere Gourmetüte. Die Wantansuppe ist eine unerwartet üppige Portion mit mindestens sechs Wantans, essen wir fürs Erste nur zur Hälfte. Frisch und lecker. Der Algensalat erfrischend und sehr gut. Und dann der Höhepunkt, die Shanghai Buns. Die Brühe ist auf auf eine essbare Temperatur heruntergekühlt. Der erste Biss, wow, eine Geschmacksexplosion, ein Hochgenuss. Selten habe ich so aromatische und perfekt gewürzte Buns gegessen. Gut dass wir jeder noch drei weitere genießen dürfen.

    Leichtes Tröpfeln aus den Wolken lässt unser Picknick einpacken und aufbrechen. Der Park, die Ruhe, der Genuss, das war jetzt richtig schön.
    Kurz noch vorbei beim SevenEleven, ein kurzer Weg, Ein Tsingtao, Wasser und Kaffee kaufen und dann nüscht wie hoch ins Hotel. Das Duschen am Abend ist immer herrlich. Dann hopp ins weiche Bett, Beine hoch, Bierchen auf, chillen und die vielen schönen Eindrücke und Erlebnisse sacken lassen.
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